Das musst du wissen

  • «Gute Regierungen» definieren Politikwissenschaftler als Regierungen, welche ihrem Volk öffentliche Dienste anbieten.
  • Solche gab es bereits in vormodernen Zeiten – zum Beispiel während der römischen Kaiserzeit.
  • «Gute Regierungen» dauerten nicht signifikant länger an als autokratische Regierungen – kollabierten aber explosiver.
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Die Menschheitsgeschichte ist voll von Diktatoren und autokratischen Herrschern. Aber es gab auch Regierungen, die das Wohl des Volkes im Blick hatten – wenn auch nur, um Unruhen zu vermeiden und die Steuern reibungslos einzusammeln. In einer neuen Studie, die im Fachmagazin Frontiers in Political Science erschienen ist, haben amerikanische Anthropologen unsere vormoderne Geschichte nun auf sogenannt «gute Regierungen» durchleuchtet. Das sind vordemokratische Regierungen, welche dem Volk Dienstleistungen und Ressourcen boten im Gegenzug für ihre Steuern. Auch bestraften solche Regierungen Korruption und persönliche Bereicherung von Beamten und Regierenden. Zudem wurde die Macht der Herrschenden in diesen Staatsgebilden begrenzt und sie konnten teilweise sogar abgesetzt werden.

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Studie: Moral Collapse and State Failure: A View From the PastKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Forschenden vergleichen vormoderne Reiche aufgrund von historischen Daten. Diese Daten sind aber oft lückenhaft und ungenau. Auch vereinfachen die Autoren die Geschichte stark, wenn sie deren Ausgang auf die Aktivitäten eines Herrschers reduzieren. Die Resultate müssen deshalb mit Vorsicht genossen werden. Zudem schlagen die Forschenden die Brücke zu heutigen Demokratien. Dies ist aufgrund der unterschiedlichen Kontexte äusserst schwierig. Die Schlussfolgerung über heutige Demokratien ist denn auch im Bereich einer Interpretation oder Hypothese anzusiedeln. Überprüfen lassen sich diese kaum. Nur die Zukunft kann diese bestätigen oder auch nicht.Mehr Infos zu dieser Studie...

Solche Regierungen gab es in der Menschheitsgeschichte nur selten. Die Forschenden klassifizierten nach klar definierten Kriterien 30 vormoderne Regimes als «gute Regierungen». Sie weisen darauf hin, dass auch heute «gute Regierungen» nicht die Regel seien. Eine Studie ist zum Beispiel zum Schluss gekommen, dass zwei Drittel der heutigen Nationen autokratisch oder nur schwach demokratisch geführt würden. Demokratien seien zudem auf dem Rückzug.

Die Forschenden wollten nun herausfinden, wann und weshalb «gute Regierungen» untergehen. Und stiessen dabei auf Herrscher, die das Gegenteil von «guten Regenten» waren.

Spielen statt regieren

Einer davon war Commodus, römischer Kaiser von 180 bis 192 nach Christus. Viele kennen seine Figur aus dem Hollywood-Streifen Gladiator. Commodus brach mit dem Ideal eines Herrschers, der für das Volk regiert, das Julius Caesar aufgestellt hatte. Stattdessen betrieb er eine ausgeprägte Selbstinszenierung und schien sich nur wenig um die Regierungsgeschäfte zu kümmern. Ob Commodus tatsächlich selber als Gladiator in den Ring stieg, bleibt zwar unsicher. Klar ist aber: Sein selbstherrlicher Regierungsstil brachte Instabilität in das Kaiserreich, das ohnehin mit Problemen zu kämpfen hatte. Diese Instabilität setzte sich auch nach seiner Ermordung an Silvester des Jahres 192 fort. Über ein Jahrhundert lang versank das Imperium in der Krise. Und daran trug Commodus laut den Studienautoren einen grossen Teil der Schuld – denn er brach mit den moralischen Werten, die das Kaiserreich so lange mit seinen Bürgern versöhnt hatten. So erging es laut den Forschenden etlichen Staatgebilden der Vormoderne, die nicht diktatorisch geführt wurden, sondern das Wohl der Bürger mit im Programm hatten.

Ruine des Forum RomanumLinda Nicholas, Field Museum

Die Ruine des Forum Romanum, einst ein Ort einer repräsentativen Regierung.

Staatsgebilde, die das Gemeinwohl anstrebten, waren in der Vergangenheit nicht wirklich langlebiger als autokratische. Beide überlebten laut der neuen Studie im Schnitt etwa 160 Jahre. Autokratische Regierungen kämpften jedoch häufiger mit Rebellion und Nachfolgekrisen. In Herrschaftssystemen, die das Volk einbezogen, florierte hingegen die Wirtschaft ausgeprägter, der Lebensstandard war höher und die Nahrungs- und Gesundheitssicherheit grösser. Die Bevölkerung wuchs zudem schneller. Teilweise bestand sogar eine gewisse religiöse Freiheit.

Ein Beispiel ist das Mogulreich, das im heutigen Indien von Mitte des 16. Jahrhunderts bis Mitte des 18. Jahrhunderts bestand. Der muslimische Mogulherrscher Akbar führte hier ab 1556 das Ideal des «universellen Friedens» ein, es herrschte religiöse Toleranz gegenüber der hinduistischen Bevölkerungsmehrheit des Reiches. Auch bekämpfte Akbar die Korruption und bot der Bevölkerung öffentliche Dienste an. Dieses Ideal führten noch zwei weitere Herrscher fort. Der vierte jedoch brach mit der Tradition der religiösen Toleranz. Korruption, Revolten, sinkende Erträge und eine schwindende Bevölkerung folgten. So war das Mogulreich nicht fähig, die Überfälle der English East India Company Mitte des 18. Jahrhunderts abzuwehren, was schliesslich in der Kolonialherrschaft Englands mündete.

Den Autoren der Studie zufolge ist es typisch, dass Staatsgebilde mit einer «guten» Regierungspraxis spektakulär untergehen, wenn die moralische Praxis gebrochen wird. Sie gehen mit einem lauten Knall unter, während autokratische Regierungen bei ihrem Kollaps nur ein Rauschen verursachen. Dies, da sich die Bürgerinnen und Bürger auf «gute Regierungen» verlassen und deshalb vor grösseren Veränderungen stehen, wenn diese Regierungen zusammenbrechen.

Vertrauensverlust in den USA

Obwohl jeweils verschiedene Faktoren zu dem Zusammenbruch eines Staatssystems führten, steche ein wiederkehrender Faktor bei den «guten Regierungen» hervor, schreiben die Forschenden: Einzelne Herrscher, die wenig gaben auf die traditionellen moralischen Werte ihres Reiches. Dies führte zu einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung. Daraus resultierten dann soziale Unruhen, Kämpfe, Abwanderung und eine sinkende Bereitschaft, Steuern zu zahlen. Dadurch sanken auch die Steuereinnahmen, wodurch öffentliche Dienstleistungen nicht mehr funktionieren – und die Bevölkerung stand plötzlich mit leeren Händen da.

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Die Forschenden schlagen den Bogen zu heute und warnen, «gute Regierungen», zu denen die heutigen Demokratien zählten, seien fragil. Spezifisch beschäftigen sich die Autoren dabei mit den USA. Sie warnen vor dem Vertrauensverlust, der bereits stattgefunden habe, weil die politische Führung inkompetent, unpopulär oder schädigend gehandelt habe. Als Beispiele nennen sie den Watergate-Skandal, den Vietnam-Krieg, die Finanzkrise 2008, aber auch die polarisierende Reaktion des Weissen Hauses auf die Black Lives Matter-Bewegung. Sie kritisieren offen ein neues Ethos von Vetternwirtschaft, von Vermischung von persönlichen und staatlichen Ressourcen und narzisstischer Selbstverherrlichung, das überhandgenommen habe. Dass die Verkörperung dieses neuen Ethos Donald Trump ist, schreiben sie nicht. Klar ist aber: Donald Trump steht mit seiner Selbstinszenierung dem römischen Kaiser Commodus in nichts nach. Er bricht damit mit einer moralischen, demokratischen Tradition. In der Vergangenheit endete dies oft katastrophal.

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