Vielleicht hatten Kapitän und Mannschaft der «Providencia» zu sehr dem Rum zugesprochen, den sie in Havanna an Bord genommen hatten. Das Wetter war jedenfalls nicht schuld, als der spanische Zweimaster am Morgen des 9. Januar 1878 vor Florida auf Grund lief. Das Schiff erlitt Totalschaden, der Strand war aber glücklicherweise nah. Die Besatzung wurde wenig später von einem vorbeifahrenden Dampfer aufgelesen. Eine Handvoll weisser Siedler, die sich erst wenige Jahre zuvor in der Region um die Lake-Worth-Lagune niedergelassen hatten, übernahm das Schiff – mitsamt Ladung.

R. Bourdeix

Kokosnüsse aus Indien und Sri Lanka: „Kappadam Tall“, „Micro Laccadives Tall“ und „Tall Arnbakelle“ (v.l.n.r).

Die Ladung der «Providencia» bestand aus 20’000 Kokosnüssen aus Trinidad. Sofort machten sich die Siedler ans Werk und pflanzten allerorten Kokosnüsse ein. Bald schon boten die bis zu 30 Meter hohen, schnell wachsenden Schopfbäume Schatten und eine willkommene Ergänzung des kargen Speiseplans. Vor allem aber wurden sie Anfang des 20. Jahrhunderts zum Namenspaten der inzwischen von noblen Hotels dominierten Ansiedlung: Palm Beach.

Die Havarie der «Providencia» war nicht das erste Mal, dass die Kokospalme per Schiff zu neuen Ufern kam. Wie Kartoffel, Apfel oder Mais gehört Cocos nucifera zu jenen Pflanzen, denen erst der Mensch zu einer Weltkarriere verhalf. Ihren Ursprung hat die hochwüchsige Spezies aus der Familie der Palmengewächse in Südostasien und Indien (siehe Karte). Ihre Spezialität ist ihre Frucht, die botanisch gesehen zu den Steinfrüchten gehört. Was wir als Kokosnuss im Supermarkt kaufen ist also das Pendant eines Pfirsichkerns, der von innen mit weissem Nährgewebe ausgekleidet ist. Der Hohlraum darin ist bei unreifen Nüssen noch komplett mit Kokoswasser gefüllt – eine Nährflüssigkeit für den Keimling, der durch eine der drei Keimporen am stumpfen Ende seinen Weg aus der extrem harten Samenschale findet.

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Von den Orten ihrer ersten Kultivierung (orange), gelangte die Kokosnuss durch Seefahrer an alle tropischen Küsten.

Kokosnuss auf Reisen

Das eigentliche Erfolgsgeheimnis der Kokosnuss ist jedoch ihre faserige und luftige äussere Hülle, dank der sie auf dem Meer schwimmend lange Strecken zurückzulegen kann. Einmal angespült, treibt der salztolerante Keimling schnell Wurzeln in den Sand und produziert, wenn alles gut geht, nach wenigen Jahren die ersten Früchte, die ihrerseits ins Meer kullern.

Wikimedia Commons / Jérémie Silvestro

Salztolerante Keimlinge: Kokosnüsse spriessen nachdem sie am Strand angeschwemmt wurden.

Auf diese Weise können sich Kokosnüsse von Insel zu Insel ausbreiten. Doch ihre Reichweite ist begrenzt. «Ohne das Zutun des Menschen lässt sich die heutige Ausbreitung der Kokospalme in den gesamten Tropen nicht erklären», sagt der Pflanzengenetiker Luc Baudouin vom französischen Agrarforschungsinstitut Cirad in Montpellier, der 2011 im Fachjournal PLOS zusammen mit Kollegen die bisher umfassendste Genanalyse der globalen Kokosnuss vorlegte. Demnach nutzte der Mensch die nahrhaften und haltbaren Früchte bereits in prähistorischer Zeit und begann mit der züchterischen Auslese. So wurde die Kokospalme für viele Völker Südostasiens zum «Baum des Lebens».

R. Bourdeix

Afrikanische Kokosnüsse: „Cameroon Red Dwarf“, „Tall Mensah“, „Tall Akabo“, „Comoro Moheli Tall“ (v.l.n.r).

Er lieferte nicht nur Nahrung sondern auch Baumaterial: Aus den Stämmen entstehen Boote und Häuser mit Dächern aus geflochtenen Palmblättern; die Fasern der Samenhülle lassen sich zu Garnen und Seilen verarbeiten.

Kokosseile halten auch die traditionellen Katamarane der Polynesier zusammen. Vermutlich mit ähnlichen Booten erreichten deren Vorfahren vor 3000 bis 4000 Jahren von Asien kommend die Inselgruppen im offenen Pazifik und breiteten sich anschliessend immer weiter aus, im Westen bis nach Madagaskar, im Osten bis nach Hawaii und zur Osterinsel. Immer mit dabei: die Kokonuss. Später brachten indische und arabische Seefahrer die Kokospalme auch an die Küsten Ostafrikas.

Skeptische Europäer

Nach Europa gelangte die Kunde von der seltsamen Frucht erst ab dem 13. Jahrhundert, als Marco Polo von der «Nux indica» berichtete und Trinkpokale aus Kokosnussschalen in Mode kamen. Als Nahrungsmittel hatte die Kokosnuss allerdings weniger Freunde. «Ich ass einige dieser Cocos (…) und konnte sie bald nicht mehr ausstehen», vermerkt der Reisebericht des Spaniers Gonzalo Fernández de Oviedo y Valdés, der 1513 als einer der ersten Europäer die Pazifikküste Panamas erreichte. Dort sah er Kokospalmen, deren Beschreibung gut auf die an gleicher Stelle noch heute wachsenden Bäume vom Typ «Panama Tall» passt. Wenn man Augenzeugenberichten von Oviedo und einigen seiner Zeitgenossen vertraut, muss es an der tropischen Pazifikküste Amerikas also schon in präkolumbianischer Zeit Kokospalmen gegeben haben. Nur: Wie kamen die dort hin? Für ein zufälliges Driften von Kokosnüssen mit den Meeresströmungen sind die Entfernungen der nächsten kokostauglichen Inseln Polynesiens zu gross. Bleibt die Reise im Gepäck polynesischer Seefahrer.

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Tatsächlich ähnelt das Erbgut der «Panama Tall» am meisten jenem von Palmen, die heute auf den 16’000 Kilometer entfernten Philippinen zu finden sind. «Das ist für ein passives Driften definitiv zu weit», sagt Baudouin. Auf die grossen Fragen nach dem Wer, Wann und Wie dieser Reise, die ansonsten unter Prähistorikern sehr umstritten ist, muss der Genetiker jedoch passen.

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Kokosnüsse aus Malaysia und von den Philippinen: „Malayan Yellow Dwarf“, „Malayan Tall“, „Tagnanan Tall“, „Tampakan Tall“ (v.l.n.r).

Sicher ist, dass Europäer später im grossen Stil Kokosnüsse nach Amerika brachten. Heute gehört die Kokospalme zu den weltweit wichtigsten Nutzpflanzen. Auf über 60 Millionen Tonnen schätzt die Welternährungsorganisation FAO die zumeist Jahresernte der mehr als 90 kokosproduzierenden Länder. Die wichtigsten Produkte sind traditionell Kokosfasern und die sogenannte Kopra, das an der Sonne getrocknete weisse Kernfleisch der Nüsse, aus dem Kokosöl gepresst wird. In unseren Breiten dagegen war die Kokosnuss lange ein Exot, der einem hauptsächlich als Backzutat in Form getrockneter Raspel oder als Kokosmilch begegnete. Diese Grundzutat für Currygerichte entsteht, wenn man frische Kopra mit Wasser püriert und dann die größeren Partikel abseiht.

Zum Trendgetränk und vermeintlichen Superfood, das selbst Goji-Beeren und Chia-Samen in den Schatten stellt, wurde seit den Nullerjahren das im Inneren der Nuss gluckernde Kokoswasser. Mehr als 250 Marken von pasteurisiertem Kokoswasser lagern inzwischen weltweit in den Kühlregalen der Supermärkte. Allein der amerikanische Marktführer Vita Coco knackt dafür täglich anderthalb Millionen Trinknüsse. Als «super-hydratisierend», «nährstoffbepackt» oder «mega-elektrolytisch» bewerben Hersteller ihr säuerlich-süsslich-salziges Produkt. Selbst antivirale und cholesterinsenkende Eigenschaften wurden ihm angedichtet.

Pexels

Trendgetränk: Kokoswasser direkt aus der Nuss.

Lukrative Kokosnuss

Tatsächlich besteht Kokoswasser zu 99 Prozent aus Wasser – durchaus hydratisierend also. Der Rest ist Zucker und eher bescheidende Mengen von Mineralstoffen und Vitaminen, für weitergehende PR-Claims gibt es kaum belastbare Belege. Den Umsätzen der Branche tut dies keinen Abbruch. Sie lagen 2016 nach Schätzungen bei über zwei Milliarden Dollar, fast viermal so viel wie noch fünf Jahre zuvor. Ähnlich steil entwickelte sich in den letzten Jahren auch der Umsatz mit Kokosöl. Auch ihm sprechen Gesundheitsapostel wundersame Wirkungen zu. Besonders plausibel ist auch das allerdings nicht.

R. Bourdeix

Kokosnüsse der pazifischen Inselgruppen – oben: „Papua Yellow Dwarf“, „Rotuman Tall“, „Spicata Tall“ und „Renell Tall“; unten: „Tahiti Red Dwarf“, „Niu Afa Tall“, „Vanuatu Tall“ und „Tuvalu Tall Fuafatu“ (v.l.n.r).

Die stetig wachsende Nachfrage nach Kokosprodukten in den Industriestaaten wirft die Frage auf, wie lange die Produktion in den grossen Kokosnationen wie Indonesien, den Philippinen und Indien noch mithalten kann. In den tropischen Herkunftsländern können Naturkatastrophen schnell komplette Plantagen vernichten. So entwurzelte der Taifun Haiyan 2013 auf den Philippinen rund 44 Millionen Kokospalmen. Die andere grosse Gefahr für die Kokosnuss ist das «tödliche Vergilben», eine von Bakterien verursachte und von Insekten übertragene Palmenkrankheit, die schnell ganze Kokosplantagen entblättern kann. Eine dagegen wirklich resistente Sorte zu züchten ist deshalb der heilige Gral der Kokosnussforschung. Doch der fehlen die Mittel: Die Produktionsländer haben meist kein Geld und die westlichen Abnehmer zeigen bisher nur geringes Interesse an Grundlagenforschung.

Die Kokosforscher sollten vielleicht Donald Trump um finanzielle Unterstützung anhauen. Denn in den siebziger Jahren erreichte das tödliche Vergilben auch die Nachfahren der Kokosnüsse der «Providencia» im heutigen Nobelort Palm Beach. Und an eben jenem Strand, an dem einst die «Providencia» havarierte, liegt heute im Schatten von Kokospalmen Donald Trumps Golfclub «Mar-a-Lago».

Der Beitrag «Der Apostel der Kokosnuss» erzählt die abstruse Idee eines Deutschen, der vor über hundert Jahren eine neue Religion gründete.

Forschung zum Erhalt als Nahrungsgrundlage

Das staatliche französische Forschungsinstitut CIRAD (Centre de coopération internationale en recherche agronomique pour le développement) bemüht sich in Zusammenarbeit mit Forschern aus den Anbauländern darum, die Kokospalme als wichtige Erwerbs- und Nahrungsgrundlage der Menschen in tropischen Regionen zu erhalten. Auf seinem Blog berichtet CIRAD-Forscher Roland Bourdeix von den Bemühungen, die vielerorts überalterten Bestände zu erneuern und dabei traditionelle Sorten zu erhalten. Im Projekt Innodiv etwa sollen in Erhaltungszuchten gerettete, seltene Sorten auch lokalen Kleinbauern wieder zugänglich gemacht werden.

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