Das musst du wissen

  • Kann man Covid-Schutzmaterial recyceln? Forschende aus Übersee haben dies mit einem Verflüssigungsverfahren versucht.
  • Dabei werden Schutzbrillen, Masken und Co. bei 300 Grad erhitzt – die Endprodukte sind Wasser und Essigsäure.
  • Das Ganze ist allerdings erst ein Pilotversuch – Fachleute in der Schweiz sehen noch viele offene Fragen.
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Corona-Schutzmasken verschwinden zusehends aus unserem Alltag – und gehören hierzulande vielleicht bald komplett der Vergangenheit an. Länger erhalten bleiben die ständigen Begleiter der Pandemie jedoch der Umwelt. Und richten dort grossen Schaden an. Denn die Schutzmasken und anderes medizinisches Equipment wie Einweghandschuhe, Wegwerfkittel für Ärzte, Schutzbrillen oder Hauben sorgen für beträchtliche Mengen an Kunststoffabfällen: Allein bis letzten Sommer sind im Zuge der Pandemie weltweit mehr als acht Millionen Tonnen Plastikmüll angefallen. Tragisch: Davon gelangten rund 25 000 Tonnen in die Weltmeere, weil Schutzmaterial nicht ordnungsgemäss entsorgt wurde, wie eine chinesische Studie berechnete.

Die Studienautoren unterteilten die Kunststoffabfälle, die durch die Covid-19-Pandemie entstehen, in vier Kategorien. Am meisten ins Gewicht fällt demnach die Corona-Schutzausrüstung aus Krankenhäusern mit rund 87 Prozent. An zweiter Stelle steht – jedoch mit sehr grossem Abstand – der individuelle Masken-Verbrauch der Bevölkerung mit knapp acht Prozent. Der Rest betrifft Material von Corona-Tests sowie Einkaufsverpackungen, die auf vermehrtes Online-Shopping während der Pandemie zurückgehen.

Bis zu zehnmal mehr Schutzmaterial in den Spitälern

Dass in den Spitälern seit Ausbruch der Pandemie deutlich mehr Material an persönlicher Schutzausrüstung anfällt, zeigt sich auch in der Schweiz: Im Universitätsspital Zürich hat sich etwa die Zahl der Schutzbrillen beinahe verdoppelt, die der FFP2-Masken gar fast verzehnfacht. Auch im Berner Inselspital schnellte der Verbrauch von Schutzausrüstung massiv in die Höhe: «In den letzten 24 Monaten haben wir mehrere Millionen Hygienemasken und Handschuhe verbraucht sowie zigtausend FFP2-Masken und Einwegkittel», schildert eine Sprecherin. Je nach Artikel habe sich der Verbrauch verfünf- bis verzehnfacht. Besonders erheblich sei die Steigerung bei Hygienemasken und FFP2-Masken sowie bei den Schutzkitteln. Diese grosse Menge an Schutzmaterialien geht in den Spitälern mit einer entsprechend grossen Abfallmenge einher. Sie wird gemäss Vorschriften des Bundes in der Kehrrichtverbrennungsanlage (KVA) verbrannt.

«Verwandelt» in einer Stunde

Doch könnte man gebrauchtes Covid-Schutzmaterial auch wiederverwerten? Ein Forschungsteam aus Neuseeland und Kanada hat dies mit einer speziellen Technologie versucht, bei welcher der Abfall verflüssigt wird. Zwar haben die Forschenden noch keine Details publiziert, doch im Kern beschreiben sie das Vorgehen wie folgt: Masken, Kittel, Handschuhe und Schutzbrillen aus Kunststoff werden zerkleinert und gelangen im Labor in eine Prototypmaschine. In dieser herrschen Temperaturen von rund 300 Grad Celsius. Zum Einsatz kommen ausserdem heisses, unter Druck stehendes Wasser sowie Druckluft. Rund eine Stunde daure der Prozess der Verflüssigung – die Endprodukte seien Wasser und Essigsäure. Als gasförmige Nebenprodukte entstehen Sauerstoff und geringe Konzentrationen von Kohlendioxid, die aber laut den Forschenden «sicher abgeleitet werden können». «Es handelt sich um eine chemikalienfreie Lösung, die sich international durchsetzen wird», schreibt Saied Baroutian, Chemiker an der Universität Auckland, in einer Mitteilung. Gar von einem «Game Changer» ist die Rede. Die dabei resultierenden Flüssigkeiten könnten verschiedentlich wiederverwertet werden – der Essig oder die Essigsäure zur Desinfektion, das Wasser für die Versuche selbst. Dies minimiere den Wasserverbrauch und leiste einen Beitrag zur Nachhaltigkeit.

Wie «rein» ist das Endprodukt?

Etwas nüchterner beurteilen Schweizer Wissenschaftler den Ansatz: Forschende der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW nutzen ebenfalls thermochemische Prozesse, um unter Hitze und Dampfdruck aus organischem Abfall Wertstoffe zu gewinnen. Dies konkret aus Biomasse: Aus Klärschlamm oder Gülle entsteht Biokohle. Allerdings sind die Temperaturen hier niedriger als bei der in Neuseeland angewandten Methode. Gegenüber dem Versuch mit Covid-Schutzmaterial zeigen sich ZHAW-Forschende skeptisch: «Im Gespräch mit unserer Forschungsgruppe waren wir erstaunt, dass es ‹rein› sein soll, was am Ende des Prozesses resultiert», kommentiert Hans-Joachim Nägele, Leitung der Fachgruppe Umweltbiotechnologie, die Pilotstudie auf Anfrage. Dem pflichtet Gabriel Gerner bei, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der ZHAW-Forschungsgruppe Bodenökologie: «Der Prozess wird als sehr einfach und sauber beschrieben und als Produkte nur Essigsäure und Wasser angegeben. Nebenprodukte wie das Prozesswasser werden nicht erwähnt.» Er erklärt: «Bei diesen Prozessen entsteht kein sauberes Wasser, dieses muss nachträglich gereinigt werden.» Zudem bestehe bei der Verwertung von Covid-Schutzmaterial mit chlorhaltigem Polyvinylchlorid die Gefahr von unerwünschten Nebenprodukten, also giftigen Dioxinen. Zwar könnte das in Neuseeland genutzte Verfahren für Covid-Schutzmaterial ein möglicher Verwertungsweg sein, sagt er abschliessend. «Aber wichtig wäre zu wissen, welche Polymerarten geeignet sind, und wie mit den Nebenprodukten verfahren wird.» Dazu geben die neuseeländischen und kanadischen Forschenden in ihrer Mitteilung keine Angaben. Indes planen sie aber schon die nächsten Schritte, um ihren Ansatz zu einem grösseren Pilotsystem weiterzuentwickeln.

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