Benedikt Meyer
Benedikt Meyer ist Historiker und Autor. Mit «Im Flug» hat er die erste wissenschaftliche Geschichte der Schweizer Luftfahrt geschrieben, mit «Nach Ohio» seinen ersten Roman veröffentlicht. Bei higgs erzählt er in der «Zeitreise» jeden Sonntag Episoden aus der Geschichte der Schweiz. Von den Wanderungen der Helvetier bis Erasmus von Rotterdam, vom Mord in Augusta Raurica bis zu Catherine Reponds tragischem Ende und von Henri Dunant bis zu Iris von Roten.
Der Weg war schmal und das Gelände uneben und sumpfig. Am 15. November 1315 zog Leopold von Habsburg mit Rittern und Fussleuten am Ägerisee entlang in Richtung Morgarten. Die Geräusche der Schwyzer Späher, die sich im Unterholz versteckten, verloren sich im morastigen Gelände – oder im dichten Nebel aus Unwissen und Legenden, der sich seither über den Ereignissen ausgebreitet hat.
Die Sache drehte sich um einen alten Streit. Seit 200 Jahren schwelte eine Fehde zwischen den Schwyzern und dem Kloster Einsiedeln. Es ging um die Grenzziehung zwischen den Gebieten. Leopold war ein Enkel des 1291 verstorbenen Rudolf, Herzog von Österreich und nebst vielen weiteren Titeln Schirmherr des Klosters Einsiedeln. Und er hatte beschlossen, die Schwyzer für ihr dauerndes Verschieben der Grenze, für ihr Holzschlagen im Klosterwald und für die Plünderung des Klosters im vorletzten Jahr zu bestrafen. Ausserdem unterstützten der Schwyzer Adel bei der Wahl des Königs nicht Friedrich den Schönen (Leopolds Bruder), sondern Ludwig den Bayern. Leopold hatte also Gründe genug, die Schwyzer in die Schranken zu weisen.

Postkarte der Schlacht bei Morgarten. Gedruckt wurde sie 1915 anlässlich des 600. Jubiläums des Ereignisses.
Bis hierhin sind die Quellen relativ schlüssig, der Rest ist zu weiten Teilen Spekulation. Offenbar sammelte Leopold seine Truppen in Zug, wo die Habsburger eine Basis hatten. Von dort zogen sie nach Ägeri. Vermutlich wollte Leopold zuerst nach Einsiedeln. Warum er aber am 15. November 1315 den Weg über Sattel statt über den Ratenpass wählte, ist unklar. Früher Schneefall wäre eine Erklärung. Jedenfalls zog Leopold damit über Schwyzer Terrain und dort, am Ende des Sees, am Fuss des Morgartenbergs lag ein sumpfiges Gebiet, das der Heereszug vermutlich im Gänsemarsch durchschreiten musste.
Leopold rechnete kaum mit einem Angriff der Schwyzer an diesem Ort. Trotzdem fand er statt. Über die Zahl der Beteiligten und den Verlauf der Ereignisse ist nichts Verlässliches bekannt. Offenbar konnten die Schwyzer den Überraschungseffekt und ihre Geländekenntnisse ausnutzen, die Habsburger suchten ihr Heil in der Flucht. Auch Leopold entkam nur so den Schwyzer Hellebarden.
Die Schwyzer schlossen noch im selben Jahr mit ihren Nachbarn aus Uri und Unterwalden ein Bündnis. Vermutlich hing dieses mit dem überraschenden Sieg am Morgarten zusammen. Später entwickelte sich daraus die Eidgenossenschaft und der Hinterhalt am Morgarten wurde zur Freiheitsschlacht stilisiert. Der Grenzstreit mit dem Kloster wurde 1350 beigelegt.
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