Das musst du wissen

  • Hagel gehört zu den schadenreichsten Naturereignissen in Mitteleuropa.
  • Das auch weil Hagel kaum voraussagbar ist.
  • Deshalb errichten Forschende nun 80 automatische Hagelsensoren in den besonders betroffenen Gebieten der Schweiz.

Kaum ein Wetterphänomen ist so unberechenbar wie Hagel: Meteorologen wissen kaum, wann und wo er niedergehen wird. Das ist fatal. Denn Hagel produziert die teuersten Unwetter in Zentraleuropa. «Hagel ist in einigen Regionen Mitteleuropas noch vor Überschwemmungen das schadensreichste Naturereignis», sagt Michael Kunz, Klimaforscher am Karlsruher Institut für Technologie. Obwohl es oft nur auf einem Streifen von wenigen hundert Metern bis allenfalls 20 Kilometern Breite hagelt, beläuft sich der Schaden, den Versicherungen erfassen, in extremen Fällen auf mehr als eine Milliarde Franken pro Hagelzug. 14 Zentimeter gross war das Hagelkorn, das 2013 in Süddeutschland nahe Reutlingen niederging und das den Rekord hält.

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Eines der schlimmsten vergangenen Hageljahre in der Schweiz war das Jahr 2009: Damals belief sich der versicherte Schaden an Autos, Gebäuden und in der Landwirtschaft auf über 300 Millionen Schweizer Franken. «Leider sind gerade moderne Bauten nicht so resistent wie ältere Gebäude», sagt Ena Hirschi von der Mobiliar Versicherung, die schweizweit Fahrzeuge und in einigen Kantonen auch Gebäude gegen Hagelschäden versichert. Besonders leicht gehen die Lamellen und Jalousien an Häusern mit grossen Fensterflächen zu Bruch, oft schon ab einer Korngrösse von drei Zentimetern. «Auch moderne Fassadendämmungen aus Kunststoffschäumen sind oft ein Problem», sagt Klimaforscher Kunz. Gewöhnlich verdeckt die Dämmungen nur eine dünne Schicht Putz. Hagelkörner schlagen deshalb in diese weichen Wände regelrechte Krater. Die Fassade muss dann vollständig erneuert werden. Gefährdet sind auch die empfindlichen Oberflächen von Solarzellen und Sonnenkollektoren auf den Dächern. Die Hagelschäden nehmen so von Jahr zu Jahr zu. «Weil moderne Gebäude weniger hagelrobust sind, übersteigen die Schäden im Bereich der Infrastruktur inzwischen jene der Landwirtschaft erheblich», warnt Kunz.

Neben stabileren Baumaterialien könnte eine verlässliche Hagelwarnung Schlimmeres abwenden. «Das wäre ein grosser Durchbruch. Dann könnten die Menschen schnell das Auto in die Garage stellen und die Jalousien hochziehen», sagt Versicherungsangestellte Hirschi.

Hagel noch wenig erfasst

Das Problem: Hagel ist ein extrem komplexes Phänomen. «Es gibt keine anderen Wetterphänomene, die wir so wenig verstehen wie Hagel und Tornados», sagt Klimaforscher Michael Kunz. Denn die Entstehung des Hagels in den Kumuluswolken ist von verschiedensten Faktoren abhängig. Hagel kann nur dann entstehen, wenn die richtige Anzahl an Eiskeimen zugegen ist, erläutert Kunz. Reines, destilliertes Wasser würde erst bei etwa minus 38 Grad Celsius zu Eis gefrieren. Befinden sich aber bestimmte Bakterien in der Wolke, gefriert das Wasser schon bei etwa Null Grad. Mikroben sind also ein echter Hagelkatalysator. Auch Feinstaub und Pollen in der Atmosphäre erhöhen die Temperatur, ab der Hagelkörner entstehen.

Zudem ist Hagel noch wenig gut erfasst. Weil Hagelstürme so kleinräumig sind, messen die Wetterstationen in der Schweiz den eisigen Niederschlag nicht systematisch und sind dafür auch nicht mit geeigneten Instrumenten ausgestattet. Zwar melden in der Schweiz inzwischen Bürger Hagelereignisse an den Wetterdienst MeteoSchweiz. Aber wie verlässlich und flächendeckend diese Beobachtungen sind, weiss niemand genau.

Deshalb haben Forscher der Universität Bern mit MeteoSchweiz Radardaten von 2002 bis 2016 auf Hagel ausgewertet. Denn die elektromagnetischen Wellen des Radars werden von Hagelkörnern in der Luft zurückgeworfen. Aus den Daten ermittelten die Forscher, dass es in der Schweiz in drei Regionen besonders oft hagelt: im Napfgebiet, im Jura und im Südtessin. Am Gefährlichsten wird es in diesen Regionen im Juli – und zwar nachmittags.

Doch Radardaten sind nicht wirklich ausreichend, um die Hagelereignisse zu ermitteln. «Wir können aus diesen Daten nur sagen: In der Atmosphäre war Hagel. Aber was am Boden angekommen ist, wissen wir nicht. Vielleicht schmolz der Hagel und es landeten doch nur dicke Regentropfen auf der Erde», erklärt die Klimaforscherin Olivia Romppainen-Martius von der Universität Bern.

Nationales Hagelmessnetz im Aufbau

Um dem Hagel nun definitiv auf die Spur zu kommen und ihn künftig ebenso wie Regen und Stürme vorhersagen zu können, errichten Forschende derzeit 80 automatische Hagelsensoren in den besonders betroffenen Gebieten. Finanziert wird das Hagelmessnetz von der Mobiliar Versicherung. MeteoSchweiz und die Universität Bern sind beim Projekt ebenfalls beteiligt.

Die Messstationen erinnern an blaue Papiermülltonnen. Sie tragen auf der Oberseite aber eine Membran, die zu schwingen beginnt, sobald ein Hagelkorn dagegen schlägt. Ein Mikrophon zeichnet das Trommeln der Eiskörner auf und übermittelt es an MeteoSchweiz. Aus dieser Musik lassen sich unter anderem die Grösse der Körner und die Wucht ihres Aufpralls ermitteln. Gewöhnlich kommen die Eisgeschosse mit 100 bis 200 Kilometern pro Stunde daher. Aus den Geräuschen lassen sich auch die Dauer des Hagels und seine Häufigkeit ablesen. Noch in diesem Jahr sollen alle Messstationen ihre Arbeit aufnehmen und für zunächst acht Jahre Daten über den Hagel am Boden liefern.

Der Ruf nach mehr Hagelprävention bekommt auch dadurch Gewicht, dass Klimaforscher befürchten, dass extremer Hagel künftig häufiger werden wird. «Klar ist, dass die Erderwärmung zu wärmeren und feuchteren Luftmassen über dem Hagelhotspot Zentraleuropa führt. Dadurch nimmt mindestens die Wahrscheinlichkeit schwerer Gewitter zu», sagt Klimaforscher Kunz. Ob das auch mehr Hagel bedeutet, ist allerdings noch nicht ganz sicher. Da historische Hagelaufzeichnungen kaum existieren, sind sowohl Romppainen-Martius als auch Kunz in diesem Punkt zurückhaltend.

In den Nachbarländern Frankreich und Spanien detektieren Hagelsensoren schon seit den 80ern das seltene Wetterereignis. Dort kommen die Forschenden um José Luis Sanchez von der Universität Leon zu dem Ergebnis: Hagel selbst wird nicht häufiger. Aber die Körner werden immer grösser. Statt Hagelkörner werden in Zukunft also eher Hagelklumpen vom Himmel fallen.

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