Er ist ein bleicher Geselle, lebt im Schatten der Nacht und ernährt sich vorzugsweise von frischem, warmem Blut direkt aus der Kehle seiner Opfer – der Vampir. Lässt man das mit dem Blut einmal beiseite, könnten Menschen mit der seltenen Stoffwechselstörung Porphyrie so etwas wie die Vampire der realen Welt sein. Auch sie meiden das Sonnenlicht. Denn dieses bereitet ihnen unerträgliche Schmerzen.

Unter die Bezeichnung Porphyrie fällt im Grunde ein ganzes Bündel verschiedener Krankheiten, die alle etwas gemeinsam haben: Bei den Betroffenen funktioniert die Herstellung des roten Blutfarbstoffs nicht richtig. Daher rührt auch der Name Porphyrie, der sich vom altgriechischen Wort für die Farbe Purpur ableitet. Ursache der seltenen Erbkrankheit ist ein genetischer Defekt, der die Bildung des roten Blutfarbstoffs stört. Dadurch lagern sich unfertige Zwischenstufen – sogenannte Porphyrine – im Körper an, was zu verschiedenen und mitunter sehr unangenehmen Symptomen führt.

Die Sonne, der Feind

So äussern sich einige der insgesamt acht zum Teil sehr verschiedenen Formen der Porphyrie durch eine schmerzhafte Lichtempfindlichkeit. Dazu zählt auch die mit «EPP» abgekürzte Form des angeborenen Stoffwechseldefekts – die erythropoetische Protoporphyrie. Die Schmerzen treten bei einem Aufenthalt in der Sonne bereits nach wenigen Minuten bis maximal einer Stunde auf. Ausgelöst werden sie durch die unfertigen Vorstufen des roten Blutfarbstoffs, die sich in der Haut angereichert haben. Dort nehmen diese unerwünschten Halbstarken die Energie aus dem Sonnenlicht auf und geben sie an das umliegende Gewebe weiter. Dadurch entstehen geladene Teilchen, die die Zellen und Blutgefässe angreifen und die Nerven schmerzhaft reizen. «Zu Beginn fühlt es sich an wie kleine Ameisen, die unter der Haut umherrennen. Dann weiss ich, jetzt muss ich aufpassen. Später fühlt es sich an wie Verbrennungen, wie Feuer unter der Haut. Hat die Attacke erst einmal begonnen, verschlimmert sie sich sehr schnell, man kann sie nicht aufhalten», beschreibt ein von der Krankheit betroffener Patient in der SRF-Sendung Puls die Symptome.

Jasmin Barman erforscht ihre Krankheit selbst – und versucht, EPP in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung zu rücken.

Obwohl es äusserlich oft nicht zu sichtbaren Veränderungen der Haut kommt, leiden EPP-Betroffene höllische Qualen. Bei schweren, über mehrere Tage dauernden Attacken können jedoch auch Schwellungen, Rötungen und Verletzungen der Haut auftreten. Und bei der schwersten Form der Porphyrie, der kongenitalen erythropoetischen Porphyrie (CEP) kann es sogar zu schlimmen Verbrennungen mit bleibenden Narben kommen.

Sonnencreme nützt den Betroffenen leider wenig. Denn bei einem gewöhnlichen Sonnenbrand sind unsichtbare UV-Strahlen die Übeltäter, die eine Verbrennung auslösen und die wir uns mit dem entsprechenden UV-Filter in der Sonnencreme vom Leib halten können. Bei Menschen mit Porphyrie ist es hingegen der sichtbare Anteil der Sonnenstrahlung, vor allem das blaue Licht, das die Verbrennungsschmerzen hervorruft. Deshalb kann sogar das Licht, das durch eine Glasscheibe fällt und keinen Sonnenbrand verursacht, die schmerzhaften Hautsymptome hervorrufen.

Leben im Schatten

Davor schützen konnten sich EPP-Betroffene bis vor wenigen Jahren nur, indem sie der Sonne konsequent aus dem Weg gegangen sind. «Früher konnte ich das Haus nur vermummt und mit Schirm geschützt verlassen und hatte trotzdem noch Probleme», sagt Jasmin Barman, die zu den rund 80 Menschen in der Schweiz gehört, die unter EPP leiden. Heute kann Jasmin Barman ohne Ganzkörperverhüllung aus dem Haus. Denn seit einigen Jahren gibt es ein Medikament, das Barman und anderen EPP-Patienten hilft, das Sonnenlicht besser zu ertragen. Allerdings ist die Therapie zu teuer, als dass die Betroffenen sie selbst bezahlen könnten. Je nach Schweregrad der Erkrankung kostet die Behandlung heute zwischen 16 000 und 80 000 Franken pro Jahr. Um ein annähernd normales Leben zu führen, sind sie deshalb vom Goodwill ihrer Krankenkasse abhängig.

Keine einfache Situation, wie das Beispiel aus dem Jahr 2016 zeigt: Damals erhöhte der australische Hersteller den Preis für das Medikament um das Dreifache. Dies allerdings nicht aus Profitgier. Die Preiserhöhung lag vielmehr darin begründet, dass die Herstellerfirma das Medikament während der ersten Jahre zu einem zum Überleben zu tiefen, nicht kommerziellen Preis angeboten hatte. 2016 führte der Hersteller schliesslich den höheren, kommerziellen Preis ein. In der Folge stellten viele Krankenkassen die Zahlungen ein und viele Betroffene waren gezwungen, wieder ein Leben im Schatten zu führen.

«Wir müssen permanent darum kämpfen, dass die Krankenkassen weiterhin das einzig wirksame Medikament bezahlen»Jasmin Barman, Molekularbiologin

Heute zahlen zwar wieder alle Schweizer Versicherungen für die Behandlung mit dem einzigen Medikament, das bei EPP hilft. «Aber wir müssen permanent darum kämpfen, diesen Zustand zu erhalten», so Barman. Denn die Versicherer würden immer wieder versuchen, die Therapie einzuschränken. Zum Beispiel, indem sie die Anzahl erstatteter Dosen von einem Jahr auf das andere einfach kürzten oder auf einmal die Mehrwertsteuer nicht mehr zahlen würden, was einem Behandlungsstopp gleichkomme, so Barman. «Für die behandelnden Ärzte bedeutet dies einen grossen Aufwand, und auch wir, die Betroffenen, fühlen uns schikaniert.» Vor allem aber macht es Angst. Denn ein Behandlungsstopp hat immer auch weitreichende Konsequenzen, sowohl für den Beruf als auch für das Privatleben. Mit Freunden am See sitzen und ein Eis essen, mit seinen Kindern eine Wanderung machen, einer Arbeit nachgehen, bei der man oft draussen an der Sonne unterwegs ist, und sogar drinnen arbeiten, wenn die Sonne an einem strahlenden Tag direkt ins Büro scheint – all diese Dinge sind ohne medikamentöse Therapie für EPP-Betroffene unmöglich.

Ursprung der Vampire?

Aber nicht allein die starke Lichtempfindlichkeit schürte das Gerücht, dass Menschen mit Porphyrie die realen Vorbilder für den Vampir-Mythos sind. Bei einer kurzen Recherche im Internet finden sich schnell die verschiedensten Argumente und Abhandlungen, die die Vampir-These stützen. Oft wird dabei der kanadische Wissenschaftler und Biochemiker David Dolphin herangezogen, der bereits in den 1980er-Jahren postulierte, dass die seltene Stoffwechselstörung zur Legende der blutsaugenden Untoten geführt habe. Indizien dafür sieht er nicht nur im lichtscheuen Verhalten von Porphyrie-Patienten, sondern auch in der ausgeprägten Blutarmut, unter der viele Betroffene leiden, weil der Körper aufgrund des Gendefekts zu wenig des roten Blutfarbstoffs produziert. Zudem fallen Patienten, die von der schweren CEP-Variante betroffen sind, oft durch rötlich verfärbte Zähne auf. Der Grund für die Verfärbungen liegt auch hier in der fehlerhaft ablaufenden Bildung des roten Blutfarbstoffs und den unfertigen Zwischenstufen, die dabei anfallen. Denn diese lagern sich bei CEP-Betroffenen auch in den Zähnen und den Knochen ein, die dadurch rot erscheinen – gerade so, als habe der Vampir soeben Blut getrunken. Ausserdem würden viele Porphyrie-Kranke Knoblauch meiden, weil darin enthaltene Inhaltsstoffe die Symptome angeblich verstärken.

Keine blutsaugenden Untoten

Obwohl einige der Porphyrie-Symptome also durchaus an das erinnern, was viele heute unter einem Vampir verstehen und selbst Wissenschaftler diese Verbindung herstellen, ist die Theorie nicht unumstritten. Auch Jasmin Barman, die als Molekularbiologin am Triemli-Spital in Zürich arbeitet, wo sie am Institut für Labormedizin ihre eigene Krankheit erforscht, findet, dass sich die seltenen Stoffwechseldefekte der Porphyrien nicht dazu eignen, um den Vampir-Mythos zu erklären. Zum einen deshalb, weil die Vampir-These die verschiedenen Porphyrie-Erkrankungen mit ihren zum Teil sehr unterschiedlichen Symptomatiken in einen Topf werfe. Zum anderen, weil sie viel zu selten vorkämen. Von der CEP, jener Form der vererbten Stoffwechselstörung, die dem heutigen Bild eines «typischen» Vampirs am nächsten käme, ist gerade mal eine Person unter einer Million Menschen betroffen. Bei der EPP ist die Wahrscheinlichkeit etwas höher. Hier leidet rund einer von 150 000 Menschen darunter. Aber auch das sind viel zu geringe Zahlen, als dass sich daraus eine über Jahrhunderte anhaltende Legende hätte entwickeln können. Denn Berichte über vampirähnliche Gestalten gab es bereits in der Antike und nicht erst seit Bram Stokers Graf Dracula.

«Früher konnte ich das Haus nur vermummt und mit Schirm geschützt verlassen und hatte trotzdem noch Probleme»Jasmin Barman

Abgesehen davon existiert gar kein einheitliches Bild eines «typischen» Vampirs. Denn während die Blutsauger in den Kinofilmen der Neuzeit in aller Regel bleich sind und das Tageslicht scheuen, trieben die bluthungrigen Gesellen aus den volkstümlichen Erzählungen auch am Tag ihr Unwesen – wegen des regelmässigen Blutkonsums mitunter sogar wohlgenährt und mit rosigen Wangen. Und obwohl Porphyrie-Patienten oft unter Blutarmut leiden, spüren sie weder ein Verlangen danach, Blut zu trinken, noch würde ihnen dies helfen. Denn dadurch gelangt das Blut lediglich in den Magen, wo es wie jede andere Nahrung in seine Einzelteile zerlegt wird. Der rote Blutfarbstoff kann damit also nicht als Ganzes vom Verdauungstrakt direkt in die Blutbahn gelangen, sondern lediglich in seinen Bestandteilen. Von diesen Ausgangsstoffen produzieren Porphyrie-Betroffene aber selbst genug. Deshalb sind Blutinfusionen direkt in die Blutbahn die einzigen Therapien, die aus medizinischer Sicht bei akuter Blutarmut helfen – das Trinken von Blut hingegen sicher nicht.

Das bestätigt auch Jasmin Barman. Augenzwinkernd meint die selbst Betroffene, dass ihr weder in den medizinischen Behandlungszentren noch bei einem der Treffen der Selbsthilfegruppen unter den Porphyrie-Patienten ein gewisser Blutdurst aufgefallen wäre. Nicht einmal eine Vorliebe für andere rote Getränke wie zum Beispiel Tomatensaft. Und wenn einige davon Knoblauch meiden, dann täten sie dies aus einem einfachen Grund: weil sie den Geschmack nicht mögen.

Dieser Beitrag erschien erstmals im doppelpunkt.
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