In kostbare Gewänder gehüllt, mit Edelsteinen und Perlen besetzt, liegt sie gebettet auf Samt: die heilige Clara. Doch ihre Augenhöhlen sind leer, denn es handelt sich nur um ihre sterblichen Überreste, ihr Skelett. Clara liegt heute im Museum Blumenstein in Solothurn in einem Schrein. Ihre Vergangenheit birgt ein Geheimnis, das Forschende der Universität Bern nun gelüftet haben.

Im Jahr 1578 entdeckten Arbeiter bei Rom eine Höhle. Es waren Katakomben, in denen die Römer in der Spätantike ihre Toten bestatteten. Deren Gebeine gelangten während der folgenden 200 Jahre als Reliquien in verschiedene Teile Europas, auch in die Schweiz. Hier verehrten die Menschen sie als Heilige. Denn man dachte damals, in den römischen Katakomben seien ausschliesslich frühchristliche Märtyrer bestattet.

Die Nachfrage nach solchen Skeletten war gross, da zur Zeit der Reformation im 16. Jahrhundert viele Reliquien zerstört wurden. Nun sollten die sogenannten Katakombenheiligen den katholischen Glauben stärken. So auch die heilige Clara in Solothurn.

Doch an ihrer Echtheit kamen später Zweifel auf. Denn mit dem Bedarf nach immer neuen Heiligen aus Rom war ein regelrechter Handel mit Gebeinen entstanden. So kursierten auch Fälschungen. Etwa Skelette, die aus viel jüngerer Zeit stammten, oder gar solche, die aus Tierknochen zusammengesetzt wurden. Deshalb war fraglich: Stammt die heilige Clara wirklich aus der Römerzeit? Oder ist sie eine Fälschung?

Institut für Rechtsmedizin, Universität Bern

Auf meterlangen Bahnen von Röntgenfilm machten die Forscher die Knochen sichtbar, welche Hinweise auf das Geschlecht geben.

Sechs Meter Röntgenfilm

Dieses Rätsel lösen wollten Wissenschaftler der Abteilung Anthropologie der Universität Bern. Sie beschlossen, Clara auf ihre Echtheit zu testen. «Es ist schwierig, für wissenschaftliche Untersuchungen überhaupt Zugang zu Katakombenheiligen zu erhalten», sagt Anthropologin Amelie Alterauge. Die Gebeine sind meist in Schreinen in Kirchen ausgestellt, unter Kleidern, Stoffen und Schmuck verborgen. Und diese konnte die Wissenschaftlerin ihnen für die Untersuchung nicht ausziehen, zu wertvoll sind die zerbrechlichen Textilien. Deshalb musste sie eine Methode anwenden, die die Knochen unter dem Zierrat sichtbar macht: Röntgen.

Dazu brachte Thomas Becker, Spezialist für Röntgenuntersuchungen an Kunstgegenständen, zwei Meter lange Streifen Röntgenfilm an der Rückseite von Claras Schrein an, je drei Bahnen übereinander. Mit einem mobilen Röntgengerät bestrahlte er die Heilige. Die Bilder erlauben es einerseits, das Geschlecht der Verstorbenen festzustellen. Andererseits zeigen sie, ob alle Knochen des Skeletts vorhanden sind und zueinander passen. Denn bei Fälschungen wurden oft Knochen von verschiedenen Skeletten zusammengewürfelt.

Nonnen schmückten Skelette

Die Knochen von Clara setzten Nonnen des Klosters Namen Jesu in Solothurn im Jahr 1753 zusammen. So ist es in den Chroniken des Klosters vermerkt. Das Prozedere war bei allen Skeletten dasselbe. Die Knochen gelangten in Transportkisten durch Händler oder Reisende an ihren Bestimmungsort. Hier fügten die Nonnen die Gebeine mit Metallgerüsten und Drähten zusammen. Schliesslich kleideten sie sie in Roben, besetzten sie mit Edelsteinen und Perlen und betteten sie auf Kissen. Als Symbol für das Märtyrertum gaben die Nonnen dem Skelett Palmwedel und Schwert in die Hände.

Institut für Rechtsmedizin, Universität Bern

Der Schädel wurde in der Barockzeit prunkvoll mit Stickereien verziert.

Auch Clara wurde auf diese Art zusammengesetzt. «Alle Knochen sind korrekt zusammengefügt», sagt Amelie Alterauge. Die Nonnen hätten also anatomische Kenntnisse gehabt. Und: Claras Skelett ist bis auf wenige Knochen vollständig. Nur einzelne Fingerund Zehenglieder sind aus Holz nachgebildet. «Die kleinen Knochen gingen vermutlich während der Bergung oder des Transportes verloren», sagt Alterauge. «Aber es war offenbar äusserst wichtig, dass der Körper ganz gezeigt werden konnte.» So ersetzten die Nonnen die fehlenden Glieder mit Holzprothesen. «Überraschend ist, dass auch das Geschlecht stimmt», sagt Alterauge. Das Skelett ist tatsächlich das einer Frau. Unklar war aber noch immer, ob sie in der Römerzeit verstorben war. Dies sollte nun eine Radiokarbon-Datierung klären (siehe Box).

Solange Clara im Kloster Namen Jesu ausgestellt wurde, stellte niemand ihre Echtheit infrage. Bis ins Jahr 1971. Dann erlitt Clara dasselbe Schicksal wie viele andere Katakombenheilige. Man begann sich zu schämen für die aus heutiger Sicht grotesk geschmückten Gebeine und versteckte sie. So landete auch die heilige Clara auf dem Dachboden des Klosters. Von wo sie anlässlich einer Ausstellung im Jahr 2009 ins Museum Blumenstein kam.

Rippe verrät das Alter

«Die Probe für die Radiokarbon-Datierung mussten wir dem Skelett so schonend wie möglich entnehmen», sagt Anthropologin Alterauge. Einer ihrer Arbeitskollegen griff vorsichtig durch den Ausschnitt von Claras Kleid und entnahm eine Rippe. Die Probe kam an die ETH Zürich, wo ein Speziallabor die Datierung durchführte. Diese ergab, dass die heilige Clara zwischen 128 und 315 nach Christus verstorben ist.

«Dieses Ergebnis ist erfreulich», sagt Alterauge. Denn auch wenn sich nicht endgültig beweisen lässt, dass das Skelett aus den römischen Katakomben stammt: Die zeitliche Einordnung stimmt. Damit ist die heilige Clara rehabilitiert. Ob sie aber wirklich eine Heilige war, wie die Menschen früher glaubten, wird für immer ihr Geheimnis bleiben.

Das Alter von Knochen bestimmen

Um das Alter von organischem Material – etwa Holz oder Knochen – zu bestimmen, misst man den Gehalt von C14. Das radioaktive Kohlenstoffisotop entsteht in der Atmosphäre und wird von allen lebenden Organismen wie Pflanzen, Tieren und auch Menschen aufgenommen. Da es instabil ist, zerfällt es mit der Zeit, wird jedoch immer wieder durch neues C14 ersetzt. Dadurch bleibt der Gehalt im Körper zeitlebens gleich. Erst nach dem Tod, wenn kein neues C14 mehr aufgenommen wird, sinkt der Gehalt langsam ab. Da bekannt ist, wie schnell das geschieht, lässt sich berechnen, wie lange das Lebewesen schon tot ist.

Die Erstversion dieses Beitrags erschien am 1. April 2016.
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