Das musst du wissen
- Rund 600 Tonnen Mikroplastik landen jährlich im Schweizer Boden.
- Über Wasser, Luft und Nahrung gelangt Mikroplastik auch in den menschlichen Körper.
- Wie der Plastik im Körper wirkt und ob er schädlich ist, wird derzeit erforscht.
Wenn du atmest, atmest du auch Mikroplastik ein. Wenn du ein Sandwich isst, kaust du auch auf Mikroplastik herum. Wenn du ein Bier trinkst, fliesst Mikroplastik deine Kehle hinab. Und die Sonnencreme, mit der du dich den ganzen Sommer eingeölt hast, enthält ebenfalls Plastik. Das geht am menschlichen Körper nicht spurlos vorbei: Österreichische Forschende haben 2018 in einer nicht repräsentativen Studie die Stuhlproben von acht Probanden aus verschiedenen Weltregionen untersucht und dabei neun verschiedene Sorten Plastik entdeckt – in allen Proben kamen Polypropylen (PP) und Polyethylenterephthalat (PET) vor. Die Wissenschaftler erfassten Plastikpartikel zwischen 50 und 500 Mikrometer Durchmesser. Zum Vergleich: Ein menschliches Haar ist 40 bis 60 Mikrometer breit. Das zeigt: Mikroplastik ist um uns – und gelangt so in uns.
600 Tonnen jährlich
Der Plastik gerät über Kosmetik- und Pflegeprodukte sowie durch Reinigungsmittel, Textilien und Verpackungen in unsere Umwelt. Die Schweizerische Materialprüfungsanstalt Empa hat errechnet, dass rund 600 Tonnen Mikroplastik jährlich in oder auf den Böden der Schweiz enden. Und knapp 15 Tonnen gelangen in die Gewässer.
Konsumentenschützer schlagen Alarm: Mikroplastik sei gefährlich, schreibt der Schweizer Konsumentenschutz auf seiner Webseite. Obwohl die Folgen für die Gesundheit noch kaum erforscht seien, warnten Wissenschaftler vor gravierenden Gesundheitsschäden, steht da.
So klar wie der Konsumentenschutz das darstellt, liegen die Dinge jedoch nicht. Zwar gibt es einzelne Studien, die bedenkliche Effekte durch Mikroplastik fanden: Eine Studie von 2017 zum Beispiel testete an Mäusen die toxikologische Wirkung des Plastiks. Resultat: Der Plastik reicherte sich in Leber, Nieren und Darm an und das ging mit «oxidativem Stress» einher, das heisst, der Körper reagierte mit einer Entzündungsreaktion auf diese Teilchen. Ein weiterer Versuch stellte krebserregende Effekte bei Experimenten im Labor fest. Ist Plastik also giftig? «Jeder Stoff ist giftig», sagt Bernd Nowack, Umweltchemiker bei der Empa. «Wasser ist auch giftig, es kommt aber immer auf die Menge an.» Das sei das Wesen der Toxikologie: Sie gehe immer so weit, bis ein Effekt sichtbar sei. «Irgendwann haben wir immer einen Effekt: dann haben wir in diesem Fall aber wahrscheinlich eine Plastiksuppe vor uns.» Die Konzentrationen, die in diesen Studien verwendet wurden, lägen tausendfach über den Konzentrationen, die gegenwärtig in unserer Umwelt zu finden seien. Zudem spiele die Grösse der Teilchen eine Rolle: «Wenn ein Plastikteilchen fünf Millimeter gross ist, dann merkt die Alge nicht mal, dass das Teilchen da ist. Wenn der Mikroplastik aber so gross ist wie die Nahrung der Alge, kann es eher problematisch sein», erklärt er. Aber auch dann müsse kein Problem vorliegen: «Eigentlich ist Mikroplastik eine andere Art von Sand», sagt Nowack. Wenn der Wurm ein Plastikteil statt eines Sandkorns fresse, dann störe das kaum – ausser wenn er nur noch das esse und deshalb keine Nahrung mehr aufnehme. Das Polymer, also der Plastik, an sich aber sei sehr stabil. «Aus dem Material können nicht einmal Mikroorganismen etwas machen.»
Darmbarriere hält Teilchen ab
Mikroplastik, der über unser Essen in unseren Darm gerät, ist deshalb vergleichbar mit anderen Mikropartikeln, wie eben zum Beispiel Sand oder Staub, der ebenfalls im Körper landet. Der Mensch verfügt gegen solche Partikel über eine angeborene Immunabwehr – ob diese auch bei Plastik aktiviert wird, ist noch unklar. Klar ist aber: Die meisten Teilchen passieren die Darmbarriere nicht, gelangen also nicht in die Blutbahn. Sie werden wieder ausgeschieden. Zwar ist es für Mikroplastik, ebenso wie andere Partikel nicht unmöglich, den Darm zu passieren. Die Teilchen müssen dafür aber sehr klein sein: unter 20 Mikrometern könnten sie in die Organe gelangen. Und unter 0,1 Mikrometern, das wären 100 Nanometer, könnten die Partikel theoretisch auch ins Hirn vordringen. Wie viele dieser Kleinstteilchen aber überhaupt so weit kommen, wissen wir nicht.
Doch nicht nur von dem Mikroplastik selber könnte ein Schaden für Tier und Mensch ausgehen, sondern auch von Zusatzstoffen im Plastik, zum Beispiel Weichmacher, deren Schädlichkeit belegt ist.
Auch bindet er Schadstoffe aus der Umwelt an sich und könnte sie in die Organismen tragen, wie Studien warnen. Auch dies relativiert Bernd Nowack von der Empa: Eine Studie aus den Niederlanden habe ergeben, dass Mikroplastik im Meer kaum Effekte auf die Schadstoffanreicherung habe. Es gebe unzählige Partikel, die ebenfalls Oberflächen für Schadstoffe böten. Zudem könne Mikroplastik nicht nur Schadstoffe mitbringen, sondern auch mitnehmen. «Es kann reinigen, wie das auch Kohletabletten machen im Magen: die saugen alle Stoffe auf.» Plastik könnte also auch zur Entgiftung der Umwelt führen, wie Studien gezeigt haben.
Gelangen Plastikteilchen aber über die Luft in die Lunge, könnte es problematisch werden, gibt Nowack zu bedenken: «Die Lunge ist ein sehr kritisches Organ». Plastik sei dann Teil des Feinstaubs, den wir täglich einatmen. Ebenso wie Staub zu einer Staublunge führen könne, könnte Plastik sich dort anreichern. Ausserdem wäre zu klären, ob Plastik mit anderen Stoffen in der Luft reagiert.
Tappen im Dunkelgrau
Wenn es um Mikroplastik geht, enden die Studien, die Einschätzungen, die Voten von Wissenschaftlern immer mit dem gleichen Satz: «Wir wissen zu wenig.» So hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) jüngst mitgeteilt, dass es keine Hinweise auf Gesundheitsrisiken durch Mikroplastik im Trinkwasser gebe – vorläufig.
«Es gibt viele verschiedene Kunststoffe, viele Zusatzstoffe, die darin enthalten sind und verschiedene Umweltschadstoffe, die sich an der Oberfläche des Plastiks anreichern können», sagt Bettina Liebmann, Forscherin des Österreichischen Umweltbundesamtes, die an der Studie, die Mikroplastik in menschlichem Stuhl untersuchte, beteiligt war. «Was die Wirkung der Stoffe im Körper angeht, tappen wir noch im Dunkelgrau.» Die Europäische Kommission will nun Forschung in dem Bereich fördern, um Licht ins Dunkel zu bringen.