Das musst du wissen

  • Die Corona-Science-App fragt Nutzer nach ihrem Gesundheitszustand und ihrem Befinden.
  • Diese Daten werden auf der Platform Midata gespeichert und in anonymisierter Form veröffentlicht.
  • Die App-Entwickler wollen so lokale Ausbrüche schneller erkennen und die Symptomentwicklung über lange Zeit verfolgen.

Erste Symptome von Covid-19 zeigen sich Tage, bevor getestet wird. Die Verfolgung von Ausbrüchen ist deshalb stets verzögert. Was aber, wenn das Auftreten der Symptome in Echtzeit verfolgt würde? Das ist ein Ziel der Corona-Science-App – nicht zu verwechseln mit der Proximity-Tracing-App des Bundes. In der Corona-Science-App geben ihre Nutzer freiwillig Auskunft zu ihren Symptomen. So könnten etwa lokale Corona-Ausbrüche frühzeitig identifiziert werden und mehr Wissen über den Langzeitverlauf der Krankheit entstehen. Entwickelt haben die App Forschende der Berner Fachhochschule (BFH) in Zusammenarbeit mit der Plattform Midata.
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Die App ist seit Mitte April in den App-Stores erhältlich. Sie erfasst den Gesundheitszustand und das Befinden der Nutzer, also etwa ob diese Fieber haben, positiv auf Sars-CoV2 getestet wurden oder worüber sie sich Sorgen machen. Die App fragt Nutzer mit positivem Test auch, wo sie denken, sich angesteckt zu haben, etwa beim Einkauf oder im Öffentlichen Nahverkehr. Dies sei nur ein Unterschied der Corona-Science-App gegenüber der Proximity-Tracing-App, sagt Serge Bignens, Leiter des Instituts für Medizininformatik an der Berner Fachhochschule, der die App mitentwickelt hat. «Ausserdem dokumentiert die App die Symptomentwicklung über einen langen Zeitverlauf, man erfährt somit etwas über Langzeitfolgen», sagt Bignens.

Ausbrüche früh erkennen

Mit einem ähnlichen Ansatz hatten Wissenschaftler aus Grossbritannien und den USA bereits Erfolg. In einer kürzlich im Fachmagazin Science erschienenen Studie berichten sie von einer App mit 2,8 Millionen Nutzern, die Symptome auf Grundlage von Selbstauskunft verfolgt. Anhand der Symptome konnten die Forscher etwa eine Häufung von Covid19-Fällen in Süd-Wales voraussagen – und das schon fünf bis sieben Tage bevor die Fälle durch Tests oder Spital-Einweisungen erfasst wurden.

Science-Check ✓

Studie: Rapid implementation of mobile technology for real-time epidemiology of COVID-19KommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Studie leidet an einer Stichprobenverzerrung. Denn dadurch, dass die Nutzer sich eine App auf dem Smartphone installieren müssen, wird nur eine bestimmte Gruppen von Menschen für die Studie ausgewählt. Man spricht von einer Selbstselektion. Diese Stichprobenverzerrung ist übrigens auch ein Problem der Corona-Science-App. Die Studie ist deshalb nur beschränkt aussagekräftig.Mehr Infos zu dieser Studie...

Doch wie steht es mit dem Schutz der Daten, die Nutzerinnen über die «Corona-Science-App» zur Verfügung stellen? Nach dem Runterladen müssen die Nutzer ein Datenkonto bei Midata anlegen. Midata versteht sich als Genossenschaft, bei der Menschen ihre Daten zum Wohle der öffentlichen Gesundheit spenden. Die Daten bleiben im Besitz der Nutzer und können jederzeit gelöscht werden.

Ein Teil dieser persönlichen Daten wird in anonymisierter Form zusammengefasst oder aggregiert. Die aggregierten Daten werden der Öffentlichkeit über Open Data-Kanäle zu Verfügung gestellt. So können sie sowohl Forschende, als auch Institutionen oder Privatpersonen einsehen und nutzen. Bei der Weitergabe und Zusammenfassung der Daten werden bestimmte Vorsichtsmassnahmen getroffen, um eine Re-Identifikation der Teilnehmer zu vermeiden, erklärt Bignens (siehe Infobox).


Wie gut sind die Daten geschützt?

Die Daten, die Nutzer über die Corona-Science-App zur Verfügung stellen, sind anonymisiert. Dabei reicht es nicht, nur den Namen zu löschen. Wenn Daten wie etwa Geburtsjahr und Postleitzahl öffentlich würden, könnten sie mit anderen Datensätzen, etwa dem Wohnregister oder Informationen von Social Media Profilen zusammengeführt werden und Personen so identifiziert werden.

Um so etwas zu verhindern, gibt die Corona-Science-App zum Beispiel nicht das genaue Geburtsdatum weiter, sondern nur das Fünfjahreszeitfenster in dem das Geburtsjahr liegt. Auch wird nicht etwa die Postleitzahl sondern nur der Wohnkanton für die Daten-Zusammenfassung verwendet. Eine weitere Schutzmassnahme ist, dass bestimmte Daten unterdrückt werden: So fliessen Angaben wie etwa die Anzahl der positiven Tests in einem Kanton nur dann in die Zusammenfassung ein, wenn Daten von einer Mindestanzahl von Personen, zum Beispiel von 50 Personen, zur Verfügung stehen. Das heisst, wenn in einem Kanton 49 Personen positiv sind, so würden diese nicht in der Statistik auftauchen.

Die Daten erst ab einer bestimmten Anzahl von Personen öffentlich zu machen sei zwar eine Möglichkeit, um persönliche Angaben geheim zu halten, aber nur die primitivste Art des Schutzes sagt Matthias Templ, Experte für die Anonymisierung von personenbezogenen Daten von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. «Oft lassen sich jene Werte und Aggregationen die nicht in der Statistik auftauchen sollten und somit nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollen, aus den zusammengefassten Datensätzen wieder berechnen.» Auch wenn dies in der Praxis wahrscheinlich nicht geschehen werde.

«Es gibt bessere Methoden, nicht nur um die Geheimhaltung zu gewährleisten, sondern auch um die Datenqualität zu erhöhen», sagt Templ. Dazu gehört zum Beispiel, die Daten zu verzerren, also die absoluten Werte in einem Datensatz nach bestimmten Regeln zu verändern. Denn, wenn eine hohe Anzahl von Daten unterdrückt werden muss und gleichzeitig die Anzahl der Datenpunkte, etwa der Positiv-Tests, sehr gering ist, dann sagen die öffentlich zugänglichen Zahlen sehr wenig aus.

Zu wenige Nutzer

Ein Problem ist allerdings, dass viele Menschen die App nutzen müssen, damit der Verlauf der Infektionen akkurat verfolgt werden kann. Im Moment habe die App 5 000 Nutzer, nötig wären aber zirka 50 000 Personen schweizweit damit man bei der derzeitigen Anzahl der Neuinfektionen eine sinnvolle Aussage machen könne, sagt Bignens. Auch das Kontakt-Tracing-App des Bundes kämpft mit diesem Problem.

Das Ziel der Corona-Science-App ist es unter anderem, lokale Ausbrüche zu verfolgen und dem Bund beim Planen einer Exit-Strategie zu helfen. Dies geht allerdings nur, wenn sich die Entscheidungsträger, etwa das Bundesamt für Gesundheit (BAG), auch auf diese Daten stützen. Doch das passiert im Moment nicht. Dazu schrieb Daniel Dauwalder, Mediensprecher des BAG auf Anfrage von higgs: «Das BAG plant nicht, die Daten der App zu nutzen». Im Moment stehe für das BAG die Proximity-Tracing-App im Vordergrund. Symptome in Echtzeit zu verfolgen und Ausbrüche so früh zu erkennen – das bleibt deshalb zumindest vorerst unrealistisch.

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