Das musst du wissen

  • Die Robinie ist eine fremde Baumart, die vor rund zweihundert Jahren ins Tessin eingeführt wurde.
  • Forschende haben nun untersucht, ob sie sich zur Herstellung von Holzfässern für die Grappa-Veredelung eignet.
  • An einer Degustation konnten sich Interessierte ein Bild der versuchsweise in Robinie ausgereiften Grappa machen.
Den Text vorlesen lassen:

Normalerweise wird die Robinie in der Schweiz nicht so lobgepriesen wie kürzlich im Tessin. Denn die vor zweihundert Jahren eingeschleppte Baumart besiedelt offene oder brachliegende Flächen rasch und wächst auch sehr schnell. Damit können sich dort einheimische Holzarten schwieriger verbreiten. Darüber hinaus hat sie als Bohnengewächs die Eigenschaft, der Luft Stickstoff zu enenhmen und dem Boden zuzuführen. Auf diese Weise werden sonst nährstoffarme Lebensräume wie Trockenwiesen mit Stickstoff überdüngt. Deshalb steht die Robinie in der Schweiz auf der Schwarzen Liste schädlicher Neophyten.

Robinie mit kleinen grünen Blättern und in Trauben hängenden weissen Blüten.pixabay/May_hokkaido

Die Robinie (Robinia pseudoacacia) ist schön anzusehen, gehört aber zu den invasiven Neophyten.

Solche werden in der Regel bekämpft – nicht aber die Robinie im Tessin: Sie kommt schon zu zahlreich vor, als dass man sie noch loswerden könnte. Mittlerweile breitet sie sich auch nicht mehr so rasant aus, sagt Forstingenieur Marco Conedera, der die Forschungseinheit der Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL in Cadenazzo leitet. Und er fügt an: «In der Natur gibt es oft kein Gut und Schlecht». Solange eine neue Art nicht zu viele andere Arten verdrängt und so die Biodiversität reduziert, seien solche Veränderungen wertfreier Teil der Natur.

Idee für ein Nischenprodukt

Ein Problemkind ist die Robinie im Tessin damit also nicht mehr – richtig integriert ist sie deswegen aber dennoch nicht. Forschende der WSL, der Holzindustrie-Vereinigung Federlegno und von Agroscope wollten das nun aber ändern und eine positive Eigenschaft des Neophyten ausnutzen: Dessen Holz eignet sich nämlich für die Herstellung von Grappa-Fässern. Um Grappa zu veredeln, lagert man im Tessin das Destillat des Merlot-Tresters, des Rückstands der Trauben nach dem Weinpressen, normalerweise in Eichenfässern. In ihrem Projekt untersuchten die Forschenden, ob sich auch Robinienfässer zur Veredelung eignen. Die Ergebnisse stellten sie Anfang November in Morbio Inferiore im Mendrisiotto vor.

Fruchtiges Aroma

Im Rahmen der Veranstaltung konnten die Anwesenden selbst beurteilen, ob die Robinien-Fässer angenehme Aromen an die darin gelagerte Grappa abgegeben haben. Es gab Kostproben der in jeweils drei Fünfzig-Liter-Fässern aus Eichen- und Robinienholz sechs Monate lang gereiften Grappa. Das Fazit: Die in Eiche gereifte Grappa schmeckt sehr ausgewogen. Die in Robinie gereifte Grappa hat etwas Spritziges, die fruchtigen Trauben-Aromen treten klar hervor.

Agroscope muss sich aber nicht allein auf die menschlichen Geschmacksnerven verlassen. Die Forschenden messen mittels sogenannter Gaschromatographie-Massenspektrometrie die im Schnaps enthaltene Menge verschiedener chemischer Substanzen, die das Bouquet der Grappa ausmachen. Während die in Eichenfässern gelagerte Grappa mehr Eugenol enthält, welches ein würziges Aroma hervorruft, kommt in der in Robinie gelagerten etwa mehr Guajacol vor, welches dem Schnaps einen rauchigen Charakter gibt. Und was ist jetzt besser? «Das hängt von den persönlichen Vorlieben ab», sagt die Lebensmittelingenieurin Sonia Petignat-Keller, die bei Agroscope für das Projekt verantwortlich war. Fest steht auf alle Fälle: Das Bouquet der in Robinie gelagerten Grappa ist in der Tessiner Grappa-Landschaft einzigartig. Das neue Produkt ist aber nicht nur speziell, es wird auch als komplett lokal angepriesen – ein geschätztes Merkmal in der Coronazeit, durch die wir uns der Fragilität internationaler Lieferketten bewusst geworden sind.

Interesse der Hersteller geweckt

Mithilfe des Grappa ist die Einwanderin also zu einer Lokalen geworden. Ob die Robinie ihre Stellung im Tessin festigen kann, wird sich nun zeigen. Ganz reif ist die Grappa aus Robinienfässern nämlich noch nicht. «Wir hatten zu Beginn Bedenken, ein rein technisches Produkt herzustellen, da wir aus versuchstechnischen Gründen die Destillationsparameter immer gleich hielten», erzählt die Agroscope-Forscherin Sonia Petignat-Keller, «glücklicherweise ist das Produkt aber doch sehr trinkbar.» In der Praxis allerdings würde man die Grappa in Robinienfässern wohl kürzer lagern als in Eichenfässern, da das Robinienholz der Testfässer schneller Aromastoffe abgab. Auch welcher Teil des aus dem Trester destillierten Alkohols verwendet wird, wählen die Tessiner Grappa-Hersteller üblicherweise individuell. An ihnen liegt es nun, diese Feinjustierung der Veredelungsparameter vorzunehmen, sodass die Aromanoten bestmöglich zur Geltung kommen. Bereits bekundete Angelo Delea, ein grosser Tessiner Spirituosenproduzent, sein Interesse, ein 225-Liter-Barrique-Fass zu kaufen.

Dieser Text entstand im Rahmen des CAS Wissenschaftsjournalismus am Maz. Magdalena Klotz ist Doktorandin am Lehrstuhl für ökologisches Systemdesign an der ETH Zürich.
Diesen Beitrag teilen
Unterstütze uns

regelmässige Spende