Auf den ersten Blick fällt am Snackautomaten des Departements Technik und Informatik am Höheweg 80 der Berner Fachhochschule BFH in Biel nur auf, dass das Sortiment den Cafeteriarahmen sprengt: Neben Schokolade und Getränken sind auch Werkzeuge und Bücher zu haben. Doch wer hier etwas kaufen will, muss dazu das elektronische Bezahlsystem GNU Taler verwenden. Ein Tabletcomputer an der Kasse ermöglicht es, gegen Franken ein Guthaben in E-Franken in die sogenannte GNU-Taler-Wallet-App auf dem Smart- phone zu laden. Damit werden dann die Produkte aus dem Automaten bezogen.

Keine Währung

GNU Taler ist ein Onlinebezahlsystem für Internetnutzer und nicht etwa eine Währung. Denn das Bezahlsystem muss für jede Währung (z.B. Franken, Euro, US-Dollar) angepasst werden, damit es Verwendung finden kann. GNU Taler ist Teil des GNU-Projektes. Dieses stellt die Basis von vielen freien Betriebssystemen dar, zum Beispiel Debian-Linux oder Ubuntu.

Das Ziel von GNU Taler: die Vorteile des Bargeldes (Vertrauen und Anonymität) mit den Vorteilen elektronischer Kommunikation (kostengünstig, online und sicher) zu kombinieren. Das Besondere an GNU Taler: Das Bezahlsystem wurde von der Informatikabteilung in Biel mitentwickelt und wird von der BFH gehostet. Das bedeutet, dass die Server und Computer mit den wichtigsten Daten zum Projekt an der BFH stehen.

Christian Grothoff hat das elektronische Bezahlsystem zusammen mit ehemaligen Doktoranden konzipiert. Die Unterstützung von Andreas Habegger ist für die Schnittstelle zwischen der Software und der Hardware, sprich dem Automaten, unabdingbar.

Um den Snackautomaten für GNU Taler auszurüsten, war um den Jahreswechsel ein ganzes Domino an Herausforderungen zu bewältigen: Es galt, die Steuerung zu konfigurieren, ihr Display ergonomisch zu konzipieren, Elektronik einzubauen, die Near Field Communication für das kontaktlose Bezahlen einzurichten, die Steuerung der einzelnen Fächer so zu verkabeln, dass beim Nachfüllen der Produkte nichts kaputtgehen kann, und vieles mehr.

Der Prototyp fordert heraus

Da es sich beim GNU-Taler-Automaten um den Prototyp handelt, mussten viele Komponenten von Grund auf entwickelt, hergestellt und programmiert werden. Die Projektverantwortlichen haben verschiedene Konzepte verglichen, eines umgesetzt und in mehreren Schritten verbessert, bis der Prototyp bereitstand.
Diverse Informatik- und Elektronikfirmen waren in den Prozess involviert. Zur Unterstützung wurde vor Kurzem von Studierenden der Berner Fachhochschule das Start-up Anastasis gegründet, das eine Lösung für das datenschutzfreundliche Back-up von Wallets (elek- tronischen Portemonnaies) entwickelt. In unterschiedlichen Kombinationen haben Fachleute in Biel und Übersee zusammengearbeitet.

Da der Automat Ende 2019 in Leipzig am 36C3-Hackerkongress seinen ersten Einsatz hatte, holten die Projektverantwortlichen die Meinung der Europäischen Zentralbank zum GNU-Taler-Testlauf ein. Ihr Echo war äusserst positiv. Anschliessend kam der Snackautomat beim World Cybereconomic Forum zum Einsatz, das am Rand des World Economic Forum Ende Januar in Klosters stattfand.

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Eine Einladung an die internationale Informatikgemeinschaft, GNU Taler auf Schwachstellen zu testen, hat seither die Qualität des elektronischen Bezahlsystems bewiesen, sowohl in Fragen der Sicherheit und Vertraulichkeit als auch bei der Anwenderfreundlichkeit und beim Ressourcenverbrauch; anders als zum Beispiel die Kryptowährung Bitcoin ist GNU Taler kein Stromfresser und kann nicht mithilfe immenser Rechnerleistungen geschürft werden.

Inzwischen wurden am GNU-Taler-Automaten in knapp 200 Transaktionen Güter im Wert von rund 1000 Franken umgesetzt. Nächstes Jahr sollen ein Dutzend herkömmliche Kaffeeautomaten an den BFH-Standorten in Biel für GNU Taler umgerüstet werden. Von der breiten Nutzung durch die Studierenden nach der Rückkehr aus dem Fernunterricht erhoffen sich die Dozenten Anregungen und Kritik. Sie möchten die Verwendung des digitalen Bezahlsystems so attraktiv gestalten, dass GNU Taler in einigen Jahren auch ausserhalb der Berner Fachhochschule Verwendung findet.

Hilfe bei der Sensibilisierung

Der Automat ist weit mehr als eine Spielerei. GNU Taler ist ein digitales Bezahlsystem, das zugleich transparent ist und den Datenschutz der Nutzerinnen und Nutzer respektiert. Es soll zudem helfen, die Studierenden für den Schutz ihrer Personen- und Nutzungsdaten im Zeitalter der Digitalisierung zu sensibilisieren. Als Studierende einer Fachdisziplin der Informationstechnologien müssen sie auch einen kritischen Blick auf die Digitalisierung wahren. Wir sind überzeugt: Es lohnt sich, die persönlichen Daten im Internet zu schützen, und es ist mit wenig Aufwand machbar.

GNU Taler – eine Philosophie

GNU ist ein globales Projekt für freie Software. Hinter dem Begriff
«Taler» verbirgt sich eine sozial-liberale Philosophie, die dem digitalen Bezahlsystem die grösstmögliche Sicherheit verleiht. Die fünf Buchstaben helfen, das Prinzip zu verinnerlichen:
– T steht für «taxable», steuerbar: GNU Taler tritt dem Staat gegenüber transparent auf.
– A steht für «Anonymität»: Die Privatsphäre der Nutzerinnen bleibt gewahrt. Sie kennen gegenseitig keine persönlichen Daten voneinander, sodass keine Datenspuren zurückverfolgt werden können.
– L steht für «libre», frei: Indem das Bezahlsystem auf einer offenen Software basiert, wird das Recht auf Selbstbestim- mung in der digitalen Welt gewahrt.
– E steht für «elektronisch» und zugleich für «einfach»: Auch Kinder können GNU Taler nutzen.
– R steht für «Reserve»: Bei der Nutzung von GNU Taler ist Verschuldung ausgeschlossen.
Dieser Beitrag stammt von der Berner Fachhochschule BFH. Er erschien erstmals im BFH-Magazin «spirit biel/bienne» 2020/3.
Kontakt zu den Projektverantwortlichen:
Dr. Christian Grothoff, Professor für Informatik, BFH.
Andreas Habegger, Professor für Informatik, BFH.
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