Das musst du wissen

  • Die King Abdullah University of Science and Technology in Saudi-Arabien lockt die Forschende aus der ganzen Welt.
  • Unter anderem mit viel Forschungsgeld. Zwar verfolgt die Uni das Ideal, das Land durch Bildung zu modernisieren.
  • Aber: Machen sich die westlichen Forschenden an der Wüsten-Uni nicht zu Komplizen eines Unrechtsstaates?

Der Fall entsetzt und empört Menschen rund um den Globus: Anfang des Monats war der Journalist Jamal Khashoggi im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul ermordet worden. Die saudische Führung hatte den Vorfall erst abgestritten, dann aber zugegeben. Nun reden Deutschland und auch die Schweiz über einen Export-Stopp für Waffen, die USA kündigt Sanktionen an. Und die Tennisgrössen Rafael Nadal und Novak Djokovic werden kritisiert für ihre Teilnahme an einem Schauturnier im Wüstenstaat. Doch nicht nur Wirtschaft und Sport profitieren von der Zusammenarbeit mit dem Land, sondern auch die Wissenschaft.

Wikimeda Commons/POMED

Der ermordete Journalist und Washington-Post-Kolumnist Jamal Khashoggi. Hier letzten März an einer Konferenz über das Saudi-Regime.

Denn in Saudi-Arabien steht – durch eine hohe Betonmauer vom Rest des Landes abgetrennt – ein Paradies für Forschende: die King Abdullah University of Science and Technology, kurz Kaust. Innerhalb von zwei Jahren liess der inzwischen verstorbene König Abdullah am Roten Meer in der Nähe der Stadt Jeddah eine Universität errichten, die mit allem ausgestattet ist, was das Forscherherz begehrt: modernste technische Geräte und ein Geldtopf von 20 Milliarden Dollar. Dank dessen Zinsen sind die Kaust-Forschenden stets mit grosszügigen Forschungsbudgets versorgt, ohne dass sie sich mit dem Stellen von Anträgen herumschlagen müssen. Damit hat es die Kaust geschafft, Spitzen-Forscher aus der ganzen Welt anzulocken.

Hier gelten andere Regeln

Damit sich die vielen westlichen Forscherinnen und Forscher wohl fühlen, ist der Universität ein eigener, riesiger Campus angeschlossen. «Man kann sich den Campus vorstellen wie eine autarke, schöne amerikanische Kleinstadt», erzählt der Biologe Luca Schmid*. Seine Nationalität und seinen richtigen Namen möchte er nicht öffentlich machen, aus Angst mit seinen Äusserungen seinen ehemaligen Kollegen zu schaden. Bis vor kurzem hat Schmid fast vier Jahre an der Kaust geforscht. Als Wissenschaftler mit Familie wohne man in einem kleinen Reihenhaus mit Garten, profitiere von Kindergarten, Schule, Krankenversicherung, Fitnesscenter, Swimmingpools, Nahverkehr – alles kostenlos. Ein direkter Zugang zum Strand am Roten Meer setzt dem Ganzen die Krone auf.

Kaust

In solchen Reihenhäusern wohnen die Forschenden mit ihren Familien.

Und auf dem Campus gelten weit weniger strikte Regeln, als für den Rest der Bevölkerung, die hinter der Mauer lebt, welche die Forschungs-Enklave umgibt. Beispielsweise herrscht im Land eine strikte Geschlechtertrennung – in der Kaust dagegen lernen und forschen Männer und Frauen Seite an Seite. Hier müssen Frauen ihren Körper nicht mit der Abaya bedecken, dem traditionellen knöchellangen Gewand, und brauchen auch kein Kopftuch zu tragen. Und hier durften sie Auto fahren, lange bevor es ihnen überall im Land möglich war.

«Die Gründung der Universität war auch ein politisches Zeichen an die islamistischen Hardliner in Saudi-Arabien», sagt Elham Manea, Politikwissenschaftlerin an der Universität Zürich. Der König habe damals eine ganze Reihe von Massnahmen erlassen, um das Land zu modernisieren und vorsichtig zu öffnen. So hat er unter anderem Frauen erlaubt, auf kommunaler Ebene zu wählen. Durch diese Öffnung wolle das Saudi-Regime seine Wirtschaft zu einer Wissensökonomie wandeln, sagt Nahost-Spezialistin Manea. Und so das Land schliesslich vom Öl unabhängig machen.

Der derzeit mächtigste Mann der absoluten Monarchie Saudi-Arabien, Kronprinz Mohammed bin Salman, steht unter Druck – ihm laufen internationale Investoren davon.Keystone

Der derzeit mächtigste Mann der absoluten Monarchie Saudi-Arabien, Kronprinz Mohammed bin Salman, steht unter Druck – ihm laufen internationale Investoren davon.

Doch selbst wenn die Kaust ein fortschrittliches Ideal verfolgt: Inwieweit unterstützen die westlichen Forschenden der Wüsten-Uni mit ihrer Arbeit das Saudi-Regime, das die Menschenrechte missachtet? Werden die Forschenden zu Komplizen der absoluten Monarchie, in der es keine unabhängige Presse, keine Meinungs- und Religionsfreiheit gibt? In der Dissidenten eingesperrt, ausgepeitscht und sogar ermordet werden?

Forschende rechtfertigen sich

Zu diesen Fragen hört und liest man immer wieder Rechtfertigungen von Kaust-Forschenden: Mit der Spitzenforschung trage man zum Wissensschatz der Menschheit bei und es bringe nichts, das Land von aussen zu kritisieren. Die eigene Arbeit helfe dabei, dass junge saudische Studierende sich ein breites Wissen aneignen könnten und mit freiheitlichen Werten und alternativen Lebensweisen in Kontakt kämen.

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Forschen mit Blick aufs Rote Meer: Laborgebäude der Kaust, im Hintergrund die Moschee des Campus.

Dazu hat Luca Schmid gemischte Gefühle. Er erzählt, dass ihm die Entscheidung eine Stelle an der Kaust anzunehmen, nicht leichtgefallen sei. «Es ist ein dunkler Fleck auf meinem Gewissen», sagt Schmid. Für ihn war entscheidend, dass er dort bei einem bestimmten, hochangesehenen Professor forschen konnte. Er habe aber auf dem Campus intensiven Austausch mit Saudis gehabt und mit diesen viel über die Gleichberechtigung der Geschlechter und über freiheitliche Werte gesprochen.

Trotzdem sind nicht alle überzeugt, dass diese Argumente ausreichen, um das Forschen an der Kaust zu rechtfertigen. So sagt Adriano Aguzzi, Institutsdirektor am Universitätsspital Zürich: «Ich habe Verständnis für das Argument, dass Aussenkontakte und Bildung der beste, vielleicht sogar der einzige Weg aus der Misere für die dortige Bevölkerung ist. Trotzdem würde ich selber definitiv nicht dorthin gehen.» Er habe von Forschenden gehört, die durch die aktuellen Vorkommnisse schockiert und beängstigt seien und nun schnellstens einen Job im Westen suchten. «Einen solchen Bruch würde ich mir und meiner Familie niemals antun, egal wie viele Millionen ich verdienen würde.»

Kaust

Ein Golfplatz gehört ebenfalls zur Anlage.

Inzwischen hat auch Luca Schmid die Wüsten-Uni vorzeitig verlassen. Er kritisiert das Management der Universität. Auf dem Campus herrschten übertriebene Sicherheitsstandards, kontrolliert nur durch einen privaten Sicherheitsservice. Streitigkeiten, wie die Schuldfrage nach einem Autounfall, würden nicht von einem Richter, sondern von saudischen Managern in der Personalabteilung entschieden. Im Zweifelsfall und schon bei geringen Problemen würden Ausländer sofort ausgeschafft, sagt Schmid.

Ob es der Kaust unter diesen Bedingungen und nach der Tötung Khashoggis weiterhin gelingen wird, Spitzenforschende anzuziehen, ist zu bezweifeln. Die Universität hat dazu sowie zu den aktuellen Ereignissen auf Anfrage keine Stellung bezogen. Und einige Forschende werden sich nun fragen müssen, was sie für die Wissenschaft bereit sind, zu akzeptieren.

* Name der Redaktion bekannt.
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