Das musst du wissen

  • Als extreme Frühgeburten gelten Babys, die vor der 28. Lebenswoche zur Welt kommen. Ihr Zustand ist oft kritisch.
  • Über die Ursachen dieser extremen Frühgeburten ist nur wenig bekannt.
  • Nun registrierten einige Länder weniger dieser Fälle während des Lockdowns. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren.
Den Text vorlesen lassen:

Als die Welt Anfang dieses Jahres im Lockdown war, standen die Ärzte in manchen Geburtenabteilungen vor einem Rätsel: Es gab weniger Frühgeburten. Diese Beobachtung nahmen Forschende aus Dänemark und Irland genauer unter die Lupe. Beide Teams fanden in ihren Ländern einen signifikanten Rückgang der viel zu früh Geborenen während der Zeit des Lockdowns. Ihre Studien erschienen auf Pre-Print-Servern und sind unterdessen von der Fachzeitschrift Archives of Disease in Childhood respektive BMJ Global Health zur Publikation angenommen.

Science-Check ✓

Studie: Changes in premature birth rates during the Danish nationwide COVID-19 lockdown: a nationwide register-based prevalence proportion studyKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDänemark verfügt über ein landesweites Register an Geburten. Das Datenset ist damit sehr umfassend. Die Zahl an extremen Frühgeburten – jene die gesunken sind – machen aber nur weniger als ein Prozent aller Geburten aus. Da die Studie eine Beobachtungsstudie ist, kann sie keinen kausalen Zusammenhange zwischen der gesunkenen Anzahl Geburten und dem Lockdown machen.Mehr Infos zu dieser Studie...

Die dänischen Forschenden betrachteten alle Babys von 2015 bis 2020, die zwischen dem 12. März und 14. April – der Zeit des Lockdowns in Dänemark – genau drei Tage alt waren. Diese teilten sie je nachdem in welcher Schwangerschaftswoche sie zur Welt kamen in verschiedene Gruppen ein. Eine Schwangerschaft dauert in der Regeln 40 Wochen. Von einer Frühgeburt spricht man, wenn das Kind vor der vollendeten 37. Woche zur Welt kommt. Extreme Frühchen sind bei der Geburt weniger als 28 Wochen alt. Die erstaunliche Erkenntnis der dänischen Studie: Genau diese extremen Frühgeburten nahmen während des Lockdowns um 90 Prozent ab. Pro 1000 Geburten kamen im Schnitt zwei Babys viel zu früh, 2020 waren es nicht mal eines. Bei den Frühgeburten älter als 28 Wochen, fanden die Forschenden hingegen keine Unterschiede.

_____________

📬 Das Neuste und Wichtigste aus der Wissenschaft, jeden Dienstag und Donnerstag per E-Mail:
Abonniere hier unseren Newsletter! ✉️

_____________

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die irische Studie. Neonatologen verglichen die Frühgeburten von Januar bis April über die letzten 20 Jahre. Im Gegensatz zur dänischen Studie untersuchten sie aber lediglich die ganz kleinen Frühchen ab 22 Schwangerschaftswochen mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1500 Gramm und weniger als 1000 Gramm. Die Zahlen zeigen: 2020 wogen rund zwei von 1000 Babys weniger als 1500 Gramm. In den vergangenen 19 Jahren waren es durchschnittlich acht. Babys die leichter als 1000 Gramm waren, kamen während des Lockdowns keine zur Welt. Auch die zweite Studie kam also zum Schluss, dass die extremen Frühgeburten in dieser Zeit abnahmen. Da extreme Frühgeburten aber insgesamt nur selten vorkommen, ist die Datengrundlage beider Studien klein.

Dennoch werfen die Beobachtungen Fragen auf: Wie ist der Rückgang zu erklären? Darüber können sowohl die dänischen als auch die irischen Forschenden nur spekulieren. Als einen möglichen Grund nennen beide die Erholung: Während des Lockdowns arbeiteten viele werdenden Mütter von zu Hause aus, lange Schichten und körperlich anstrengende Tätigkeiten fielen weg. Schwangere Frauen hatten dadruch möglicherweise weniger Stress, schliefen auch mehr und erhielten Unterstützung vom Rest der Familie. «Es wäre durchaus denkbar, dass sich die Erholung positiv ausgewirkt hat, weil wir den Frauen bei einer drohenden Frühgeburt normalerweise auch Ruhe verschreiben», sagt Tilo Burkhardt, Leitender Arzt der Klinik für Geburtshilfe am Universitätsspital Zürich.

Auch die Idee, dass die erhöhte Hygiene zu weniger Infektionen bei Schwangeren geführt habe, klinge an sich einleuchtend, so der Gynäkologe. «Welche Infektion das konkret hätte sein sollen, ist mir aber nicht klar. Eine banale Erkältung etwa führt nicht zu einer Frühgeburt.» So sei es insgesamt sehr schwierig, hier einen kausalen Zusammenhang auszumachen. «Dafür wissen wir viel zu wenig darüber, wieso es überhaupt zu einer Frühgeburt kommt», sagt Burkhardt. Damit könnten die Beobachtungen der Studien auch reiner Zufall sein, meint er.

Da der Lockdown in der Schweiz im Vergleich mit anderen europäischen Ländern weniger drastisch war, sei fraglich, ob diese Beobachtungen auch in der Schweiz gemacht werden können, meint der Gynäkologe. Am Unispital Zürich selber hat Burkhardt denn auch keine Veränderungen wahrgenommen. Er und sein Team betreuen hier alle extremen Frühchen aus dem ganzen Kanton Zürich, die vor 28 Wochen zur Welt kommen. «Wir werden uns die Zahlen aber sicherlich noch genauer anschauen.»

Diesen Beitrag teilen
Unterstütze uns

regelmässige Spende