Am liebsten kommt es abends, wenn es Zeit wird fürs Bett. Dann schleicht es sich in die Köpfe der Menschen und macht sich breit. An einen erholsamen Schlaf ist nicht mehr zu denken, wenn es sich das Grübelmonster erst mal so richtig bequem gemacht hat in einem drin. Doch auch wenn das nächtliche Grübeln das verheerendste ist, gegrübelt werden kann auch tagsüber. Und eigentlich geht es beim Grübeln doch vermeintlich darum, für ein Problem die beste Lösung zu finden – es steckt also erst mal eigentlich eine gute Absicht dahinter. Leider basiert diese auf der falschen Annahme, dass man mit Nachdenken alles lösen kann. Und weil genau das nicht passiert, muss man immer weiter nachdenken und weiter grübeln. Bis das Grübeln an sich zu einem Selbstzweck wird und sich nicht mehr die Art verändert, was wir denken, sondern nur noch wie wir über etwas nachdenken. Das ist der Moment, in dem Grübeln zu belasten beginnt, statt Entlastung zu bringen. Denn wenn sich die Gedankenspiralen verselbstständigen und sich aufdrängen, gehört die ganze Aufmerksamkeit ihnen und nicht mehr dem, was man eigentlich gerade tun wollte.

Verschiedene Studien zeigen mittlerweile, dass Grübeln vor allem Probleme schafft, statt sie zu lösen, und dabei auch noch negative Folgen für die Gesundheit mit sich bringt. So lösen unangenehme Gefühle wie Angst oder Traurigkeit Grübelschleifen nicht nur aus, sondern sie sind auch eine Folge davon. Beim Grübeln leidet die Konzentrations- und Problemlösefähigkeit. Man trifft eher Entscheidungen, mit denen man unzufrieden ist, und man hat ein erhöhtes Risiko, psychisch krank zu werden. Aber warum hört man dann nicht einfach auf mit dem schädlichen Tun?

Unsicherheit und Ohnmacht

Einer, der sich intensiv mit dem Phänomen Dauergrübeln auseinandergesetzt hat, ist Psychotherapeut Andreas Knuf. Gegenüber dem Onlinemagazin Perspective Daily erklärt er: «Die Flucht in die Gedanken ist einer der verbreitetsten, raffiniertesten Tricks, die wir Menschen anwenden, um uns vor der Wahrnehmung von Gefühlen zu schützen. Grübeln ist ein Ablenkungsmanöver.» Wer beispielsweise Angst hat vor der Zukunft, grübelt über seine finanzielle Situation oder ob die Rente später reichen wird. Er erkennt darüber nicht, dass er eigentlich einfach Angst hat vor dem Älterwerden und davor, bestimmte Fähigkeiten zu verlieren. Und genau das ist laut Knuf der Grund, warum Grübeln nicht hilft, Entscheidungen zu treffen und Probleme zu lösen: «Auf der kognitiven Ebene kann ich ein emotionales Thema nicht verarbeiten. Wenn jemand nur auf der kognitiven Ebene arbeitet, kommen Handlungen raus, hinter denen kein Saft ist. Die verpuffen, die erlahmen schnell, die werden kraftlos. Denn unsere eigentliche Motivation kommt aus den Gefühlen.»

Knuf meint damit, dass man nur Entscheidungen treffen kann, wenn man bestimmten Dingen einen Wert zuordnet, ihnen eine emotionale Verbindung gibt. Dass viele Menschen versuchen, durch Grübeln zur besten Entscheidung zu gelangen, erklärt sich laut Knuf dadurch, dass sie damit versuchen, die Kontrolle zu behalten und unangenehme Gefühle auszuschalten. «Denn generell sind Menschen schlecht darin, Gefühle von Unsicherheit und Ohnmacht auszuhalten», sagt Andreas Knuf.

Die richtige Frage kann helfen

Was könnte also helfen gegen die destruktiven Gedankenmonster? Das Denken einfach mal abschalten? Das funktioniert leider nicht, wie die moderne Achtsamkeitsforschung belegt. Denn es gibt keinen Schalter, mit dem sich Gedanken ausschalten lassen, man kann sie höchstens in gesündere Bahnen lenken. Laut Knuf geht es darum, die eigenen Grübelgedanken nicht zu verurteilen – das verschlimmert das Problem meist nur – und durch den Fokus auf den gegenwärtigen Augenblick Platz für Gefühle zu schaffen. Einfach sei aber auch das nicht, sagt Andreas Knuf. Den eigenen Gedanken wertungsfrei zu lauschen und Gefühle zuzulassen, sei zunächst meist unangenehm und anstrengend, oft sogar schmerzhaft. Achtsamkeitstraining ist eben kein Wohlfühl-Quickie, sondern ein langwieriger Prozess, der aber nachweislich zu mehr Ruhe im Kopf führen kann.

Knuf schlägt zwei Übungen vor, um aus Gedankenschleifen ausbrechen zu lernen. Zum einen sollte man nicht nach dem «Warum», sondern nach dem «Was» fragen. Hinter der Warum-Frage steht laut Knuf die These, dass es anders werde, wenn man die Zusammenhänge versteht. Doch auch wenn es natürlich wichtig sei, gewisse Hintergründe eines Problems zu kennen, kann die Warum-Frage eben auch ein Widerhaken sein, von dem man nicht mehr loskommt. Wenn man sich fragt «Was fühle ich gerade? Was möchte ich? Was brauche ich?», sei man achtsamer mit sich selbst, sagt Knuf. Und das Umformulieren könne helfen, die sich drehenden Gedanken in die Gegenwart und auf die Gefühle zu lenken.

Eine andere Strategie gegen chronisches Grübeln ist Schreiben. Schon kurze Tagebucheinträge helfen, belastende Gedanken abzuladen oder sie aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Neben der therapeutischen Wirkung des sogenannten expressiven Schreibens sind auch seine positiven gesundheitlichen Effekte belegt. Sie reichen von einem verbesserten allgemeinen Wohlbefinden über einen niedrigeren Blutdruck hin zu weniger Grübeln. Andreas Knuf formuliert den Unterschied zwischen Grübeln und reflektiertem Schreiben so: «Ich schreibe nicht das auf, was ich schon weiss, sondern erfahre mich während des Schreibens selbst.» Zudem bietet Schreiben die Möglichkeit, auch mal einen Punkt hinter etwas zu setzen.

Buchtipp

Widerstand zwecklos
von Andreas Knuf
Kösel, 2018
ISBN 978-3-466-34712-4
Fr. 25.90

Dieser Beitrag erschien erstmals im doppelpunkt.
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