Ein Erdbeben verwüstet eine Küstenregion, in der ein Atomkraftwerk steht. Kurz darauf trifft ein Tsunami das Kraftwerk, in dem gerade noch die Evakuierung läuft. Mehrere Arbeiter werden vermisst. Es gibt wahrscheinlich Lecks in diversen Pipelines, aus denen radioaktives Material austritt.

Einige davon führen direkt ins Meer. Für Menschen wäre es zu gefährlich, dieses mutmasslich stark verstrahlte Gebiet zu betreten. Deshalb treffen Notfall-Teams mit Luft-, Boden- und Unterwasser-Drohnen ein. Sie sollen die Lage aufklären, müssen vermisste Personen finden und retten sowie radioaktive Lecks entdecken und so schnell wie möglich schliessen.

Was im ersten Moment nach einer futuristischen Version des Kraftwerksunglücks von Fukushima 2011 klingt, ist die Missionsbeschreibung der Emergency Grand Challenge 2017, die im Rahmen der European Robotics League (ERL) in Piombino in Italien veranstaltet wurde. Ein Team des HSR-Forschungsinstituts für Laborautomation und Mechatronik (ILT) nahm mit einer unbemannten Flugdrohne daran teil.

3D-Karten und fliegende Notfallkoffer

Die HSR-Drohne bewegt sich mit ihren sechs Rotoren blitzschnell von einem Punkt zum nächsten. Sie filmt die Umgebung und verwandelt die Kameradaten in Echtzeit in eine aktuelle 3D-Karte der Umgebung. Über ein Mensch-Maschine-Interface, das mehrere Drohnen kooperativ zusammenarbeiten lässt, teilt die HSR-Drohne ihre Informationen automatisch mit anderen Drohnen, die im Wasser oder an Land operieren. Wird eine verletzte Person entdeckt, kann sie sogar einen rund ein Kilogramm schweren Notfallkoffer aufnehmen und der verletzten Person bringen.

Live-Bild von der Kamera: Über das eingeblendete Interface können der Drohne konkrete Aufgaben zugewiesen werden. Der Pilot muss dabei lediglich seine Informationsbedürfnisse definieren, zum Beispiel «Suche ein Gebiet nach Personen ab». Das System übernimmt die Steuerung der Drohne und kommuniziert mit anderen Drohnen im gleichen Gebiet.HSR

Live-Bild von der Kamera: Über das eingeblendete Interface können der Drohne konkrete Aufgaben zugewiesen werden. Der Pilot muss dabei lediglich seine Informationsbedürfnisse definieren, zum Beispiel «Suche ein Gebiet nach Personen ab». Das System übernimmt die Steuerung der Drohne und kommuniziert mit anderen Drohnen im gleichen Gebiet.

Die drei HSR-Ingenieure des ILT sind mit einem schlanken Steuerungs-Setup angetreten, das auch in schwierigem Gelände schnell per Stativ aufgestellt werden kann. Gesteuert wird die Drohne per Touch-Steuerung auf einem Tablet oder wahlweise auch per Funkfernbedienung. Die gesamte Drohnensoftware basiert auf Open-Source­Lösungen und ist grösstenteils durch die Informatiker des HSR-Instituts für Software (IFS) entwickelt worden. «Wir haben in der Zusammenarbeit zwischen ILT und IFS ein perfektes Beispiel für Interdisziplinarität an der HSR gesehen. Die räumliche Nähe im HSR Forschungszentrum hat einen flexiblen Austausch der Entwickler jederzeit möglich gemacht», sagt der Projektverantwortliche Christian Bermes.

Drei Teams, drei Drohnen, eine Mission

Bei der European Robotics League ist das HSR-Team zusammen mit Teams der Fachhochschule Kiel und der Fachhochschule Luzern in der Notfall-Disziplin angetreten. Kiel steuerte eine Unterwasser-Drohne bei, die Luzerner brachten ihre Boden-Drohne mit. Um im Wettkampf alle Aufgaben erfüllen zu können, mussten die drei Teams zusammenarbeiten. Drei Aufgaben mussten kooperativ bewältigt werden: 1. Vermisste Arbeiter des Atomkraftwerks finden; 2. Die Lage im Erdbebengebiet um das Atomkraftwerk aufklären, aktuelle Kartendaten erstellen und mit anderen Drohnen teilen; 3. Pipelines inspizieren sowie mögliche Lecks finden und stopfen.

Um die Missionen zu bewältigen, mussten die drei Teams die Stärken ihrer jeweiligen Drohnen kooperativ nutzen. Deshalb setzt die HSR-Drohnensteuerung auf das Teilen von Informationen. Mit der Flugdrohne war das HSR-Team am schnellsten unterwegs und konnte die Lage aus der Luft schnell einschätzen sowie umfassende Kartendaten für die anderen Teams bereitstellen.
Per Tablet lassen sich Informationen mit den anderen Teams teilen – ein Druck aufs Display und die Kieler und Luzerner sahen auf ihren Karten, wo vermisste Personen liegen oder wo radioaktive Lecks zu stopfen sind.

Zivil nutzbares Forschungsprojekt

Zwei Preise konnte das HSR Team an der ERL gewinnen. In der Disziplin Luft-See reichte es zusammen mit der Unterwasser-Drohne der Fachhochschule Kiel für den dritten Platz. Viel wichtiger für das HSR Team war jedoch der «Stehaufmännchen-Preis», wie ihn Projektingenieur Sergio Miracco nennt – der «Perseverance Award». Denn der ERL-Wettkampf war gleichzeitig der erste Praxistext für die HSR Drohnensteuerung, die im Rahmen eines Projekts für armasuisse W+T erforscht wird. Das Milizsystem der Schweiz bringt es mit sich, dass auch weniger intensiv geschulte Soldaten Mini-Drohnen sicher steuern können müssen. Daher bringen Untersuchungen zum zukünftigen Einsatz durch weniger oder nicht geschultes Bedienpersonal wichtige Erkenntnisse.

In Wangen an der Aare demonstriert das HSR-Team ein Setup, in dem eine Drohne in einem definierten Suchgebiet selbstständig nach Strahlungsquellen sucht.HSR

In Wangen an der Aare demonstriert das HSR-Team ein Setup, in dem eine Drohne in einem definierten Suchgebiet selbstständig nach Strahlungsquellen sucht.

Deshalb forscht das HSR-Team an einem Mensch-Maschine-Interface, welches eine sichere und effiziente Bedienung der Kamera-Drohnen mit minimaler Ausbildung der Piloten sowie unter widrigen Feldbedingungen zulässt. Der HSR-Projektleiter Simon Göldi ist Offizier in der Infanterie und kennt die militärischen Herausforderungen aus eigener Erfahrung: «Der Perseverance Award wurde dafür verliehen, dass unser Setup während zehn Tagen im Einsatz durch seinen modularen Aufbau und die hohe Adaptionsfähigkeit einsatzfähig blieb und auch nach Beschädigungen schnell wieder in der Luft war.»

Vom Wettbewerb in die Wirklichkeit

Die Drohnensteuerung besteht aus Tablet, Augmented-Reality-Headset sowie einem Controller. Per Controller wird die Drohne gesteuert, auf dem Tablet können je nach Lagekontext nützliche Funktionen gewählt werden und per AR-Headset erhalten der Pilot sowie alle weiteren mit einer AR-Brille ausgerüsteten Soldaten Einsicht in die aktuellen Drohnendaten. Diese Fähigkeiten sollen in Zukunft bei der Katastrophenhilfe öfters eingesetzt werden, um die Ersthelfer zu unterstützen und zu schützen sowie den Opfern von Katastrophen schneller helfen zu können.

Damit die Anwendungstauglichkeit von Robotern in der Katastrophenhilfe eingeschätzt werden kann, hat das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport das Forschungsinstrument ARCHE ins Leben gerufen. Anfang Juli 2018 fand während einer Woche in Wangen an der Aare ein Anlass statt, an welchem führende Schweizer Akteure der Robotik-Forschung ihre Roboter in realitätsnaher Umgebung in simulierten Katastrophenszenarien testen konnten. Auch das ILT der HSR war vor Ort.

Neben Referaten von renommierten Wissenschaftlern der Robotik-Forschung in der Schweiz über den Einsatz von fliegenden, laufenden, fahrenden und schwimmenden Robotern in der Katastrophenhilfe, demonstrierten die Forschungsteams ihre Roboter live. 2017 initiierte das Schweizer Drohnen- und Robotik-Zentrum eine Studie zur Beurteilung der zukünftigen Möglichkeiten zur Detektion von radioaktiver Strahlung und zur Vermessung der Umgebung mittels Mini-Drohnen.

Im Juli wurden die ersten Ergebnisse der Zusammenarbeit vorgestellt: Die Vermessung der Umgebung durch eine Drohne sowie die anschliessende Visualisierung in einer Karte, wobei als Strahlungsquelle handelsübliche Schweiss-Elektroden mit Thoriumzusatz verwendet wurden. Die Studie wird koordiniert durch armasuisse W+T, geleitet durch die ETH Zürich und in Zusammenarbeit durchgeführt mit dem ILT der HSR, einem Industriepartner, dem LVb G/Rttg/ABC und dem Labor Spiez.

Kontakt zum Forschenden: christian.bermes@hsr.ch

Hochschule Rapperswil HSR

Hier präsentiert die Hochschule für Technik Rapperswil HSR Geschichten aus der Forschung. Die Artikel erschienen vorab im HSR-Magazin.
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