Das musst du wissen
- Wie viele rote Blutkörperchen in unserem Blut sind, hängt von Alter, Geschlecht und der Höhe, auf der wir leben, ab.
- Bisher ging die Wissenschaft davon aus, dass die Höhe aber erst über 1500 Metern den Hämoglobinwert verändert.
- Schweizer Forschende zeigen nun: Unser Körper merkt bereits Höhenunterschiede von 300 Metern und passt sich an.
Theoretisch leidet jede zweite Frau weltweit an Blutarmut. Jedenfalls, wenn man die Hämoglobingrenzwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) streng anwendet. «Das kann fast nicht sein», sagt Max Gassmann vom Zürcher Zentrum für Integrative Humanphysiologie der Universität Zürich. Gassmann unterstützt deshalb die WHO seit über zwei Jahren dabei, die Normwerte für Hämoglobin neu festzulegen. Das ist schwierig, denn allgemeingültige Normwerte gibt es nicht: Die Anzahl und Dichte roter Blutkörperchen im Blut – das ist es, was der Hämoglobinwert angibt – variiert von Mensch zu Mensch. Dabei spielt das Alter ebenso eine Rolle wie das Geschlecht, die Ethnizität und die Ernährungsgewohnheiten. Und auch: die Höhe, auf der wir leben.
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Viele kennen es: Beim hochalpinen Wandern geraten wir ausser Atem. Da die Sauerstoffzufuhr dort geringer ist, beginnt der Körper nach acht bis zehn Tagen, mehr rote Blutkörperchen zu produzieren, um mehr Sauerstoff aus der dünnen Luft aufnehmen zu können. Bisher dachte man, dass dieser Effekt erst über 1500 Metern einsetzt. Schweizer Forschende um Max Gassmann haben nun aber herausgefunden: Auch unter 1500 Metern variiert der Hämoglobinwert je nach dem, ob jemand in Graubünden auf der Alp wohnt oder in der Stadt Zürich. Die Studie ist nun in der Fachzeitschrift «Blood» publiziert worden.
Science-Check ✓
Studie: Hemoglobin concentration of young men at residential altitudes between 200 and 2000 masl mirrors Switzerland's topography: how a precise oxygen sensing mechanism might have evolvedKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDer Datensatz ist aussergewöhnlich einheitlich, wodurch Verzerrungen minimiert wurden. Die Resultate sind dadurch sehr zuverlässig. Allerdings ist das die erste Studie, welche die Veränderung der Hämoglobin-Werte unterhalb von 2000 Metern untersucht hat. Es braucht weitere Studien, um die Ergebnisse definitiv zu bestätigen.Mehr Infos zu dieser Studie...Die Schweizer Forschenden untersuchten die Hämoglobinwerte von Stellungspflichtigen, die währen der Rekrutierung freiwillig Blutproben abgaben. «Eine so einheitliche Probandengruppe ist weltweit einzigartig», sagt Max Gassmann, Letztautor der Studie. Die Forschenden analysierten also die Blutwerte von jungen Männern, die meist eine ähnliche Ethnizität aufweisen, sich ähnlich ernähren und ähnlich gebildet sind. Dann verglichen die Forschenden die Blutwerte mit der Höhe, auf der die angehenden Rekruten leben. Beziehungsweise: «Wir korrelierten die Wohnhöhen der Postleitzahlen mit den Hämoglobinwerten», sagt Gassmann, «und wir erhielten eine akkurate Höhenkarte der Schweiz». Die Daten zeigen, dass sich die Hämoglobinwerte bereits ab einer Höhendifferenz von 300 Metern ändern. «Die Unterschiede der Hämoglobinwerte sind zwar klein», sagt Kaspar Staub, Erstautor vom Institut für Evolutionäre Medizin in Zürich. «Die klinische Relevanz ist aber gegeben, wenn man die Verteilung anschaut.» In der Höhe seien keine tiefen Hämoglobinwerte mehr zu finden, die Resultate seien robust.
Doch wie merkt der Körper bei so kleinen Höhenunterschieden, dass er mehr rote Blutkörperchen produzieren sollte? Entscheidend ist hier der Sauerstoffsensor, den jede einzelne Zelle des Körpers besitzt. Denn auch im Körper selber gilt: jede Region braucht unterschiedlich viel Sauerstoff. Hirn und Herz brauchen viel, Knorpelzellen dagegen eher wenig. Jede Zelle hat also eigene Grenzwerte. Und wenn diese Grenzwerte erreicht sind, verlangt nach mehr roten Blutkörperchen.
Der Sauerstoffsensor spielt aber bei verschiedenen Ethnien eine unterschiedliche Rolle: Die Bevölkerung des tibetischen Hochlandes zum Beispiel passt sich aufgrund einer Mutation des Sauerstoffsensors anders an die Höhe an als beispielsweise die südamerikanischen Indios. Der Sauerstoffsensor reagiert bei Tibetern viel langsamer, dafür weitet sich zum Beispiel das Lungenvolumen aus. Ihr Körper hat sich an das permanente Leben auf 4500 Metern gewöhnt. Kein Wunder, ist der Sauerstoffsensor da nicht permanent in Betrieb. Denn wenn er aktiv wird, löst das hundete von Prozessen im Körper aus. Darunter auch die Ausschüttung von Stresshormonen. Die Höhe stresst die Tibeter aber nicht mehr. Schweizer können da nicht mithalten.