Das musst du wissen

  • Haareis besteht aus extrem dünnen Eisfäden, die aus totem, nassem Holz spriessen.
  • Haareis entsteht aus Wasser, das durch physikalische Prozesse aus dem Holz an die Oberfläche gezogen wird.
  • Damit statt eines Eisklumpens am Holz jedoch Haare entstehen, braucht es spezielle Pilze.
Den Text vorlesen lassen:

Wer dieser Tage im Wald spazieren geht, könnte auf feine, weisse Eisfäden stossen, die totem Holz wie Haare zu Berge stehen: Haareis. Es ist rund fünf Mal dünner als menschliches Haar und wächst bis zu 20 Zentimeter in die Länge. Spaziergänger können es auf nassem, aber ungefrorenem Holz im Laubwald entdecken, wenn kein Schnee liegt, die Temperaturen knapp unter dem Gefrierpunkt harren und eine hohe Luftfeuchtigkeit herrscht.

Seit über 100 Jahren spekulieren Wissenschaftler über den Ursprung dieser haarigen Strukturen. Erst vor einigen Jahren bestätigten sie einen lange gehegten, aber nie bewiesenen Verdacht: Hinter dem Haareis stecken Pilze.

An der Forscherfront mit dabei war der Schweizer Gerhard Wagner, Pflanzenliebhabern bekannt als Mitautor der «Flora Helvetica», dem Standardwerk zur Botanik in der Schweiz. Auf seinem Balkon gelang es dem pensionierten Biologen, wie bereits einigen seiner Mitforscher, Haareis «nachzuzüchten». Er ging aber einen Schritt weiter und bewies mit gezielten Experimenten, dass ein Abtöten von Pilzen im Holz eine erneute Bildung von Haareis verhindert. Wagner publizierte diese Studien zusammen mit dem Berner Physiker Christian Mätzler im Jahr 2009.

Science-Check ✓

Studie: Evidence for biological shaping of hair iceKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Forschenden haben verschiedenste Experimente und Feldstudien durchgeführt und dabei Messungen vorgenommen. Das macht die Resultate relativ robust. Allerdings stammen die Proben ausschliesslich aus Deutschland und aus der Schweiz. Die Studie bezieht sich also auf das hiesige Phänomen.Mehr Infos zu dieser Studie...

Dies war die Grundlage, auf der ein deutsches Forschungsteam in Zusammenarbeit mit den Schweizern Mätzler und Wagner aufbaute. Im Jahr 2015 publizierten die Forschenden des Rätsels Lösung. Der für das Haareis – zumindest in Deutschland – verantwortliche Pilz wurde dabei entlarvt. Von 119 gesammelten Ästen von zehn verschiedenen Baumarten kam nur ein einziger Pilz in allen Proben vor: die Rosagetönte Gallertkruste, mit wissenschaftlichem Namen Exidiopsis effusa.

Doch woher kommt überhaupt das Wasser, das zu Haaren gefriert? Das Deutsch-Schweizerische Forscherteam schaute sich genauer an, was im Sandwich zwischen Holz, Wasser und Eis passiert. Mit einem einfachen Experiment konnten sie feststellen, dass der Pilz nicht einfach – wie bisher vermutet – das Wasser aus dem Holz verdrängte: Der gleiche Ast, einmal mit und einmal ohne Fungizid, bildete genau gleich viel Eisvolumen. Allerdings wuchsen nur im unbehandelten Teil Haare, während das Eis ohne Pilz als unspektakulärer Klumpen gefror. Dass das Wasser aus dem Holz austritt, könnte deshalb am physikalischen Prozess namens «Frosthub» liegen. Frosthub beschreibt die Eisbildung mit Wasser, welches aus Kapillaren an die Oberfläche kommt. Durch Energie- und Wärmeunterschiede zwischen Eis und Wasser entsteht eine Sog-Wirkung, mit der das Wasser aus dem Holz zum Eis hingezogen wird. Das funktioniert nur, solange das Wasser im Holz noch flüssig ist, was wiederum Temperaturen um den Gefrierpunkt bedingt. Damit das Eiskonstrukt sich nicht einfach in Luft auflöst, braucht es ausserdem eine hohe Luftfeuchtigkeit.

_____________

📬 Das Neuste und Wichtigste aus der Wissenschaft, jeden Dienstag und Donnerstag per E-Mail:
Abonniere hier unseren Newsletter! ✉️

_____________

Und wie kommt es nun zur Eismähne? Um das herauszufinden, studierte das Team die chemische Zusammensetzung des Eises. Sie fanden heraus, dass im Haareis Fragmente von Lignin und Tannin enthalten sind. Tannin kennt der Weinliebhaber als pflanzlichen Gerbstoff, der für den «Pelz auf der Zunge» sorgt. Lignin ist der Stützbaustoff von Holz und verantwortlich für dessen Stabilität. Momentan gehen die Forscher davon aus, dass mindestens einer dieser Stoffe als eine Art Frostschutz fungiert. Dieser Schutz sorgt dafür, dass nur eindimensional ein Kristall nach dem anderen als Haar aufeinander geschnürt wird und dies ausschliesslich von der Quelle des Wassers aus: Dem Holz spriessen Haare.

Diesen Beitrag teilen
Unterstütze uns

regelmässige Spende