Das musst du wissen

  • Die Canadian Covid Care Alliance erhebt schwere Vorwürfe gegenüber Pfizer – das Unternehmen habe gepfuscht.
  • Doch die vermeintlichen Argumente der Canadian Covid Care Alliance halten einem Faktencheck nicht stand.
  • Vorsicht: Dass das Video voll von Verschwörungstheorien ist, erschliesst sich nicht auf den ersten Blick.
Den Text vorlesen lassen:

Einem neuen Video zufolge sei bei der Zulassung der Pfizer-Impfung gepfuscht worden. Die Impfung verursache «More Harm Than Good» – mehr Schaden als Nutzen. Higgs hat mehrere Anfragen von Leserinnen und Lesern erhalten, die das Video zum Zweifeln angeregt haben. Darum haben wir das Video einem Faktencheck unterzogen.

Unser Fazit: Das Video macht auf den ersten Blick einen professionellen und soliden Eindruck. Selbst für Personen mit Fachkenntnis ist nicht unbedingt auf Anhieb erkennbar, dass hier teils absurde Argumente aufgeführt werden. Doch bei genauerer Betrachtung entpuppen sich die allermeisten Argumente als Scheinargumente: Zwar werden die Argumente wissenschaftlich korrekt eingeleitet und seriös präsentiert. Doch die vermeintliche Beweisführung verläuft völlig einseitig und die meisten Erklärungen und Schlussfolgerungen halten keiner statistischen Überprüfung stand. Die umfangreiche Evidenz, dass die Impfung mehr hilft als schadet, wird vollumfänglich ausgeklammert. So entsteht ein völlig verzerrtes Bild, das wenig mit der Realität der Impfung zu tun hat. Im Folgenden liefern wir eine chronologische Auflistung der wichtigsten Fehlinformationen.

Wer ist die Canadian Covid Care Alliance?

Die Canadian Covid Care Alliance (CCCA) präsentiert sich Interessierten auf einer äusserst professionellen Internetseite. Auf den ersten Blick scheint alles lupenrein – «unabhängige wissenschafts-basierte Evidenz», heisst es dort beispielsweise, umrahmt von seriösen Stock-Photos von Ärztinnen. Die Mitglieder seien eine Allianz von «fünfhundert unabhängigen kanadischen Ärzten, Wissenschaftlern, Pflegekräften und Anwälten».

Konkrete Namen sucht man auf der Webseite aber vergebens. Die Begründung: «Wir bedauern, dass der Stand der Dinge, die Zensur der freien Meinungsäusserung und die zügellose Tyrannei und Nötigung in Kanada so weit fortgeschritten sind, dass die CCCA die Identität ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiter schützen muss.» Dass sich Forschende, deren Erkenntnisse faktenbasiert sind, in einer Demokratie wie Kanada vor Repressionen fürchten müssen, ist jedoch fraglich. Hingegen ist es wichtig, die Personen hinter der Forschung zu kennen, um deren wissenschaftliche Expertise einschätzen zu können.

Ferner fehlen der Organisation externe Referenzen: Die vermeintlich bahnbrechenden Erkenntnisse, die dem bisherigen Konsens widersprechen, wurden von Forschenden ausserhalb der Skeptiker-Bubble nicht aufgegriffen. Zuletzt zeigt sich auch die Namensgebung bei genauerer Betrachtung fragwürdig: Vieles der «CCCA» erinnert an die «CCCS», die Canadian Critical Care Society, eine anerkannte Fachorganisation der kanadischen Intensivstationen. Sie vertritt eine gegensätzliche Haltung.

Absolute versus relative Risikoreduktion

Die Einleitung der ersten zwei Videominuten ist stichhaltig. Doch schon das erste inhaltliche Argument ist es nicht mehr: Es sei falsch, die relative Risikoreduktion des Impfstoffs von 95 Prozent anzugeben. Richtiger wäre es, die absolute Risikoreduktion anzugeben. Diese liege bei nur 0,84 Prozent. Die absolute Risikoreduktion ist an sich richtig berechnet und erklärt sich so: In betrachteten Zeitraum zwischen August und Mitte November 2020 erkrankten 0,04 Prozent der geimpften und 0,88 Prozent der ungeimpften Teilnehmenden der Studie – der Unterschied zwischen den beiden Gruppen beträgt also 0,84 Prozent. Das beschreibt also die Wirksamkeit der spezifischen Untersuchungsgruppe zum bestimmten Zeitpunkt. Zu beachten ist hier, dass es im Zeitraum der ursprünglichen Zulassungsstudie nur wenige Covid-Fälle gab. Aber: Was in einem kurzen Zeitraum passiert, ist in einer fortwährenden Pandemie weitgehend irrelevant und sogar irreführend. Je länger die Pandemie andauert, desto wahrscheinlicher wird es, dass sich eine Person infiziert – das absolute Risiko einer Infektion steigt, je länger die Krankheit grassiert. Dementsprechend vergrössert sich die absolute Risikoreduktion immer weiter, so lange der Impfschutz anhält. Daher ist es richtig, dass Pfizer die relative Risikoreduktion angegeben hat: Also wie viel geringer die Wahrscheinlichkeit der Geimpften im Verhältnis zu den Ungeimpften ist, sich zu infizieren. Und diese beträgt 95 Prozent. Das Argument im Video, dass die Risikoreduktion langfristig weniger als ein Prozent sei, ist demnach falsch.

Die Angabe der absoluten Risikoreduktion sei von der US-amerikanischen Arzneimittelzulassungsbehörde FDA empfohlen. Das ergibt durchaus Sinn – für Medikamente, die über einen limitierten Zeitraum eingenommen werden und wirken. Doch in Punkto Risikoreduktion lassen sich Medikamente und Impfungen keinesfalls vergleichen: Eine Impfung wird nicht regelmässig verabreicht und hat langanhaltende positive Effekte. Daher ist es äusserst fraglich, ob die FDA bei dieser Empfehlung tatsächlich Impfungen angesprochen hat, oder sich nicht vielmehr auf Medikamente bezieht. Daher verteidigen Forschende die Verwendung der relativen Risikoreduktion bei Impfungen.

Die Impfung schadet mehr, als sie nützt

Ab Minute sechs des Videos geht es um Nebenwirkungen: Offensichtlich sei es gesünder, sich nicht impfen zu lassen. Viele kennen die unangenehmen, aber in den meisten Fällen harmlosen Nebenwirkungen – insofern stimmt das Argument. Was aber im Video vernachlässigt wird, ist, die Nebenwirkungen in Relation zu den Folgen einer Covid-Erkrankung zu setzen. Je länger die Pandemie dauert, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren. Das richtige Argument, zu welchem wissenschaftlicher Konsens besteht, wäre also: Die Nebenwirkungen der Impfung sind deutlich weniger schwer als die Nebenwirkungen von Covid-19. Dies belegt eine Studie, die die Häufigkeit zahlreicher Komplikationen zwischen Geimpften und Genesenen vergleicht. Und wenn sich ein Geimpfter infiziert, ist sein Krankheitsverlauf noch immer deutlich milder als bei Umgeimpften. Beides klammert das Video komplett aus.

Ein weiterer Vorwurf: Immer wieder sterben Menschen nach der Impfung oder werden schwer krank. Doch auch hier muss berücksichtigt werden, dass während des Studienzeitraums wenige Menschen an Covid-19 erkrankten. Entsprechend war es zu erwarten, dass unter den ungeimpften Teilnehmenden der Studie nicht wesentlich mehr Menschen sterben als unter den Geimpften – schlussendlich starben in den gleich grossen Gruppen 15 Geimpfte und 14 Ungeimpfte. Wichtig ist aber, dass bei den in der Studie angegebenen Todesfällen keinesfalls klar ist, dass der Tod im Zusammenhang mit der Impfung steht. Ein Trugschluss, den wir aus der Schweiz kennen: «Eine 91-Jährige stirbt wenige Tage nach der Impfung» – so oder ähnlich lauteten viele Schlagzeilen. Aber wäre der Todesfall nicht auch ohne Impfung aufgetreten, weil die Person an allgemeiner Altersschwäche litt? In diesem konkreten Fall hält die Zulassungsbehörde Swissmedic einen Zusammenhang für «höchst unwahrscheinlich». Auch alle anderen Todesfälle nach Impfungen hat Swissmedic genau untersucht: Bis zum 12. Januar sind 192 Personen nach einer Impfung verstorben. In keinem Fall gibt es bisher Hinweise, dass die Impfung die Todesursache war.

Im weiteren Verlauf entkräftet das Video sein eigenes Argument: In der nächsten Studienphase wechselten die meisten Teilnehmenden aus der Placebo-Kontrollgruppe zur geimpften Gruppe – die beiden Gruppen waren danach also unterschiedlich gross. Folglich traten danach in der deutlich grösseren Gruppe der Geimpften mehr Todesfälle aufgrund aller möglichen Todesursachen auf. Dass schlussendlich fünf weitere Geimpfte starben und keine Ungeimpften, war also nicht überraschend. Darüber hinaus sind sämtliche Zahlen zu Todesfällen in den klinischen Studien von Pfizer/Biontech so klein, dass sie keine statistisch zuverlässigen Aussagen zulassen.

Die Pfizer-Studie war irregulär

Pfizer habe sich nicht an die Bedingungen für die Impfstoff-Zulassung gehalten, so der Vorwurf im Video. Statt der üblichen fünf Jahre zur Zulassung dauerte es nicht einmal ein Jahr – alles sei also viel zu schnell gegangen. Das stimmt. Aber es wurde auch noch nie zuvor eine Impfung während einer Pandemie entwickelt – dass ein Arzneimittel unter diesen besonderen Umständen schneller zugelassen wird, ist nachvollziehbar. Selbst wenn man den Vorwurf, die Impfstoff-Wirksamkeit sei anfangs noch nicht restlos bewiesen gewesen, so stehen lässt: Bei dem Argument werden sämtliche Erkenntnisse zur Schutzwirkung der Impfung vernachlässigt, die ausserhalb der Pfizer-Zulassungsstudie gemacht wurden. Inzwischen belegen verschiedene Studien aus zahlreichen Ländern die Schutzwirkung der Impfung, vor allem vor schweren Verläufen. In der Schweiz wurde dieser Beweis unter anderem von der Science Task Force erbracht. Mehr als ein Jahr nach Impfbeginn gibt es also genügend geimpfte Menschen, die die Wirksamkeit der Impfung belegen, selbst wenn die anfängliche Skepsis angebracht war.

Keine klinischen Tests mit Vorerkrankten

Das Medikament wurde nicht an Menschen mit Vorerkrankungen getestet, so der nächste Vorwurf. Es sei also fahrlässig gewesen, die Impfung ausgerechnet alten und vorerkrankten Menschen zuerst zu geben. Dies ist aber so üblich: Solange die Wirksamkeit nicht bewiesen ist, wird eine Behandlung nicht an gesundheitlich vorbelasteten Personen getestet. Wer von Studien ausgeschlossen wird, ist vom Präparat abhängig – im Fall der Pfizer-Impfung waren es beispielsweise Menschen mit Autoimmunerkrankungen und Personen über 85 Jahren. Nachdem die Wirksamkeit bei nicht vorbelasteten Personen erwiesen wurde, entscheiden die Zulassungsbehörden und in diesem Fall auch die Impfkommissionen unter Einbezug weiterer Daten, wer sich alles Impfen lassen kann. Sie kamen zum Schluss, dass auch für Personen mit Vorerkrankungen der Nutzen einer Impfung höher sei als das Risiko. Anders war das zu Beginn bei Schwangeren, die ebenfalls nicht Teil der Zulassungsstudie waren. Erst als mehrere Studien die Unbedenklichkeit der Impfung für Schwangere belegen konnten, wurde sie empfohlen.

Eine abschliessende Prüfung der Verträglichkeit lässt sich jedoch nicht vornehmen: Es existieren zu viele Vorerkrankungen, als dass in einer Zulassungsstudie sämtliche Verträglichkeiten geprüft werden können. In diesen Fällen wird auf die Expertise von Fachärzten zurückgegriffen, die die Krankheitsbilder gut kennen: So haben in der Schweiz beispielsweise Betroffenenverbände wie die Krebsliga oder das Allergiezentrum Schweiz ergänzende Empfehlungen ausgesprochen. Die Einschätzungen haben sich bislang als richtig erwiesen, da eine Unverträglichkeit bis auf seltene Allergische Reaktionen bislang bei keinem Krankheitsbild nachgewiesen wurde.

Sind die Pfizer-Daten verzerrt?

Im Video ist von sogenannten «Lost to follow up»-Daten die Rede: Von 40 000 Teilnehmenden ist zu 160 der Kontakt abgebrochen. Wenn nun genau bei diesen Personen schwere Nebenwirkungen aufgetreten wären, würde dies die Statistik verzerren, so der Vorwurf. Dass bei derart vielen Teilnehmenden zu einigen Personen der Kontakt abbricht, überrascht wenig. Da dies etwa gleich viele, je rund achtzig, in beiden gleich grossen Gruppen der Geimpften und Ungeimpften waren, ist es statistisch naheliegend, dass dies ein «natürlicher» Verlust war. Es gibt keinerlei Hinweise, dass Pfizer diesen Verlust in irgendeiner Form beeinflusst hätte. Dass dies einen Einfluss auf die Ergebnisse einer derart grossen Studie hat – sprich, dass ausgerechnet diese achtzig Menschen schwere Nebenwirkungen entwickelten – ist statistisch gesehen extrem unwahrscheinlich.

Zu den 160 «verlorenen» Fällen kommen 3400 Fälle hinzu, bei denen «ein Verdacht auf Covid-19» bestand. Das sind Personen, die Symptome hatten, der PCR-Test aber negativ war. Darunter finden sich ähnlich viele Ungeimpfte wie Geimpfte. Das Argument im Video: Diese Verdachtsfälle müssten eigentlich zu den positiven Fällen dazugerechnet werden, was die relative Risikoreduktion von 95 auf weit unter 50 Prozent verringern würde. Da die PCR-Tests dieser Personen aber alle negativ waren, ist davon auszugehen, dass die allermeisten also eine andere Krankheit hatten, die mit Covid-19-Symptomen einhergeht. Der Vorwurf, welcher auf einen Artikel im British Medical Journey zurückgeht, wurde mittlerweile entkräftet, wobei der amerikanische Biostatistiker Jeffrey S. Morris einen besonders anschaulichen Faktencheck vorgelegt hat.

Wer an Covid-19 nicht stirbt, braucht keine Impfung

Diese Aussage findet sich in verschiedenen Formen mehrfach im Video. So sei das Todesrisiko unter Jugendlichen so gering, dass sie keine Impfung bräuchten. Dass Jugendliche nur extrem selten an Covid-19 sterben, stimmt – in der Schweiz wurden bislang drei Todesfälle von Personen unter zwanzig Jahren im Zusammenhang mit Covid-19 registriert. Doch auch hier wird die Impfung zu einseitig dargestellt. So werden Jugendliche geimpft, weil sie das Virus leicht verbreiten und die Impfung das Risiko einer Infektion deutlich verringert. Das zeigt sich daran, dass das Virus zuletzt vor allem unter jungen Umgeimpften grassierte, da das Virus unter ihnen am leichtesten weitergegeben wurde. Eine Impfung für junge Menschen ist also sinnvoll, um die Epidemie einzudämmen. Dieser indirekte Nutzen wird vernachlässigt. Zudem ist der Tod keinesfalls die einzige negative Konsequenz von Covid-19: Auch junge Menschen erkranken an Long Coviddie Schadensbilanz zwischen Nebenwirkungen der Impfung und jenen der Erkrankung fällt auch bei Jungen deutlich zugunsten der Impfung aus.

Die Impfung verursacht Myokarditis und andere Nebenwirkungen

Besonders dramatisch ist im Video das erhöhte Risiko für Myokarditis dargestellt. Dass das Risiko für eine Herzmuskelentzündung durch die Impfung steigt, ist bewiesen. Eine Studie kommt zum Schluss, dass das Risiko unter Geimpften 3,2-mal häufiger auftritt als unter Ungeimpften – konkret bedeutet das, dass zwischen einem und fünf Fällen pro 100 000 Personen auftraten. Aber erneut wird der Vergleich zu Covid-19 vernachlässigt: Die Krankheit ist dafür bekannt, schwere Entzündungen im Körper auszulösen. Entsprechend ist das Risiko für Myokarditis nach einer Covid-Erkrankung um den Faktor 18,3 höher. Betroffen sind dann also rund elf von 100 000 Personen.

Pfizer macht ein riesiges Geschäft mit der Impfung

Dass Pfizer derzeit viel Geld mit der Impfung verdient, lässt sich nicht von der Hand weisen. Die Pharmabranche ist ein milliardenschwerer und mächtiger Wirtschaftssektor. Dass vielen missfällt, wie die Pharmabranche mit dem Leid anderer Geld verdient, ist nachvollziehbar. Ein Indiz für Betrug ist das aber noch nicht.

Im Gegenteil: Grundsätzlich ist die Impfstoffentwicklung für die Pharmabranche kein besonders lohnenswertes Geschäft. Der Schweizer Pharmariese Novartis verkaufte 2014 seine Impfstoffsparte, Roche verdient sein Geld mit Covid-Tests – das Risiko des Impf-Geschäfts ist für beide zu gross.

Tatsächlich zeigt sich, dass die Mechanismen unserer freien Marktwirtschaft bei den Impfstoffen gegriffen haben: Während zahlreiche Unternehmen mit der Impfstoffentwicklung begannen, wurden viele Projekte wieder eingestampft – die Impfungen, beispielsweise von Curevac, erwiesen sich als zu wenig wirksam. Dass Pfizer nun viel Geld verdient, liegt daran, dass der Entwicklungspartner Biontech einen der besten Impfstoffe entwickelt hat. Pfizer wird nun für das Risiko, dass der Konzern mit der Entwicklung eingegangen ist, belohnt. Ob das richtig ist, darüber lässt sich streiten. Ob das ein Anlass war, einen ungenügenden Impfstoff zu entwickeln, ist aber äusserst fraglich. Schlussendlich sind Unternehmen wie Biontech und Pfizer die einzigen, die die Impfstoffentwicklung und -produktion überhaupt stemmen können.

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