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Warum berichtet higgs nicht über Echinaforce, das «Wundermittel» gegen Covid-19? Die Antwort ist einfach: Weil die Studie dazu schlechte Wissenschaft ist. Und warum widmen wir uns nun doch noch dem Thema? Weil es lehrbuchhaft zeigt, wie ein Medienhype funktioniert.

Die schlechte Wissenschaft ist schnell abgehakt.
Erstens: Tatsächlich zeigt die Studie, dass Echinaforce in der Glasschale im Labor Viren abtötet und auch die Infektion von Zellen aus menschlichen Atemwegen reduziert. Aber: Das Naturheilmittel besteht neben den Extrakten aus der Pflanze Echinacea purpurea zu 65 Prozent aus Alkohol. Und aus der Studie geht nicht hervor, ob der antivirale Effekt nicht einfach auf den Alkohol zurückzuführen ist. Zur Erinnerung: Alkohol ist ein Desinfektionsmittel.

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Zweitens: Es ist ein Laborexperiment. Ob der antivirale Effekt auch im lebenden Menschen auftritt, wurde nicht geprüft. Zum Vergleich: Auch Hydroxychloroquin und Lopinavir wurden schon als Wundermittel gefeiert. Jedoch zeigte eine Studie am Universitätsspital Zürich, dass die Substanzen im Körper des Menschen gar nicht in ausreichender Konzentration bei den Lungen ankommen, um eine Wirkung zu erzielen.

Trotzdem folgert das Autorenteam aus dem Labor Spiez, dem Kantonsspital St. Gallen und der A. Vogel AG, welche nicht nur Echinaforce herstellt und verkauft, sondern auch die in der Studie verwendeten Verbrauchsmaterialien mitfinanziert hat, dass sich das Produkt zur Prophylaxe gegen Coronaviren eigne. Dies zeigt das Laborexperiment aber definitiv nicht.

Und offenbar ist es auch dem Labor Spiez nicht mehr so wohl mit dieser Aussage.

In einem Tweet hält es nachträglich fest: das Laborexperiment könne nicht auf den Menschen übertragen werden. Das zeigt, wie schludrig die Publikation geschrieben wurde, und wie lausig der Review-Prozess vor der Publikation war. Nicht von ungefähr hat das Virology Journal unterdessen angekündigt, die Publikation, die von der Herstellerfirma A. Vogel AG finanziert worden ist, noch einmal überprüfen zu wollen.

Unkritisches Nachplappern der Medien

Trotzdem ging ein Medienhype gewaltigen Ausmasses los. Nach dem Artikel von Blick am 14. September (PDF), erschienen in den Schweizer Medien weit über hundert Artikel. Die meisten wiederholten unkritisch die Botschaft des Blicks und schrieben von «heilender Wirkung».

Und die Berichterstattung ging weit über den Versuch im Labor Spiez hinaus. In aller Länge durften wir auch die Geschichte von Alfred Vogel lesen. Wie er in den 1950er Jahren einen Samen des Roten Sonnenhuts von einem Lakota-Indianer geschenkt bekommen habe, diesen in die Schweiz brachte und daraus das Präparat Echinaforce entwickelte. Wunderschöne Geschichte, bloss in diesem Zusammenhang irrelevant. Sogar die «Glückspost» und die «Schweizer Illustrierte» berichteten über das «Wundermittel» Echinaforce. Beide sind zwar nicht bekannt dafür, sich wissenschaftlichen Themen zu widmen. Aber beide gehören zum Medienkonzern Ringier.

Schnell wurden aber auch kritische Stimmen laut. Korrekturen kamen zum Beispiel in der NZZ oder den Titeln von Tamedia. Und sogar Bundesrat Alain Berset mischte sich ein und hielt fest, dass die Studie nicht die Wirksamkeit gegen das neue Coronavirus im Menschen beweise.

Aber auch Medien, die kritisierten und korrigierten, heizten den Medienhype weiter an: Sie alle zeigten ein Bild des Produkts – unbezahlte Werbung für die Firma A. Vogel. Prompt war Echinaforce schon am Tag nach dem Blick-Bericht in vielen Apotheken und Drogerien ausverkauft. Und auf Online-Verkaufsplattformen wurde das Corona-Wundermittel zu Wucherpreisen abgesetzt. Kurz darauf sperrten «Ricardo» und «Tutti» die Inserate. Denn wer Heilmittel – auch solche, die rezeptfrei erhältlich sind – ohne Bewilligung verkauft, macht sich strafbar.

Und auch die schweizerische Arzneimittel-Zulassungsbehörde Swissmedic auf den Plan. Sie publizierte eine Einordnung und meldete bloss zwei Tage nach dem Blick-Artikel, man prüfe, ob ein Verstoss gegen das Werbeverbot vorliege.

Zwerghäsli-Effekt und Werbung für Verschwörungstheorien

Der Hype zeigt einen Medienmechanismus, der schon lange bekannt ist. Auch wer kritisiert und korrigiert, macht Werbung für Produkte oder Ideen, die zwar gefährlich oder falsch sind, aber so schön und verführerisch, dass das Publikum sie trotzdem will. Dies erlebte zum Beispiel in den 1970er Jahren auch die legendäre Schweizer Fernsehmoderatorin Heidi Abel. Nachdem sie eindringlich davon abgeraten hatte, Kaninchen, Katzen oder Hunde mit eingedrückten Nasen zu kaufen, weil diese an Atemnot leiden, stürmte das Publikum darauf die Zoohandlungen und wollten genau diese missgebildeten Tierchen.

Derselbe Effekt tritt auch bei Verschwörungstheorien auf. Je mehr man als Medium etwas korrigiert, desto mehr weckt man das Interesse des Publikums daran. So gilt es auch für higgs immer abzuwägen: sollen wir uns mit Fakten einmischen – und den Hype weiter befeuern – oder nicht? Bei Echinaforce hielten wir uns zurück. Bei gröberem Unfug stürzen wir uns in die Schlacht zum Dementieren.

Gekaufter Journalismus oder nicht?

Bleibt die Frage, warum der Blick so eine Geschichte bringt. Und nicht nur das. In dem Artikel – und auch in einem zweiten – war sogar eine Box eingeführt, die Echinaforce regelrecht bewarb: Darreichungsformen – Sirup oder Dragées – Packungsgrössen und sogar die Preise wurden genannt. Es fehlte nur der Knopf zum direkt bestellen.

Die kritische Leserschaft kam nicht umhin, den Artikel als Paid Content zu verstehen. Solcher war aber nicht deklariert. higgs hat bei Blick nachgefragt und die Antwort erhalten, es sei kein bezahlter Inhalt, sondern eine rein redaktionelle Leistung. Der Herausgeber des Podcast «Das Monokel», Marko Kovic, hat mit dem Autor des Blick-Artikels gesprochen. Es beteuerte, er sei zufälligerweise auf die Studie gestossen.

Nehmen wir diese Aussage ganz unvoreingenommen zur Kenntnis. Seit Beginn der Pandemie hat der betreffende Blick-Journalist vor allem über Morde und andere Verbrechen berichtet. Das Stichwort «Corona» taucht in seiner Publikationsliste gemäss der Schweizer Mediendatenbank kaum je auf: in einem Bericht über einen Auslandschweizer, der wegen Corona in Zürich gestrandet ist, und in einem über Kurzarbeit für Ärzte trotz Corona-Stress. Trotzdem ist es statistisch nicht unmöglich, dass er, obschon er sich bisher nicht mit der Wissenschaft von Corona auseinandergesetzt hat, in den Dutzenden von täglich erscheinenden Publikationen zu Covid-19 gerade diesen einen Artikel im Virology Journal entdeckt hat. Ob die Firma A. Vogel AG da etwas nachgeholfen hat, wollte sie auf Anfrage von Monokel nicht sagen.

Allerdings scheint es dem Blick bei der Sache unterdessen auch nicht mehr ganz wohl zu sein: Die allzu werberischen Hinweisboxen zu Echinaforce sind unterdessen von der Website getilgt. Stattdessen wurde ein neuer Hinweis eingefügt: «Die Wirkung von Echinaforce gegen das Coronavirus ist bisher nur im Labor an Zellkulturen (in-vitro) erwiesen.»

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
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