Das musst du wissen

  • «Sars-CoV-2 war unerwartet tödlicher als Tretroller: Könnte Hydroxychloroquin die alleinige Lösung sein?»
  • Eine Studie mit diesem absurden Titel veröffentlichten Schweizer und französische Forscher diese Woche.
  • Sie zogen sie wieder zurück, denn die Studie war Humbug. Sie sollte zeigen, wie einfach man Unsinn veröffentlichen kann.

Am 15. August 2020 wurde eine erstaunliche wissenschaftliche Studie veröffentlicht. Ihr absurder Titel, «Sars-CoV-2 war unerwartet tödlicher als Tretroller: Könnte Hydroxychloroquin die alleinige Lösung sein?», wird aufmerksamen Lesern so manche Kontroverse der letzten Monate in Erinnerung rufen. Bei der Studie handelt es sich um einen Scherz, hinter dem vier Forscher stecken, unter ihnen zwei aus der Schweiz. Die Studie ging innerhalb weniger Stunden durch die sozialen Netzwerke, bevor sie am 16. August zurückgezogen wurde.

Warum das interessant ist: Abgesehen davon, dass man sich darüber köstlich amüsieren kann, enthüllt die Scherz-Publikation das undurchsichtige Geschäft der so genannten «predatory journals» (higgs berichtete). Wenn man genug Geld in die Hand nimmt, kann man in solchen Zeitschriften irgendetwas veröffentlichen und sich dabei noch ein wohlwollendes Gutachten, auch «Peer Review» genannt, leisten. Und dies, ohne dass auch nur überprüft würde, ob die Autoren, deren Namen und Institutszugehörigkeiten für die Scherz-Studie erfunden wurden, existieren! Der Scherz ist also eine Kritik an den Exzessen des wissenschaftlichen Publizierens und dem Druck, immer mehr und mitunter egal wo zu publizieren.

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Die Scherz-Studie: Sie wurde am 15. August im «Asian Journal of Medicine and Health» veröffentlicht, bevor sie am 16. August von den Herausgebern zurückgezogen wurde. Man kann sie jedoch weiterhin von der Website «Research Gate» herunterladen. Der Artikel wurde von offensichtlich fiktiven Persönlichkeiten geschrieben, wie «Didier Lembrouille» – ein Verweis auf den französischen Forscher Didier Raoult, der Ende Februar erklärte, dass es nicht mehr Tote durch Covid-19 als durch Rollerunfälle geben würde –, «W. Oodedijk» vom Institut «BITE» (eine umgangssprachliche Bezeichnung für ein männliches Geschlechtsorgan), «Otter F. Hantome von der l’Université de Melon» (also von der Melonen-Universität), nicht zu vergessen «Némo Macron» (der nichts anderes ist als der Hund des französischen Präsidenten), und auch ein gewisser «Sylvano Trottinetta» vom Kollektiv «Laissons les Vendeurs de Trottinette Prescrire» (zu deutsch etwa: «Lassen wir die Roller-Verkäufer bestimmen»). Der letzte Autor rundet den Klamauk ab: Er ist kein anderer als «Manis Javanica», der wissenschaftliche Name einer Pangolinart. Was den Text betrifft, so ist er voller mehr oder weniger für die Öffentlichkeit geeigneter Witze.

Hinter dem Stunt stecken vier Forscher: Mathieu Rebeaud, Doktorand in Biochemie an der Universität Lausanne; Florian Cova, Professor für Philosophie an der Universität Genf; Michaël Rochoy, Leiter der Klinik der Universitäten für Allgemeinmedizin in Lille; und Valentin Ruggieri, Arzt und Mitglied des «Observatoire Zététique» in Grenoble. Im Studientext gestehen die Autoren, dass ihre Idee ursprünglich auf Twitter entstand. Und für die bescheidene Summe von 85 Dollar konnten sie damit in einem scheinbar wissenschaftlichen Magazin landen.

Die Botschaft: Wieso haben sich die Forscher, die schon seit Beginn der Corona-Pandemie in den sozialen Netzwerken an mangelhafter Wissenschaft Kritik üben, dafür entschieden, diese in Form einer Scherz-Studie auszudrücken? Mathieu Rebeaud erklärt:

«Als Wissenschaftler erhalten wir Aufrufe, in «predatory journals» zu publizieren oder für die Zeitschriften Studien zu begutachten, wofür wir Preisnachlässe erhalten. […] Wir kennen dieses System und vermeiden es. Aber für Leute, die nichts darüber wissen, verleiht es Studien oder Forschern, die sehr schlechte Artikel verfassen, Glaubwürdigkeit! Violaine Guérin und Martine Wonner (vom französischen Kollektiv «Laissons les médecins prescrire», Anm. d. Red.) hatten in derselben Zeitschrift eine Studie veröffentlicht, die den Nutzen von Hydoxychloroquin gegen Covid-19 preist, und behauptet, diese Ergebnisse seien es wert in «The Lancet» veröffentlicht zu werden. Wir haben versucht, sie davor zu warnen, dass es sich um ein «predatory journal» handelt. Da sie nicht auf uns hörten, sagten wir uns: Wenn es tatsächlich eine unseriöse Zeitschrift ist, werden sie bereit sein, etwas völlig Verrücktes zu veröffentlichen. Und das ist passiert! Anstatt uns  in sozialen Netzwerken zu verzetteln, hielten wir es für effizienter, die Argumente auf komische Art und Weise zu zerlegen, indem wir in derselben Zeitschrift veröffentlichen. Es geht darum, zu zeigen, dass nur weil etwas veröffentlicht wird, es noch lange nicht gut ist.»

Das Schlimmste ist, dass die Scherz-Studie auch noch im «peer reviewed», also von Experten begutachtet wurde! Mathieu Rebeaud fährt fort:

«Es gab während der Begutachtung nur sehr wenige Fragen, und die waren völlig daneben. Wir wurden gefragt, warum wir schrieben, dass wir an unseren Bürostühlen arbeiten, weil das jeder macht, also sagten wir, dass wir an Ikea-Möbeln arbeiten, was den Gutachter zufrieden zu stellen schien. […] Sie konzentrierten sich auf Details, was völlig unsinnig ist. Sie versuchten ernst zu bleiben, während sie – mit geringfügigen Änderungen – einen Artikel akzeptierten, in dem jeder Satz ein Witz ist. Wir schrieben zum Beispiel: «Ist es möglich, einfach nur irgendetwas zu veröffentlichen, egal was? Wir glauben, dass die Antwort schnell gefunden ist». Darüber hinaus hatte ich als Erstautor die Gelegenheit, Gespräche mit den Herausgebern von Fachjournalen zu führen. Es ist klar, dass gute Journale eine solche Studie nicht akzeptiert hätten. Ich habe ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass wir damit durchkommen.»

Die Ursache des Problems: Es ist nicht das erste Mal, dass eine Scherz-Studie durch die Maschen der Qualitätskontrolle wissenschaftlicher Studien gefallen ist: Man erinnere sich nur an den Fall Alan Sokal im Jahr 1996. Der Physiker hatte einen pseudowissenschaftlichen Text in einer Zeitschrift eingereicht, die sich den postmodernen Kulturwissenschaften widmet (in der eigentlich keine Texte über Quantenphysik zu lesen sein sollten).

Die Kritik hier ist jedoch eine andere: Sie weist direkt auf das Problem hin, das sich aus dem Geschäft der «predatory journals» ergibt. Diese sind zwar den Forschern bekannt, der breiten Öffentlichkeit jedoch viel weniger. Diese mag die in «predatory journals» veröffentlichten Studien eher für seriös halten, was bei einem so brisanten Thema wie Hydroxychloroquin einen beträchtlichen Reputationsschaden für die Wissenschaft zur Folge hat.

Dieses schädliche System kam jedoch nicht aus dem Nichts: Es ist die Folge jahrzehntelanger Wissenschaftspolitik. Noch immer werden zur Beurteilung der Qualität der Forschung Messmethoden verwendet, die auf der Anzahl von Publikationen oder Zitaten basieren. Man nennt das System auch «publish or perish» – publiziere oder gehe unter.

Mathieu Rebeaud schliesst philosophisch:

«Ich hoffe, dies wird nicht die meistgelesene Publikation meiner Karriere, aber auf jeden Fall habe ich viel gelacht.»

Dieser Beitrag wurde erstmals auf Heidi.news veröffentlicht. Unsere Autorin Cornelia Eisenach hat ihn aus dem Französischen übersetzt.

Heidi.news

Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
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