Das musst du wissen

  • Horizon Europe ist ein Forschungsprogramm der EU. Seit 2002 nimmt die Schweiz an solchen Programmen teil.
  • Nach dem Scheitern des Rahmenabkommens strich die EU die Schweiz nun aber von der Liste der zu assoziierenden Länder.
  • Mit einer Online-Unterschriftenkampagne will die europäische Forschungsgemeinschaft die Politik zum Handeln bewegen.
Den Text vorlesen lassen:

Herr Schittny, die von der europäischen Forschungsgemeinschaft lancierte Kampagne trägt den Namen «Stick to Science» – wie ist das zu verstehen?

Der Name soll ausdrücken, dass wir Wissenschaft betreiben wollen und nicht Politik. Und, dass die Wissenschaft frei sein muss und nicht von der Politik behindert werden darf. Es geht also um die Trennung von Wissenschaft von Politik.

Johannes Schittny

Johannes Schittny ist Professor für Anatomie an der Universität Bern. In seiner Forschung beschäftigt er sich insbesondere damit, wie sich die 3-dimensionalen Struktur der Lunge entwickelt und welchen Einfluss diese Struktur auf Ablagerung von Partikeln in der Lunge hat. Ausserdem untersucht er mit seiner Gruppe die Veränderung der Lungenstruktur bei Krankheiten wie Lungenemphysem und Lungenfibrose.

Damit sprechen Sie die blockierten Verhandlungen in Zusammenhang mit der Teilnahme der Schweiz am Forschungsprogramm Horizon Europe an. Was genau fordert die Kampagne?

Sie fordert, dass die Schweiz und Grossbritannien auch als nicht EU-Länder wieder uneingeschränkt am Programm teilnehmen dürfen. Sie richtet sich an die Politikerinnen und Politiker der europäischen Länder, der Schweiz und von Grossbritannien. Sie sollen sich einigen und ihre politischen Differenzen nicht auf dem Rücken der Wissenschaft austragen.

Was bedeutet das genau, dass die Schweiz nicht beteiligt ist und wieso ist das ein Problem?

Aktuell ist die Schweiz ein nicht assoziiertes Drittland. Mit diesem Status können Forschende in der Schweiz zwar an etwa zwei Dritteln des Programms teilnehmen, aber nur als Mitmacher. Das heisst, sie können keine wissenschaftlichen Projekte mehr leiten oder koordinieren. Darin sehe ich das grösste Problem. Erstens verliert der Forschungsplatz Schweiz auf Dauer diese Projekte. Zweitens ist für sehr viele Projekte eine internationale und interdisziplinäre Zusammenarbeit matchentscheidend. Wenn Forschende der Schweiz diese Netzwerke nicht mehr aufbauen können, wird die Schweiz weder von den ideellen, noch den wirtschaftlichen Vorteilen dieser Projekte je profitieren können. Und drittens, was uns Forschende sehr motiviert, ist unsere eigenen Ideen und Projekte mit Herzblut umsetzen zu können. Diese Motivation ist natürlich umso grösser, je mehr wir selber gestalten dürfen. Wenn wir aber nur als Mitmacher teilnehmen dürfen, fehlt ein Teil dieser Motivation und schwächt letztendlich das Projekt.

Hat es auch inhaltliche Konsequenzen?

Auf lange Sicht, ja. Viele Projekte liegen sozusagen in der Luft, es ist eine grosse Konkurrenz da. Und wenn es die Schweiz nicht machen kann, machen es eben anderen. So verlieren wir aber auch gute Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Viele junge Forschungsgruppenleitende haben über solche EU-Gesuche ihre ersten Gelder bekommen, um ihre eigene Gruppe aufzubauen. Gerade für die Zusammenarbeit und auch die wissenschaftliche Diskussion ist dabei die Einbettung in eine etablierte Gruppe ganz wichtig. Wenn die jungen Forschenden in der Schweiz aber kein Geld bekommen, dann suchen sie sich eine andere Gruppe im Ausland. Damit ist es auch eine Frage des Renommees für die jungen aber auch etablierten Forschenden. Denn mit knapp hundert Milliarden Euro ist Horizon Europe das weltweit grösste Programm für Forschung und Innovation und damit auch ein sehr prestigevolles.

Horizon Europe ist 2021 gestartet. Läuft der Schweiz die Zeit davon?

Je länger die Schweiz nicht dabei ist, desto mehr Gelegenheiten haben wir verpasst. Dass die Assoziierung so schnell wie möglich klappt, ist aber nicht nur für Forschende aus der Schweiz und Grossbritannien von Vorteil, sondern für ganz Europa. Denn die Beiträge der beiden Länder sind so bedeutend, dass das ganze Programm darunter leidet, wenn sie nicht dabei sind.

Auch für das Programm steht also viel auf dem Spiel.

Ja, auf jeden Fall. Von den zehn besten Universitäten in Europa sind neun in der Schweiz und in Grossbritannien. Horizon Europe wird also quasi die Spitze weggeschnitten. Es ist damit ganz klar eine Frage der Qualität der Forschung. Das ist natürlich auch für Europa ein Problem. Andererseits hat die Welt zurzeit mit riesigen Herausforderungen zu kämpfen, etwa dem Klimawandel, der Pandemie oder der Sicherung der Ernährung. Kein Land kann diese Probleme alleine lösen. Wenn ein Teil der Wissenschaft nun aber wegbricht, ist das auch für Europa sehr schlecht.

Ab wann könnte die Schweiz wieder dabei sein?

Sobald sich die Politik einigt. Ich hoffe, dass das dieses Jahr noch passiert. Schwer zu sagen, ob das realistisch ist. Doch wenn ich an die Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative von 2014 denke, nach der die Schweiz von Horizon 2020 – dem Vorläufer von Horizon Europe – ausgeschlossen wurde, wäre es aber durchaus denkbar. Damals ging es relativ schnell, bis die Schweiz wieder mit von der Partie war.

Wer unterstützt die Kampagne?

Lanciert wurde sie unter anderem vom ETH-Rat sowie der ETH Zürich und Lausanne. Unter den Erstunterzeichnenden finden sich führende Köpfe aus der Wissenschaft, darunter auch Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträger, aber auch Direktionsmitglieder namhafter Institute aus ganz Europa. Die Unterstützung ist damit sehr breit aufgestellt. Unterzeichnen darf aber jeder und jede aus der Bevölkerung.

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