Benedikt Meyers Zeitreise
Gischtend schäumte die Brandung am Ufer des Urkontinents. Welle um Welle, Jahrmillion um Jahrmillion. Dinosaurier stampften herum, kreischten aus den Lüften und wenn der Regen nicht gerade monsunmässig aus den Wolken brach, war es unsagbar heiss. Dann tat sich ein Riss auf, der nichts mit der Hitze zu tun hatte: Pangäa driftete auseinander (-250 Millionen Jahre).
Über dem Land, das einmal die Schweiz werden sollte, brandete nun das Thetysmeer. Noch lag das Gebiet in den Subtropen und über dem künftigen Tessin waren die Gewässer relativ seicht. Dort jagten Meeressaurier nach Fischen, aber auch Landbewohner wie der etwa 2,5 Meter lange Ticinosuchus (ein Vorfahr des Krokodils) begaben sich schwimmend auf Nahrungssuche. Einzelne Exemplare verendeten und sanken zu Boden. Und weil es dort keine Strömung und fast keinen Sauerstoff gab, wurden die Tiere hervorragend konserviert (-240 Millionen Jahre).
Nicht allzu weit entfernt brach einige Jahrmillionen später die Erdkruste auf. Magma quoll herauf und bildete neuen Meeresboden (-175 Millionen Jahre), der sich heute beispielsweise als tiefgrüner Basalt oder Serpentit rund um Bivio findet. Von Eurasien brachen zwei Kleinstkontinente ab, Tisza und Ostalpin, und schoben sich unter dem Druck der adriatischen Platte übereinander (-130 Millionen Jahre). Ein neues Gebirge entstand. Über der künftigen Schweiz lebten und vergingen Saurier, Fische, Krebse und Korallen, sanken auf den Meeresboden und wurden zu Sediment. Mehrfach trocknete das Tethysmeer aus, mehrfach füllte es sich wieder. Schliesslich trampelten die letzten Dinos über den Planeten (-66 Millionen Jahre). Säuge- und andere Tiere traten an ihre Stelle.
Als Afrika die Richtung änderte (-53 Millionen Jahre) und Europa nach Norden drückte, verschwand das Tethysmeer zusehends und der ehemalige Meeresboden wurde komprimiert und emporgehoben. Tonlos krachten die Platten aufeinander, Afrika schob sich weiter gegen Europa, die Alpen hoben sich als sanfte, runde Bergkuppen (-30 Millionen Jahre). Ohne Reibung ging das allerdings nicht vonstatten, es entstanden Verwerfungen, Teile der afrikanischen Platte schoben sich über die europäische, so etwa an jener Kuppe, die später einmal das Matterhorn werden sollte – und wo sich der Übergang zwischen ostalpinem und afrikanischem Gestein heute an einer Linie nahe der Hörnlihütte erkennen lässt.
Die Jahrmillionen verwehten. Die Erosion nagte am Gebirge und die Gletscher schliffen es ab. Sie formten das Matterhorn, den Creux du Van, schnitten schartige Kanten ins Terrain. Das zerbröselte Gestein trugen die Flüsse hinunter ins Mittelland, das sich mit Sedimenten und alpiner Molasse füllte. Und während in Afrika Affen mit Werkzeug und dem aufrechten Gang experimentierten (-3,6 Millionen Jahre), kreierten hierzulande Flüsse und Gletscher Täler und Schluchten, hinterliessen Moränen, füllten Seen und formten so das Bühnenbild für alles, was sich auf diesem Flecken Welt in nächster Zeit noch so abspielen sollte…