Die Coronapandemie der vergangenen Monate hat das enorme Gefährdungspotenzial von leicht übertragbaren Infektionskrankheiten deutlich gemacht. Das gilt nicht nur für Menschen, sondern auch für Tiere: Verheerende Seuchen wie die Maul- und Klauenseuche bei Rindern und Schweinen können Nutztierbestände grossflächig gefährden. In der globalisierten Welt sind aber auch eingeschleppte exotische Seuchen eine reale Bedrohung für einheimische Tiere. Das ist einer der Gründe, warum die BFH vor gut einem Jahr mit der Aufgabe betraut wurde, im Rahmen des Schweinegesundheitssystems PHIS (Pig Health Info System) ein digitales Monitoringsystem für die gesamte Schweiz zu entwickeln und einzuführen. Dazu gehören ein App für die Datenerfassung, eine Datenbank, Möglichkeiten für den Datenimport aus bestehenden Datenbanken (u.a. Tierarztpraxissoftware, Tierpathologie), Datenanalysen und -visualisierungen.

«Ein Überblick fehlt»

Bereits heute werden in der Schweizer Schweinehaltung grosse Mengen von Daten digital bearbeitet. «Einen gesamtschweizerischen, aktuellen Überblick zum Gesundheitszustand der Schweinebestände gibt es im Moment hingegen nicht», sagt Daniela Hadorn, Leiterin Fachbereich Früherkennung und Überwachung Tiergesundheit beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). Die Daten werden derzeit nur regional von den jeweiligen Bestandes-Tierärzten erfasst und dies erst noch sehr unterschiedlich.

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Das neue digitale Monitoringsystem soll Abhilfe schaffen: Tierärztinnen und Tierärzte in der ganzen Schweiz können dabei mit der App während einer Bestandsuntersuchung alle relevanten Befunde einheitlich digital festhalten. Dabei handelt es sich um Daten, die bei einer tierärztlichen Untersuchung auch unabhängig vom PHIS üblicherweise erfasst werden. Dazu gehören Symptome und Diagnosen, die Umgebung (u.a. Gruppengrösse/Belegungsdichte, Temperatur, Licht, Auslauf, allgemeine Sauberkeit), das Management (u.a. Fütterung, Wasserversorgung, Impfungen, Reinigung und Desinfektion, Beschäftigung) und das weitere Vorgehen (u.a. allfällig weiterführende Untersuchungen, Therapie, Schlachtung). Geplant ist, dass mit der neuen App auch Bilder und kurze Videosequenzen erfasst werden können.

Die so erhobenen Daten liefern schnell einen aktuellen Gesamtüberblick und ermöglichen es, ein zeitlich und räumlich gehäuftes Auftreten bestimmter Symptome automatisch zu erkennen. «Damit könnte zum Beispiel ein Seuchenfall rascher erkannt und schneller mit Massnahmen darauf reagiert werden, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern», erklärt Daniela Hadorn vom BLV.

Heikle Datenschutzfragen

Das BLV unterstützt die Entwicklung des Monitoringsystems finanziell. An der Entwicklung beteiligt sind unter anderem die Veterinärfakultäten der Universitäten Bern und Zürich sowie Landwirtschaftsvertreter und Tierärztinnen. Womit eine der grössten Herausforderungen für die Entwickler von der BFH bereits benannt ist: In diesem Projekt treffen viele verschiedene Interessen und Ansprüche aufeinander. Deshalb war es wichtig, alle Beteiligten frühzeitig in den Entwicklungsprozess einzubeziehen, regelmässige Treffen einzuberufen und abgestufte Tests durchzuführen. Das erhöht die allseitige Akzeptanz.

BFH

Die PHIS-App ermöglicht ein zeitnahes Monitoring der Tiergesundheit in Schweizer Schweinebeständen.

Diese Akzeptanz ist umso wichtiger, weil auch wichtige und heikle Datenschutzfragen geklärt werden müssen. Mit der neuen App können Tierärzte den jeweiligen Landwirten per PDF einen Bericht mit den Befunden der aktuellen Untersuchung ihrer Schweine zukommen lassen. Aber die Daten dürfen selbstverständlich nicht öffentlich einsehbar sein. Es ist unabdingbar, dass der Datenschutz jederzeit gewährleistet ist.

Zu den grössten technischen Herausforderungen gehörte auch der Transfer der bestehenden Daten der Tierbestände. Die Daten sind komplex und sehr unterschiedlich. Es mussten also Wege gefunden werden, sie zu bereinigen und zu vereinheitlichen. Zudem ist es wichtig, dass das Hinzufügen weiterer Tierbestände einfach und schnell geht. Darüber hinaus müssen Tierärztinnen und Tierärzte ihre Beobachtungen auch im Offlinemodus in die App eingeben können, falls weder WiFi noch Mobilfunkabdeckung verfügbar sind.

«Pilot-App kommt gut an»

Einer der wichtigsten Ansprüche an die App ist deren Benutzerfreundlichkeit. Je mehr qualitativ gute Daten vorliegen, umso genauer lassen sich die tatsächliche Gesundheitssituation beschreiben und allfällige Probleme aufzeigen. Dafür muss die App rege genutzt werden. Und das wird sie nur, wenn sie einfach anzuwenden ist und die tägliche Arbeit der Tierärztinnen und Tierärzte erleichtert. Im ersten Projektjahr wurde ein Prototyp der App entwickelt. Um ausgiebig zu testen, ob die Bedürfnisse der Praktiker angemessen berücksichtigt werden, wird sie nun seit Juni 2020 von aktuell elf praktizierenden Tierärztinnen und Tierärzten in der täglichen Arbeit genutzt. Mit deren Rückmeldungen wird sie fortlaufend verbessert.

Die ersten Resultate sind ermutigend. «Die Pilot-App kommt bei den Tierärzten gut an, sie ist ein guter erster Schritt», sagt Claudia Egle von der Schweineklinik der Universität Bern. Sie lobt die Zusammenarbeit mit der BFH. «In diesem Projekt treffen mit der Tiermedizin und der Informatik zwei sehr unterschiedliche Fachbereiche aufeinander. Es ist klar, dass es da unterschiedliche Ansichten und Herangehensweisen gibt und man sich erstmal finden muss. Das ist aber schnell und gut gelungen.» Auch für Daniela Hadorn vom BLV geht die Entwicklung der App «in die absolut richtige Richtung».

Die PHIS-App ist sowohl für Android-Geräte wie auch für iPhones konzipiert. Bis Mitte 2022 wird das dreijährige Projekt abgeschlossen. Danach soll die PHIS-App bei Tierärztinnen und Tierärzten in der ganzen Schweiz möglichst grossflächig zum Einsatz kommen.

Dieser Beitrag stammt von der Berner Fachhochschule BFH. Er erschien erstmals im BFH-Magazin «spirit biel/bienne» 2020/3.
Kontakt zum Projektverantwortlichen: Dr. Ulrich Fiedler, Professor für Mobile Computing, BFH.
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