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Zu Beginn der Pandemie rechneten die Szenarien mit viel mehr Infizierten, Hospitalisierten und Verstorbenen. Dann wurden die Zahlen laufend nach unten korrigiert. Hat sich die Wissenschaft also getäuscht, hat sie die Bevölkerung getäuscht oder absichtlich auf Panik gemacht?

Nein.

Dass die Zahlen laufend nach unten korrigiert werden, beweist wie gut die Modelle der Epidemiologie sind: Aus den ersten Beobachtungen in China und später auch in Norditalien haben sie mögliche Fallzahlen vorausberechnet (das sind Szenarien und keine Prognosen) und sie haben Massnahmen empfohlen, die den Anstieg der Kurve abflachen können: Hygiene, Abstandhalten, möglichst wenige Kontakte. Dass die tatsächlich erreichten Zahlen unter den zunächst berechneten liegen, zeigt also, wie richtig die ergriffenen Massnahmen waren. Wir haben die Kurve gebrochen.

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Noch eine Zahl wurde im Verlauf der letzten zwei Monate fortwährend korrigiert: jene der Sterblichkeit, also wie viele Menschen an Covid-19 sterben, bezogen auf die Anzahl der Infizierten.

Aus Wuhan wurde anfänglich gemeldet, dass bis zu zehn Prozent der Infizierten sterben. Dann sank die Zahl stetig. Heute rechnet man für verschiedene Altersklassen mit Sterblichkeiten zwischen 0,3 bis drei Prozent.

Schlechte Wissenschaft?

Nein, gute Wissenschaft.

Anfänglich war die genaue Zahl der Infizierten nicht bekannt – und auch heute ist sie es noch nicht. Die Dunkelziffer kann bis zu zehnmal höher sein als die gemeldeten Fallzahlen. Dies, weil viele Infizierte eben keine Symptome aufweisen. Wenn man aber immer mehr Tests macht und immer mehr Fälle findet, ist es rein rechnerisch logisch, dass die Sterblichkeit, also die Zahl der Toten pro Infizierte, kleiner wird.

Genau das macht gute Wissenschaft aus: ein erstes Resultat fortwährend überprüfen und, wenn nötig, revidieren. Das ist das innerste Wesen von Wissenschaft: skeptisch sein, hinterfragen, korrigieren.

Wenn es nicht so wäre, würden wir heute noch wie damals die Pestdoktoren den Patienten Aderlass verschreiben und Blutegel ansetzen, um «die Balance der Körpersäfte» wiederherzustellen.

Die Doktoren haben dazugelernt.

Wer hingegen von einem einmal gefällten Urteil nicht mehr abweicht und es gegen alle neuen Erkenntnisse verteidigt, hält eine Doktrin aufrecht, ein Dogma.

Wer an einer Theorie, die einmal aufgestellt wurde, nicht mehr rüttelt und sie gegen alle neu auftauchenden Indizien durchboxt, verbreitet nicht Wissen sondern eine Ideologie. Oder eben eine Verschwörungstheorie.

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
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