Das musst du wissen
- Das Schienennetz der SBB erstreckt sich über 3000 Kilometer.
- Um das Netz auf Defekte zu überprüfen, setzen die SBB Diagnosefahrzeuge und künstliche Intelligenz ein.
- Die KI erkennt Defekte zuverlässiger als klassische Software: Sie findet mehr Schäden und löst weniger Fehlalarme aus.
Auf den ersten Blick sieht er wie ein ganz normaler Personenwagen aus. Aber der erste Eindruck täuscht: Denn dieser Wagen ist ausgerüstet mit modernsten Messgeräten, Kameras und Computern. Es handelt sich um eines von zwei Diagnosefahrzeugen, mit welchem die SBB den Zustand ihres Schienennetzes von rund 3000 Kilometern überwachen. Vor dem Wagen steht Joël Casutt, Leiter Technologie und Entwicklung im Bereich Mess- und Diagnosetechnik bei den SBB, der für die technische Ausstattung verantwortlich ist.
Unterstützung durch Technologie
«Früher liefen Streckeninspektoren der SBB das Schienennetz zu Fuss ab, um nach Defekten auf den Gleisen Ausschau zu halten», sagt Casutt. Seit etwa 13 Jahren setze die SBB zusätzlich auch solche Diagnosefahrzeuge ein.
Joël Casutt
Der Physiker zeigt auf die zahlreichen Messgeräte, die auf dem Dach und dem Unterboden des Messzugs angebracht sind. Für die Überwachung der Schienen dienen unter anderem 14 Kameras, die während der Fahrt Bilder der Gleise machen – dies bei Geschwindigkeiten von bis zu 200 Stundenkilometern. Die Messdaten lassen sich während der Fahrt alle in Echtzeit mitverfolgen. Dafür gibt es im Innenbereich des Fahrzeugs drei Arbeitsplätze mit mehreren Monitoren. In einem weiteren Raum befindet sich ein Server. Hier landen an einem Tag auf Schienen bis zu vier Terabyte an Daten. Das entspricht ungefähr der Menge von 26 Millionen Dokumentseiten mit Text.
Um diese gewaltige Flut an Daten auszuwerten, braucht es eine leistungsstarke Software. Die klassischen Bildauswertungsprogramme kamen dabei jedoch an ihre Grenzen: «Die Software entdeckte auf den Fotos immer wieder Defekte, die keine sind», sagt Casutt. So stufte das Programm beispielsweise Kaugummis auf den Schienen als schwerwiegende Mängel ein. Um diesem Problem entgegen zu treten, haben die SBB vor gut zwei Jahren mit CSEM, einem schweizerischen Forschungs- und Entwicklungszentrum, eine Zusammenarbeit gestartet. Das Ziel: Künstliche Intelligenz (KI) soll bei der Auswertung der Bilder helfen.
Selbstlernende Software
Um die KI zu trainieren, waren zuerst einmal Menschen gefragt: Experten der SBB beurteilten auf tausenden von Bildern die Art und den Schweregrad eines Defekts. In einem zweiten Schritt wurden die so markierten Bilder in die Software eingespeist. An diesem Punkt kommt nun die künstliche Intelligenz ins Spiel: Die Software lernt anhand der markierten Bilder, welches die wesentlichen Merkmale für einen bestimmten Defekt sind. Daraus generiert die Software selbst das geeignetste mathematische Modell, das zur erfolgreichen Erkennung von Defekten führt. Dieses Modell ist aber nicht statisch, denn die Software lernt durch weitere markierte Bilder stets dazu.
Seit Mitte November 2019 setzten die SBB die KI-Lösung nach der zweijährigen Testphase im regulären Betrieb ein. Die KI erkannte mehr Schäden als die klassische Software: Auf einem Streckenabschnitt von 20 Kilometern waren es neu durchschnittlich zehn anstatt nur einer. Gleichzeitig reduzierte die KI auch die Fehlalarme: Diese sanken im freien Gelände von 20 pro Kilometer auf die Hälfte – in Tunnels waren die Werte gar noch besser.