Wo auch immer der Winterthurer Walter Steiner im Jahr 1947 anklopft, um seine Erfindung vorzustellen, es hagelt Absagen: «Brauchen wir nicht!» «Kein Bedarf!» Weder Wohngenossenschaften, noch Immobilienunternehmen oder Wohneigentümer wollen seine Wäschespinne haben. Niemand ausser dem Winterthurer Tüftler, der sich soeben mit dem Geld aus dem Sparstrumpf seiner Frau selbständig gemacht hat, erkennt das Potenzial der Wäschespinne. Denn Hosen, Hemden und Socken trocknen auch auf der langen Leine im Garten wunderbar. Warum also sollte man Geld für ein Gestell ausgeben, das aus 60 Meter Hanfseil und 169 Einzelteilen aus Holz besteht?

Trotz der Absagen lässt sich der damals 26-jährige Steiner nicht unterkriegen. Er ist überzeugt von seiner Entwicklung, für die er eigens die Firma Steiner Winterthur – kurz: Stewi – gegründet hat. Zudem hat er die Wäschespinne nicht aufs Geratewohl entwickelt, sondern seine Zielgruppe zuvor genau beobachtet. Schliesslich, so wird er später sagen, geht es ihm in seiner ganzen Karriere vor allem darum, «der Hausfrau die Arbeit so einfach wie möglich zu machen». Dies nicht nur, weil er deren Tun so sehr schätzt, sondern auch, weil er weiter denkt: «Denn es sind die Frauen, die entscheiden, was im Haushalt angeschafft wird». Bei seinen Feldstudien im heimischen Garten und der Nachbarschaft fällt ihm auf, dass das Wäschetrocknen schwerer ist als es aussieht: Die Frauen müssen die Wäscheleine über die Länge der Leine immer wieder nachholen, was auf Dauer Rücken und Gelenken schadet. Deshalb lässt sich Steiners Wäschespinne drehen und bequem aus dem Stand von einem Punkt aus behängen. Weiterer Vorteil: Anders als die herkömmlichen Leinen, die fix gespannt sind, ist seine Wäschespinne nicht nur portabel, sondern auch mit wenigen Handgriffen auf- und zuklappbar. Auf diese Weise kann das Gerät nach getaner Arbeit platzsparend im Keller versorgt werden. Steiners Vision: Der bisherige Wäscheplatz soll nicht mehr nur dem Trocknen von Kleidern vorbehalten sein, sondern ausserhalb der Waschzeiten den Kindern als Spielplatz zur Verfügung stehen – oder auch mal für ein Picknick genutzt werden können.

Walter Steiner, ein älterer Herr mit Gehstock und Fliege, sitzt leicht lächelnd neben ein paar zusammengefalteten Stewis in einer Fabrik.Stewi AG Winterthur

Walter Steiner in einer Aufnahme, die zwei Jahre vor seinem Tod entstand (2007).

Doch davon wollen seine Gegenüber nichts wissen. Sie sehen weiterhin keinen Bedarf und machen sich sogar lustig über die Erfindung: «Wir brauchen keine Karussells!» So heisst es, wann immer Walter Steiner potenziellen Käufern den Aspekt der Beweglichkeit vorstellt. Denn dass sich die Wäschespinne um die eigene Achse drehen lässt, ist ihrer Meinung nach kein Vorteil, sondern vielmehr eine Art Kinderbelustigung: Und vor ihrem geistigen Auge sehen sie wohl bereits die Kinder auf dem vermeintlichen Haushaltsgerät lachend ihre Runden drehen.

Walter Steiner realisiert, dass gutes Zureden allein ihn nicht weiter bringt. Deshalb stellt er den Wohngenossenschaften die Wäschespinnen zunächst kostenlos zur Verfügung. Wenn sie nicht hören wollen, so sollen sie sich selbst von den Vorteilen überzeugen. Dieser Plan geht auf: Die Umworbenen platzieren das neumodische Gestell in den Gärten von Neubauprojekten. Und prompt sind die Rückmeldungen der Nutzerinnen an die Bauherren positiv. Jetzt bestellen die bisherigen Kritiker das neue Produkt plötzlich reihenweise. Und die Zufriedenheit der Hausfrauen spricht sich herum. Die Nachfrage nach Stewis, wie die Käufer die Wäschespinne bald nennen, steigt rasant.

Doch auf den Lorbeeren ausruhen will sich der Winterthurer Erfinder nicht. Kontinuierlich optimiert er seine Wäschespinne. Und er merkt, dass der Erfolg der Spinne nicht nur in ihrem guten Ruf begründet liegt, sondern auch in ihrem Standort – draussen im Garten, für jedermann gut sichtbar. Das bringt ihn dazu, seine Marketingstrategie anzupassen. Statt bloss mit Prospekten auf sich und sein Produkt aufmerksam zu machen, sorgt er dafür, dass seine Spinne vor allem im Einsatz wahrgenommen wird. So gewährt er beispielsweise denjenigen Hausbesitzern Rabatt, deren Gebäude an einer viel befahrenen Strasse oder entlang von Gleisen steht. Als er viele Jahre später vor einem Lichtsignal anhalten muss und aus dem Autofenster heraus eine Wäschespinne der ersten Generation entdeckt, ordnet er an, diese unverzüglich und kostenlos gegen ein aktuelles Modell aus Aluminium und Kunststoffseilen auszutauschen. Sein Argument: Zwar belege das Relikt aus Holz die gute Qualität; aber die hier vorbeifahrenden Autolenker dürften durchaus feststellen, dass der Stewi modern geworden ist. Im Jahre 1954 gewinnt Steiner an der Mustermesse Basel einen Preis für seine Wäschespinne; die Nachfrage steigt weiter und der Export ins Ausland kommt in Schwung.

Steiner tüftelt munter weiter. Bis zu seinem Tod im Jahr 2009 meldet er insgesamt rund 200 Erfindungen zum Patent an. Manche machen sich gut wie beispielsweise die so genannte Libelle, ein Wäscheständer für den Gebrauch im Haus. Doch keines seiner Produkte verkauft sich so hervorragend wie jenes, mit dem er einst den Grundstein für seine Selbständigkeit legte. Bis heute gilt Stewi in der Schweiz als Synonym für Wäschespinnen aller Art. Das ist sonst nur den ganz grossen Marken wie Bostitch, Tipp-Ex, Pampers, Kärcher, Knirps oder auch Jeep vorbehalten.

Dieses Porträt stammt aus dem Buch «Zürcher Pioniergeist» (2014). Es porträtiert 60 Zürcherinnen und Zürcher, die mit Ideen und Initiative Neues wagten und so Innovationen schufen. Das Buch kann hier bestellt werden.
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