Sprachbasierte Assistenten wie Siri von Apple oder Alexa von Amazon haben in den vergangenen Jahren stark an Popularität gewonnen. Sie sind heute aufgrund ihrer Verfügbarkeit auf Smartphones und «smarten» Lautsprechern allgegenwärtig. Neben alltäglichen Fragen nach Wetter und Kalendereinträgen unterstützen Sprachassistenten zunehmend auch im Auto oder im Wohnzimmer.

Unter dem Motto «Soziale Arbeit 4.0» ist ein interdisziplinäres Team der FHS St.Gallen der Frage nachgegangen, welche Rolle Sprachassistenten zukünftig im beruflichen Alltag von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern spielen werden. Die Forschenden diskutierten dabei in Fokusgruppen mit Expertinnen und Experten der Sozialarbeit über Anforderungen, Potenziale und Risiken von Sprachassistenten im professionellen Einsatz.

Anforderungen an den Assistenten

Eine der am häufigsten genannten Anforderungen an einen sinnvollen sprachbasierten Dienst ist Fachwissen. Im Gegensatz zu den heute verfügbaren Systemen sollte dieser entsprechendes Hintergrundwissen für den professionellen Einsatz bieten. Ein Beispiel ist eine Anwendung, die bei Mobbing unter Kindern und Teenagern mit Ratschlägen unterstützen und beispielsweise auch ortsabhängig Informationen zu Beratungsstellen liefern kann.

Eine weitere Anforderung ist die Fähigkeit des Sprachassistenten, die emotionale Verfassung eines Sprechers zu erkennen. Die Teilnehmenden wiesen dabei auf «Feingefühl» hin, das im Umgang mit Menschen in Notsituationen erforderlich ist und deshalb in sozialen Berufen benötigt wird. Entsprechend sollte auch ein Sprachassistent, der in der Sozialarbeit eingesetzt wird, auf Emotionen seines Gesprächspartners eingehen und situationsabhängig reagieren können.

Barrieren und Risiken

Diverse Fachexperten betonten den Umgang mit privaten und sensiblen Daten der Kundinnen und Kunden. Die Übertragung derer Aussagen an externe Rechenzentren zur Analyse bei Amazon, Google und Co lehnten sie klar ab. Die Teilnehmenden kritisierten «den Verlust über die sensiblen Informationen» und befürchteten «eine umfassende Datensammlung der Big Player». Während der Gruppendiskussionen wurde der Bedarf an alternativen Sprachassistenten, welche die Privatsphäre ihrer Nutzenden bewahren, offensichtlich – gleichzeitig bezweifelten mehrere Teilnehmende, dass ihre Institutionen die Ressourcen haben, verfügbare «sichere» Sprachplattformen selbst zu betreiben.

Die Expertinnen und Experten befürchteten auch Auswirkungen auf die sozialen Interaktionen ihrer Klientinnen und Klienten. Manche, die aufgrund ihrer Lebenssituation – zum Beispiel Sucht oder Gewalterfahrungen – bereits durch soziale Isolation gefährdet seien, könnten aufgrund des Angebots von virtuellen Assistenten zusätzlich Gefahr laufen, soziale Kontakte zu vernachlässigen. Der laufende Umgang mit professionellen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern wäre zudem wichtig, um beispielsweise relevante Entwicklungsschritte in der Behandlung erkennen zu können.

Anwendungsideen der Experten

Ein in den Fokusgruppen wiederkehrendes Anwendungsszenario war das Zusammenspiel eines Sprachassistenten und eines menschlichen Sozialarbeiters bei der Betreuung von Klientinnen und Klienten. Manche Experten vermuteten, dass ein virtueller Assistent ein niederschwelliges Beratungsangebot für Patientinnen und Patienten darstellen kann, die mit Problemen wie Alkohol- oder Spielsucht konfrontiert sind und diese selber als peinlich wahrnehmen. Der Sprachdienst sollte in einem passenden Moment die Konversation an einen Sozialarbeiter «aus Fleisch und Blut» übergeben. Grundsätzlich erhofften sich die Fachexperten von speziellen Sprachdiensten eine verbesserte Teilnahme und Autonomie der, teilweise körperlich eingeschränkten, Klientinnen und Klienten. Sie erwähnten dabei nicht nur die Abfrage von Wettervorhersagen und Öffnungszeiten, sondern stellten sich umfangreichere Dialoge vor. Zum Beispiel könnte ein sprachbasierter Assistent beim Ausfüllen von komplexen Antragsformularen unterstützen. Eine andere Idee war eine Trainingsmöglichkeit für Bewerbungsgespräche mithilfe eines spezialisierten Sprachassistenten für Arbeitslose.

Nutzenstiftende Erweiterung

Bezüglich ihrer eigenen Aufgaben waren sich die Teilnehmenden einig, dass Unterstützung bei zeitaufwändigen Dokumentationsaufgaben hilfreich wäre. Sie wünschten sich Sprachassistenten, die ähnlich eines Sekretärs beispielsweise Terminvereinbarungen treffen oder im Dialogstil Aufzeichnungen über die Fortschritte von Klientinnen und Klienten anfertigen. Die so bei organisatorischen Aufgaben eingesparte Zeit könnte somit direkt für die Klientinnen und Klienten genutzt werden. Die Fokusgruppen ermöglichten einen ersten spannenden Einblick, wie eine durch Sprachassistenten digitalisierte Soziale Arbeit aussehen kann bzw. gestaltet werden muss. Ziel darf nicht eine «Automatisierung» und «Entmenschlichung» sein, sondern eine nutzenstiftende Erweiterung bestehender Angebote, um Betreuung, Teilhabe und Inklusion von Klientinnen und Klienten weiter zu verbessern.

Dieser Beitrag stammt von der Fachhochschule St. Gallen. Er erschien erstmals im FHS-Magazin 2019/1.
Die Gespräche mit den Experten fanden im Rahmen der Bodenseetagung 2018 statt. Sie wurden geleitet von Matthias Baldauf, Dozent für Wirtschaftsinformatik am Institut für Informations- und Prozessmanagement IPM-FHS, Karin Morgenthaler, Sozialarbeiterin in der Institution Betula in Romanshorn, und Stefan Ribler, Dozent für Soziale Arbeit an der FHS St.Gallen und Leiter des Betula.
Kontakt zum Projektverantwortlichen: Dr. Matthias Baldauf, Dozent für Wirtschaftsinformatik

Fachhochschule St. Gallen

Hier präsentiert die Fachhochschule St. Gallen Geschichten aus der Forschung.
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