Der deutsche Pharma- und Agrarchemiekonzern Bayer bezahlt über neun Milliarden Franken ohne Pflicht zur Zahlung. Zum Zuge kommen 100 000 Menschen, die geklagt haben. Sie machen geltend, durch die Anwendung des Unkrautvernichters Glyphosat Krebs bekommen zu haben. Bayer bestreitet diesen Zusammenhang, beseitigt jetzt aber dennoch die Klagen mit einem teuren Vergleich. Hinzu kommen weitere 1,25 Milliarden US-Dollar für die Abwendung von «potenziellen künftigen Klagen». Bayer betont, das sei kein Eingeständnis einer Schuld oder eines Fehlverhaltens.

Tatsächlich steht Bayer für Monsanto ein, das Glyphosat «erfunden» hat. Nur: Bayer hat Monsanto 2018 für übertriebene 60 Milliarden Dollar gekauft, obschon damals bereits die Glyphosat-Problematik breit diskutiert wurde. Zur Erinnerung: Monsanto hatte zuvor versucht, den Schweizer Agrokonzern Syngenta zu übernehmen. Nach langem Hin und Her zog Monsanto-Chef Hugh Grant im Herbst 2015 sein Angebot von 44 Milliarden Franken für den Schwier-Agrokonzern zurück. Für Syngenta-CEO Michael Mack war der offerierte Preis zu tief und Monsanto mit seinem genmanipulierten Maissaatgut zudem unsympathisch. Er sprach auch von strategischen Problemen aufseiten Monsanto, da der US-Konzern zu wenig breit aufgestellt sei. Da lag er richtig. Deshalb griff Bayer 2018 zu und übernahm Monsanto für über 60 Milliarden Dollar – inklusive Glyphosat-Rechtsrisiko.

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Damals wurde noch alles runtergespielt. Bayer beteuert stets, dass Glyphosat bei sachgerechter Anwendung sicher sei. Die zur Weltgesundheitsorganisation WHO gehörende Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) hatte jedoch daran bereits ab 2015 Zweifel. Sie erklärte, dass Glyphosat «wahrscheinlich krebserregend bei Menschen» sei. Das Herbizid wurde 1974 von Monsanto unter dem Namen Roundup auf den Markt gebracht. Weltweit ist es seit Jahren der mengenmässig bedeutendste Inhaltsstoff von Herbiziden. Es kam und kommt in der Landwirtschaft zum Einsatz, um die Felder vor der neuen Aussaat von Unkraut zu befreien.

In den 1990er-Jahren bekam Monsanto die Zulassung für gentechnisch veränderte Pflanzen mit einer Resistenz gegen Glyphosat. Dies ermöglichte es, glyphosathaltige Herbizide auch nach der Aussaat und während des gesamten späteren Wachstums der Pflanzen einzusetzen. Das wurde das grosse Geschäft von Monsanto – mit nun teuren Folgen für Bayer und ungewissem Ausgang. Bayer-Chef Werner Baumann ist sich nicht zu schade, jetzt zu sagen: «Glyphosat steht vollkommen zu Unrecht in der Diskussion.» Die Patente auf die Herstellung von Glyphosat sind im Jahr 2000 abgelaufen. Mehr als 40 Prozent der über 800 000 Tonnen Glyphosat werden heute in China hergestellt. 90 Prozent davon kommen in der Landwirtschaft zur Anwendung.

Der Medikamentenskandal

Der Vergleich erinnert frappant an den Contergan-Skandal vor 50 Jahren. «Contergan und Contergan forte führen ohne Nebeneffekte je nach der Dosis eine sichere Beruhigung oder schnelle Schlafbereitschaft herbei. Die ungiftigen Substanzen …», lautete damals die Werbung für das Schlafmittel, das von der Chemie Grünenthal GmbH auch Schwangeren angepriesen wurde. «Für Greis und Kind gleich gut geeignete» − ein weiterer Slogan, als das Medikament 1957 in den Handel ging. Doch bei Schwangeren führte das Beruhigungsmittel zu körperlichen Missbildungen der Neugeborenen, wie Finger- und/oder Beinstümmel. Der Prozess um die Entschädigung dieser Opfer begann 1968 bei Aachen und dauerte 283 Verhandlungstage. Im Dezember 1970 wurde der Prozess jedoch «wegen Geringfügigkeit» eingestellt, weil die Firma den Opfern 100 Millionen Mark unter der Bedingung zahlte, auf weitere Ansprüche zu verzichten.

Dennoch erzeugte der skandalöse Prozess eine nachhaltige Wirkung. 1978 trat in Deutschland ein Arzneimittelgesetz in Kraft, das zum ersten Mal für alle Medikamente eine klinische Prüfung vorschrieb. Zudem musste das Herstellungsunternehmen jeweils nachweisen, dass das neue Medikament zu keinen Schäden führt. Die Beweispflicht in der Produzentenhaftung wurde somit umgekehrt. Im Contergan-Prozess stellte sich damals ein weiteres Problem: Die Chemie Grünenthal GmbH konnte nicht verklagt werden, sondern nur deren Mitarbeiter. Ihnen musste einzeln strafbares Handeln nachgewiesen werden, was eben äusserst schwierig war.

Mit dem Bayer-Vergleich ist jetzt offenbar das Monsanto-Problem gelöst, die Glyphosat-Problematik aber noch lange nicht. Weitere Prozesse gegen andere Hersteller dürften folgen.

Dieser Beitrag erschien erstmals im doppelpunkt.
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