Es sind nicht die Worte eines Charmeurs: «Ein weiterer Übelstand ist, dass die gemeine Frau – besonders die des Arbeiters – durchschnittlich eine schlechte Köchin ist.» Doch es waren die Worte eines Visionärs, der den negativen Folgen der industriellen Revolution entgegenwirken will. Der Lebensmittelpionier Julius Maggi schrieb sie gegen Ende des Jahres 1886 in sein Korrespondenzbuch. Einige Abschnitte später kritzelt er die Rezeptur der heute weltbekannten Maggi-Würze auf die dünnen Seiten. Das als «Maggi-Kraut» bekannte Liebstöckel sucht man als Ingredienz allerdings vergeblich.

Die flüssige Würze ist wohl Maggis bekannteste Erfindung. Nicht aber jene, die Ende des vorletzten Jahrhunderts die Ernährung so massgeblich verändert hat.

Julius Maggi.

1869 übernimmt Julius Maggi, 23 Jahre jung, die väterliche Hammermühle in Kemptthal. Gut zehn Jahre später, als die Industrialisierung auch die hiesige Müllereibranche in eine Krise stürzt, lernt Maggi den Glarner Arzt und Fabrikinspektor Fridolin Schuler kennen. Dieser beklagt die Folgen der industriellen Revolution, die auf die Gesundheit der Arbeiterklasse schlage. Die Angestellten sind keine Selbstversorger mehr, Lebensmittel aber teuer. Auch die Frauen arbeiten hart in den Betrieben; fürs Kochen bleibt kaum noch Zeit. Als Folge davon ernährt sich die Arbeiterklasse ungesund. Nicht selten ersetzt ein Schnaps die warme Mahlzeit. Um diesen Missstand zu ändern, wird Julius Maggi von Schuler, gemeinsam mit der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, beauftragt, die Ernährung der Arbeiterklasse zu verbessern. Er soll ein Nahrungsmittel entwickeln, das einfach zuzubereiten, billig – und gesund ist.

Maggi experimentiert zwei Jahre lang. Sogar Wissenschaftler zieht er zu Hilfe. 1884 ist es dann soweit: Julius Maggi präsentiert das «Leguminosenmehl», ein nährstoffreiches Pulver aus Bohnen, Erbsen und Linsen. Daraus lässt sich, mit Wasser angerührt, im Handumdrehen eine gesunde und nährende Suppe kochen. Die ideale Mahlzeit für gestresste Arbeiterfamilien ist gefunden.

Julius Michael Johannes Maggi

Julius Michael Johannes Maggi wird am 9. Oktober 1846 in Frauenfeld als jüngstes von fünf Kindern geboren. Sein Vater ist ein italienischer Einwanderer, seine Mutter eine Schweizerin. Seine Schulzeit verbringt er in Frauenfeld, Embrach, Winterthur und schliesslich in Yverdon. 1863 beginnt Julius eine kaufmännische Lehre in Basel. Doch er bricht sie frühzeitig ab. Es folgen zwei Jahre in Budapest in einem Mühlenbetrieb. Dort schafft er es zum Vizedirektor. Zurück in der Schweiz übernimmt er 1869 von seinem Vater die Hammermühle in Kemptthal.

Auch privat ist Maggi überaus engagiert. Er ist Mitglied des Alpenclubs, des Limmatclubs und er gründet einen Veloclub. Zudem ist er von 1881 bis 1884 Zürcher Kantonsrat. Und er ist der erste Automobil- und Motorradbesitzer der Region. Am 19. Oktober 1912 stirbt Julius Maggi 66-jährig in Küsnacht. Maggi war zweimal verheiratet und hatte sechs Kinder. Eine seiner Töchter wollte er Leguminosa taufen. Seine Familie konnte ihn aber davon abhalten.

Doch Julius Maggi belässt es nicht dabei. Nur zwei Jahre später bringt er die erste Fertigsuppe aus getrockneten Gemüsesorten auf den Markt – und im selben Jahr auch besagte Maggi-Würze. Mit der braunen Flüssigkeit lassen sich die an sich recht faden Anrühr-Suppen nach Belieben abschmecken. Und sie wird ihren Erfinder Julius Maggi weltberühmt machen.

Maggi-Auslieferung per Fahrrad um 1900Reproduktion des Museums Alimentarium

Maggi-Auslieferung per Fahrrad um 1900.

Doch der Lebensmittelpionier hat weit mehr geleistet, als die Ernährung zu verbessern oder – zum Beispiel mit der Erfindung des Bouillonwürfels 1909 – zu vereinfachen. Auch als Arbeitgeber war er seiner Zeit voraus. So führt er in seiner Firma Massnahmen ein, die für die damalige Zeit alles andere als selbstverständlich sind: Kantine, Arbeiterwohnungen, Arbeiterferienheim, Betriebskrankenkasse, Lohnausgleichskasse für Wehrmänner, Kinderzulage, Altersrente, Witwenrente. Und als erster Arbeitgeber der Schweiz führt er im Jahr 1906 den arbeitsfreien Samstagnachmittag ein. Acht Jahre später wird gar ein Gesamtarbeitsvertrag abgeschlossen. Von derartigen Bedingungen können Arbeiternehmer in anderen Betrieben nur träumen.

Produktionshalle von Maggi um 1900.Reproduktion des Museums Alimentarium

Produktionshalle von Maggi um 1900.

Julius Maggi ist aber auch in anderen Bereichen seiner Zeit voraus. So macht er das, was wir heute ganz selbstverständlich Marketing oder Corporate Identity nennen, damals aber noch unüblich war. Seine Firma bekommt sogar ein Logo, das der Patron höchstpersönlich entwirft. 1886 gründet Maggi eine eigene «Reclame-Abteilung», deren erster Leiter Frank Wedekind heisst. Aus dem jungen Deutschen soll später ein berühmter Schriftsteller werden. Doch zunächst verfasst er Werbetexte für Maggi. So reimt er zum Beispiel: «Das wissen selbst die Kinderlein: Mit Würze wird die Suppe fein. Darum holt das Gretchen munter, die Maggi-Flasch’ herunter.» Oder «Vater, mein Vater! Ich werde nicht Soldat, dieweil man bei der Infantrie nicht Maggi-Suppen hat! Söhnchen, mein Söhnchen! Kommst du erst zu den Truppen, so isst man dort auch längst nur Maggi’s Fleischconservensuppen.»

Julius Maggi will auch das Ausland erobern. Alleine in den Jahren 1887 bis 1889 eröffnet er Niederlassungen in Singen, Bregenz, Paris, Berlin, Wien und London und sogar in den USA. Ein weiterer wichtiger Schritt in diese Richtung ist die Fusion 1947 mit der Nestlé-Gruppe zur Nestlé-Alimentana AG, der heutigen Nestlé AG. Julius Maggi ist zu diesem Zeitpunkt zwar schon 35 Jahre lang tot; aber seine Produkte verbreiten sich nun definitiv auf der ganzen Welt. Und das ist bist heute so geblieben.

Dieses Porträt stammt aus dem Buch «Zürcher Pioniergeist» (2014). Es porträtiert 60 Zürcherinnen und Zürcher, die mit Ideen und Initiative Neues wagten und so Innovationen schufen. Das Buch kann hier bestellt werden.
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