Je mehr man über Bienen erfährt, desto grösser ist das Staunen über ihre Raffinesse. Wasserholerinnen versorgen das Nest mit Wasser, damit bei Hitze durch Fliegen im Stand eine Ventilation mit Verdunstungskühlung entsteht, eine Art Klimaanlage. Fächerinnen am Nesteingang sorgen für den richtigen Tagesanfang, der von der Lufttemperatur abhängt. Arbeitsbienen kümmern sich permanent um die Königin. Sie füttern sie, putzen sie und entledigen sie des Kots. Von den Aussendienst-Arbeiterinnen übernehmen Innendienst-Arbeiterinnen den Nektar und bringen ihn in den Waben unter. Bienen verfügen über eine durch und durch organisierte Welt. Der Bienenforscher Jürgen Tautz hat diese Welt der Superorganisation in dem Buch «Honigbienen – geheimnisvolle Waldbewohner» dokumentiert. Die wild lebenden Honigbienen finden Schutz in hohlen Bäumen und verfügen dabei über eine Widerstandsfähigkeit, die weit über jener von domestizierten Artgenossen liegt.
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Bienenforscher Tautz wollte erfahren, was die Honigbienen im Wald konkret so erfolgreich macht. Er hat deshalb einen Bienenschwarm von der Besiedlung einer Baumhöhle im Frühling an bis zum Herbst beobachtet. Daraus ergaben sich zahlreiche neue Erkenntnisse, die verblüffen.
Errichten die Bienen ihre Waben zum Beispiel frei im dreidimensionalen Raum einer Baumhöhle, bildet sich an der Decke der Höhle eine Art hängender Beutel aus lebenden Bienen, die sich mit den Beinen miteinander verhaken. Diese Struktur bleibt auch nach Fertigstellung des Wabenbaus erhalten. «Das Erscheinungsbild des Netzes ist hoch flexibel, mal sind dessen Maschen eng gezogen, mal weit auseinanderliegend. Wir vermuten, dass dieses Gebilde das Nest gegen Feinde schützt und als regulierbare Barriere im Zusammenhang mit der Klimatisierung des Nestes dient», schreibt Jürgen Tautz. Im hohlen Baum hobeln die Bienen mit ihrem Mundwerkzeug lose Teile ab, Mikroorganismen, die sich an der Innenseite der Höhle befinden. Danach wird die gesamte Innenwand mit einer Schicht aus Propolis überzogen. Gehobelt wird aber auch aussen am Baumstamm rund um die Eingangsöffnung, damit eine Höhlung entsteht. Die Bienen sind somit auch Architekten und Innengestalter.
Eindringlinge sind verloren
Für Hornissen und Wespen sind Honigbienen ausserhalb des Bienennestes leichte Beute. Dringen diese Feinde in ein Bienennest ein, sind sie verloren. Sie werden von den Bienen aber weder gebissen noch gestochen. Die Bienen haben eine raffiniertere Methode: Sie umzingeln den Feind, packen ihn dick mit ihren Körpern ein. Der Eindringling wird dann in dieser Kugel aus lebenden Bienen zu Tode geheizt. Die Honigbiene setzt zur Verteidigung ihre Fähigkeit ein, hohe Körpertemperaturen erzeugen zu können, was das Forscherteam in einer Fotoserie genau dokumentieren konnte.
Duftspuren zur Orientierung
Honigbienen wurden im Laufe der Evolution an ein Leben im Wald angepasst, das betrifft auch Orientierung, Navigation und Kommunikation. Wie findet aber eine Biene ihren Baum im Wald wieder? Wie kann sie zu neu entdeckten Futterstellen zurückkehren? Bienenarbeiterinnen besitzen an ihrem Hinterleib die sogenannte Nasanov-Drüse, aus der als Lockstoff Geraniol entlassen werden kann. Von diesem Lockstoff machen die Bienen ausgiebig Gebrauch, wenn der Schwarm zu einer neuen Wohnung geführt wird und wenn erfahrene Bienen Neulinge zu einer Futterstelle bringen. «Wir wissen bisher nichts darüber, ob und über welche Strecken das Verhalten auf der Route zwischen Bienennest und Futterplatz eingesetzt wird. Die weitgehend ruhende Luft in einem Wald wäre beste Voraussetzung für Duftmarken auch in der freien Luft», schreibt Jürgen Tautz. Gewiss ist: Honigbienen sorgen weiter für Spannung.