Das musst du wissen

  • Ein chinesischer Wissenschaftler behauptet, zwei Babys genetisch verändert zu haben, so dass sie immun gegen HIV sind.
  • Das sei technisch durchaus machbar, sagt die Schweizer Genetikerin Anita Rauch.
  • Doch sie bezeichnet den Versuch als unverantwortlich, weil er die gesamte Wissenschaft in ein schlechtes Licht rückt.

Frau Rauch, wie plausibel ist die Nachricht, dass der chinesische Forscher He Jiankui menschliche Babys genetisch verändert hat?
Ich glaube, dass es stimmt. Technisch machbar ist es auf alle Fälle. Letztes Jahr nahm ein internationales Forscherteam bereits gezielte Eingriffe am Genom menschlicher Embryonen vor mit der Methode Crispr/Cas9. Nur geschah das damals zu Forschungszwecken. Die Embryos wurden danach wieder vernichtet.

Anita Rauch

Direktorin des Instituts für medizinische Genetik der Uni Zürich

Anita Rauch arbeitet auf dem Gebiet der Humangenetik. Sie erforscht insbesondere die genetischen Ursachen angeborener Entwicklungsstörungen. Seit 2009 leitet sie das Institut für Medizinische Genetik der Universität Zürich.

Die Technologie verspricht, sicher zu sein. Es gibt sie aber erst seit wenigen Jahren. Kann man das nach so kurzer Zeit überhaupt abschätzen?
Nein. Deshalb hätte dieser Eingriff an den chinesischen Babys niemals stattfinden dürfen. Die Methode ist wahrscheinlich sicher, ja, aber bisher gibt es nur sehr wenige Daten dazu. Jeder Mensch trägt Millionen von genetischen Varianten in seinem Erbgut – zu behaupten, man wisse, dass durch Crispr/Cas9 nichts passiert ist, was später Folgen haben könnte, ist schlicht unwissenschaftlich. Sowieso ist es unverantwortlich, wenn einer so vorprescht und eine neue Technologie direkt an Menschen ausprobiert.

Beunruhigt Sie das?
Ja. Denn es wirft ein schlechtes Licht auf die Wissenschaft. Die meisten Forscher gehen in die Wissenschaft, weil sie etwas Gutes tun wollen. Sie halten sich an sehr hohe ethische Standards. Und dann kommt ein Einzelner und bringt die gesamte Wissenschaft mit einem zweifelhaften Vorgehen in Misskredit.

Was ist daran zweifelhaft?
Es gibt mehrere Fragezeichen bei der Durchführung. Es ist nicht einmal klar, ob die Eltern wussten, was mit ihren Babys gemacht wurde. Zudem ist die medizinische Notwendigkeit nicht gegeben. Eine Übertragung des HI-Virus auf Kinder können Ärzte auch heute schon verhindern. Deshalb ist dieser Eingriff medizinisch nicht notwendig. Er geht in den Lifestyle-Bereich. Und dann muss man sich schon fragen, was als Nächstes kommt: Auch blaue Augen, oder ein stärkeres Muskelwachstum liessen sich mit derselben Technologie erzeugen.

Wo ziehen Sie die Grenze?
Beim medizinischen Nutzen. Wenn wir schlimme Erbkrankheiten mit dieser Technologie verhindern können, kann man darüber diskutieren. Aber ich glaube, die meisten Menschen und Staaten wurden von den aktuellen Ereignissen überrumpelt. Alle haben gedacht: Die Technologie Crispr/Cas9 ist noch so jung – es wird noch lange dauern, bis sie zur Anwendung beim Menschen kommt. Doch da haben sie sich getäuscht: Die Technologie rennt immer schneller voran, und nun ist sie Wirklichkeit. Nun braucht es die Diskussion in der Gesellschaft: Wo ziehen wir die Grenze zwischen medizinischem Nutzen und Optimierung von eigentlich Gesunden?

Diesen Beitrag teilen
Unterstütze uns

regelmässige Spende