Als Podcast anhören

Der Film «Dialog im Krisenjahr 2020» ist die Abschlussarbeit des Filmstudenten Ciril Camen. Er lässt vier Personen zu Wort kommen: neben mir den Corona-Massnahmenkritiker und Youtuber Daniel Stricker, sowie Jonas Projer, den Chefredaktor von Blick TV und die Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle. Alle vier sind wir uns einig: Auch wenn man unterschiedlicher Meinung ist, muss man miteinander reden, einander zuhören, man muss man den Dialog suchen.
So weit, so gut.

Der Film ist seit wenigen Tagen auf Youtube zu sehen und Daniel Stricker hat ihn bereits seiner Community empfohlen. Im Moment, wo ich diesen Kommentar verfasse, hatte der Film gut 2300 Ansichten und rund achtzig Kommentare. Einige gratulieren dem Filmemacher zu dem Streifen, aber die meisten nehmen mich ins Visier. Da ich nicht auf jeden einzelnen Kommentar reagieren kann, hier eine kompakte Antwort.

Schauen wir als erstes, wie der Dialog in der Kommentarspalte aussieht: Zunächst einmal wird, ohne sich mit meinen Argumenten auseinanderzusetzen, einfach auf den Mann gespielt. So werde ich als «Superpropagandist und Lügner» bezeichnet.

.

Ich sei ein »Hohlblatt Küchen Psychologe», oder es wird mir eine «Hirnblockade» diagnostiziert.

.

Und Ferizada Vogt nenne ich mit Namen, weil sie auch mit vollem Namen postet, also öffentlich. Sie meint: «Es ist zum kotzen diese Glogger zuzuhören. So eine arrogante A…loch.»

.

Immerhin ist anzuerkennen, dass es die Absenderin schafft, in einer einzigen Zeile vier Schreibfehler unterzubringen. Aber darum geht es hier ja nicht.

Die persönlichen Angriffe gipfeln im Hinweis von Irène Haas: «Ich bin geschockt, bei Min. 47.25 macht er das satanistische Fingerzeichen.» Weil sie damit offenbar zu wenig Gehör findet, postet sie den ähnlichen Kommentar in den letzten Tagen gleich mehrfach.

.

Natürlich kann mein Pakt mit dem Teufel Angst machen. Aber Nepomuk Vigilans hat die Lösung: «Am liebsten würde ich nun auch auf die Person reindreschen.»

.

Offenbar scheint Daniel Strickers Community ein anderes Verständnis von Dialog zu haben, als er selbst in dem Film fordert.

Dazu nochmals Ferizada Vogt: «Wenn diese Glogger Eier hätte, würde er zum Stricker gehen und sich offen zum Dialog stellen.»

.

Das würde ich mich aber nicht trauen, prognostiziert Crazykure, weil ich ganz genau wisse, «dass Daniel ihn … ungspitzt in Bode haue würd.»

.

Hallo Kure! Daniel Stricker redet von Dialog und nicht von «ungespitzt in Bode haue».

Dass ich mich nicht dem Dialog stelle, behauptet eine ganze Reihe von Kommentaren. Liebe Leute, habt ihr beachtet, dass ich gerade in einer Doku den Dialog gesucht habe? Und habt ihr beachtet, dass ich bei «Talk täglich» auf Tele Züri zwanzig Minuten live mit eurem Corona-Rebellen Christoph Pfluger diskutiert habe?

Nein, habt ihr natürlich nicht, denn Corona-Skeptiker konsumieren ja keine «Mainstream-Medien» – wie ihr alles nennt, das nicht eure Meinung verbreitet.

Diesen Befund bestätigte gerade letzte Woche auch die NZZ: Sie hat in einer aufwändigen Datenanalyse 217 000 Meldungen der aktivsten Schweizer Corona-Kritiker auf Telegram analysiert. Am häufigsten bezogen sie sich auf Beiträge in Youtube: insgesamt 11 600-mal. Weitere 1100-mal wurden andere Telegram-Kanäle zitiert. Es folgen Facebook, Corona Transition und dann das erste Medium. 602-mal wird 20 Minuten erwähnt. Das heisst, Corona-Skeptiker beziehen sich in drei von 1000 Telegram-Posts auf ein Medium. Also in drei Promille der Posts. Auf Blick beziehen sich 0,8 Promille.

NZZ

Das verleiht diesen Telegram-Meldungen ziemlich wenig Belegkraft. Doch das ist der Community egal. Denn Belege sind nicht die Stärke der Stricker-Fans, die den Dok-Film kommentieren.

Keine Belege liefern, aber Belege fordern

Auf der einen Seite stellen sie Behauptungen ohne jeden Beleg in den Raum. Zum Beispiel, dass ich ein ganz grosses, von der Pharma gefülltes Bankkonto hätte. Beleg? Null.
Oder ein Kommentator namens «Gedanken Fang». Er behauptet, die Corona-Kritiker hätten die zweite Welle vorausgesagt. Es handle sich dabei aber um eine Grippe-Welle. Lieber «Gedanken Fang», darf ich um Belege bitten?

.

Viele der Kommentatoren geben sich ohne Belege überaus sicher. So schreibt Florian Mächler:

«Ich bin mir ganz sicher, dass Daniel Stricker Sie sehr gerne in seine Sendung einladen würde. Bestimmt haben Sie bereits eine solche Anfrage von ihm erhalten.»

.

Als ich per Mail zurückfrage, woher er so sicher sei, schwächt er ab. Er könne zwar «nicht belegen, dass er Sie angefragt hat, aber ich gehe […] schwer davon aus.» So schnell wird aus einer Behauptung, die als «sicher» verbreitet wird, eine blosse Annahme. Das ist typisch.

_____________

📬 Das Neuste und Wichtigste aus der Wissenschaft, jeden Dienstag und Donnerstag per E-Mail:
Abonniere hier unseren Newsletter! ✉️

_____________

Das Muster von zuerst etwas behaupten und dann zurückkrebsen zieht sich durch die Diskussion: Ein anderer User schreibt mir in einem Direkt-Mail:
«Ihre Argumente (teilweise absurde) sind IMMER pro Pharma und Regierung.»
Ich frage zurück: «Gerne würde ich zu Ihrem Vorwurf Stellung nehmen. Da er aber sehr pauschal ausfällt, ist dies schwer möglich. Welche Argumente meinen Sie konkret? Am liebsten mit Beispielen als korrektes Zitat und mit Angabe, aus welchem Beitrag es stammt.»
Er antwortet: «Es bringt nichts, jetzt über konkrete Beispiele zu diskutieren. Sie vertreten stets die Interessen der Pharmalobby und der Regierung (meine Meinung).»
So ist es: Die eigene Meinung zählt mehr als ein Beleg.

Umgekehrt verlangt man von mir zu jeder Aussage einen Beleg – obschon ich die im Film ja zitiere und erkläre. Aber die werden natürlich in Abrede gestellt.

.

Hier kann ich nicht jeden Satz, den ich im Film äussere, mit Quellen verlinken. Aber alles ist in solider wissenschaftsjournalistischer Arbeit auf higgs dokumentiert.

Auf eines der Argumente will ich aber doch noch im Detail eingehen:

Es wird behauptet, die Leitmedien würden keine Kritik üben. Was nachweislich nicht stimmt. Wer berichtet zum Beispiel über das digitale Chaos im BAG bei der Datenerhebung? Wer kritisierte, dass die Impfstrategie sehr spät kam, obschon man ein Jahr lang auf die Impfung gewartet hat? Und wer kritisiert, wenn die Impfstrategie dann wenig klar ist? Wer thematisiert den Streit über die Öffnung der Restaurant-Terrassen? Das habe ich alles in den Leitmedien gelesen.

Typisch ist auch die Strategie, wenn man dann den Zweiflern auf ihre Argumente Belege liefert. So schreibt ein Herr in einem persönlichen Mail an mich:
«Sie sagen im Film, es sei eine Mär, dass die Leitmedien nur die Regierungsmeinung weitergebe… Haben Sie Belege, welche das Gegenteil beweisen?»

Natürlich habe ich die Belege: Wenn man in der Schweizer Mediendatenbank den Namen „Pietro Vernazza“ sucht, findet man in den letzten 12 Monaten gut 1500 Resultate. Nicht zu Wort kommen? Er war in der Sonntagszeitung, im Blick, in der NZZ usw. Nicht in den Leitmedien? Er hat mehrfach ganze Seiten in vielen wichtigen Zeitungen der Schweiz erhalten. Zum Beispiel für seine Einschätzung zur Gefährlichkeit des Virus oder seine Theorie der Durchseuchung.

Sucht man den Immunologen Beda Stadler, findet man 560 Treffer. Für die Komiker Marco Rima und Andreas Thiel sind es 965, beziehungsweise 618 Treffer. Und einer der führenden Köpfe der Corona-Rebellen, Christoph Pfluger, bringt es auf 425 Nennungen.

Angesichts dieser Belege ist mir völlig schleierhaft, wie Leute behaupten können, kritische Stimmen seien in den Leitmedien nicht vertreten.

Auf diese Auskunft hin meint dann der betreffende Herr: «Es ist eine Tatsache, dass Berichte über die von Ihnen erwähnten Personen in den Leitmedien existieren.» Ja, was jetzt. Will er Belege oder ist ihm klar, dass es solche Berichte gebe? Aber er fordert gleich mehr:
«Wie viele „staatstreue“ Corona-Berichte wurden über die Leitmedien in den letzten 12 Monaten verbreitet.» Hier muss ich die bilaterale Diskussion abbrechen, da ich kein Kiosk für personalisierte Wunschrecherchen bin.

Völlig unhaltbar auch die Behauptung, higgs würde Corona-Kritiker ignorieren. Tun wir nicht, aber wir hinterfragen sie, wie wir alles hinterfragen. Zum Beispiel den Arzt Andreas Heisler mit seiner Corona-kritischen Ärztevereinigung Aletheia. Oder Judy Mikovits, die Urheberin des Dokumentarfilms «Plandemic». Sie alle hatten Platz auf higgs.

Wie auch Pietro Vernazza, der streitbare Infektiologe des Kantonsspitales St. Gallen. Zweimal habe ich ihm eine Carte Blanche für einen Text angeboten. Notabene in unserer Rubrik, die DIALOG heisst. Diese Aufforderung zum Dialog hat er nie angenommen.

Warum finden kritische Stimmen mit vagen Argumenten so viel Gehör?

Ihr Erfolgsrezept ist das funktionierende Netzwerk. Studien haben zum Beispiel gezeigt, dass Impfgegner viel besser untereinander vernetzt sind als Impfbefürworter. Das zeigte sich auch bei meinem Kommentar, in dem ich erklärte, dass mRNA-Impfung keine Genmanipulation sei. Der Corona-Kritiker Attila Hildmann hat daraufhin auf seinem Telegram-Kanal seine Gefolgschaft zum «Blitzkrieg» gegen mich aufgerufen. Man muss sich mal das mal vorstellen. «Blitzkrieg» ist die Kriegsmethode, die Hitler erfunden hat und mit der er Polen, Holland und Frankreich überrannt hat.

Nun gut, Hildmanns Fans lassen sich nicht zweimal bitten und hauen mir auf Youtube über 1800 Daumen nach unten rein.

Und was kommt von dem Impfbefürwortern? Nichts. Was kommt aktuell auf Youtube zum Film «Dialog»? Was machen die Hochschulen, die Akademien, die Wissenschafts-Community? Nichts. Das muss sich ändern.

Diese kritischen Stimmen einfach zu ignorieren – und mögen sie noch so absurd sein – ist gefährlich. Denn je öfter die Menschen eine Aussage hören, desto gewohnter wird sie. Desto «echter», desto «wahrer». Darum ist es auch gemäss Sophie Achermann, Co-Initiantin des Projekts «Stop Hate Speech» wichtig, dass man falsche oder nicht belegbare Argumente nicht unkommentiert stehenlässt. Man müsse immer Gegenrede halten, sagt sie. Damit sich nicht das Falsche in die Gehirne der Massen einbrennt.

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
Alle Beiträge anzeigen
Diesen Beitrag teilen
Unterstütze uns

regelmässige Spende