Das musst du wissen

  • Eine neue Studie zeigt: Plötzliche Aufmerksamkeit in nationalen Medien bringt Krisenländern Spenden anderer Staaten.
  • Dies trifft vor allem auf die Soforthilfe zu. Weniger Einfluss haben Medien auf Jahresbudgets für humanitäre Hilfe.
  • Im Vordergrund steht für die Geldgeber nicht zwingend die effektive Notlage – sondern der öffentliche Druck.
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Krisen, Konflikte, Katastrophen: Schlagzeilen aus aller Welt über das Elend anderer erreichen uns beinahe täglich. Denn die Zahl der Menschen, die auf der ganzen Welt humanitäre Hilfe benötigen, steigt rapide an. Dies aufgrund langwieriger Konflikte, der Covid-19-Pandemie oder den Auswirkungen des Klimawandels. Auf welchen Brennpunkt die Medien ihren Fokus legen, hat einen Einfluss darauf, wie viel finanzielle Hilfe eine Krisenregion von anderen Staaten bekommt. Dies haben britische Medienforschende und eine Politikwissenschaftlerin in einer neuen Studie herausgefunden, die im Fachmagazin Journalism Studies erschienen ist.

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Studie: The Influence of News Coverage on Humanitarian Aid: The Bureaucrats’ PerspectiveKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsFür ihre Studie haben die Forschenden Zugang zu zahlreichen Ministerien erhalten. Obwohl pro Geber im Schnitt nur zwei Personen interviewt wurden, sind die Ergebnisse als repräsentativ zu werten: Ausgewählt wurden Personen mit hoher Entscheidungshoheit. Die Interviews mit den politischen Entscheidungsträgern mussten anonymisiert werden – dies verhinderte, dass die Forscher länderspezifische Phänomene hervorheben konnten.Mehr Infos zu dieser Studie...

Für ihre Untersuchung führten sie Interviews mit politischen Entscheidungsträgern in sechzehn der grössten Geberländer der Welt – darunter auch die Schweiz. Die ausgewählten Länder waren im Jahr 2020 zusammen für mehr als neunzig Prozent der gesamten humanitären Mittel verantwortlich. Befragt wurden Beamte, Diplomatinnen und Direktoren, die ganz konkret darüber entscheiden konnten, wie viel Geld eine Regierung für humanitäre Krisen ausgibt. Der Fokus lag sowohl auf der humanitären Soforthilfe als auch auf jenen Geldern, die Regierungen jährlich fix für die Katastrophen- und Entwicklungshilfe einplanen. Die Forschenden wollten von den Verantwortlichen wissen, welche Rolle es für die Verteilung von Spendengeldern spielt, wenn eine Krise viel Medienecho bekommt. Ergänzend zu den Gesprächen analysierten sie Dokumente wie Politik- und Strategiepapiere sowie Jahresberichte der jeweiligen Nationen.

«Es besteht ein echter Druck, sagen zu können: So und so haben wir auf die Krise reagiert.»Anonymisierte befragte Person aus der Studie

Das Resultat? Medienberichte haben einen direkten Einfluss auf die Notfall- oder Reservebudgets. Von den Befragten sagte jemand im Interview dazu: «Es besteht ein echter Druck, sagen zu können: So und so haben wir auf die Krise reagiert.» Dies möglichst 24 bis 48 Stunden nach einem Ereignis. Diese Legitimität gegen aussen sei sogar wichtiger als die effektive Notlage oder die Zahl betroffener Menschen. Interessant dabei: Es waren nicht die plötzlich auftretenden Krisen, die diesen Effekt hatten – sondern das plötzliche Medienecho. Ein Beispiel hierfür sind die 2017 in einer UN-Kampagne unter dem Stichwort «vier Hungersnöte» zusammengefassten Krisen. Sie bezogen sich auf vier separate Situationen im Zusammenhang mit Ernährungsunsicherheit in Sudan, Nigeria, Somalia und Jemen. Effektiv erlebte aber nur eine Region im Südsudan eine Hungersnot, und keine dieser Krisen trat plötzlich auf. Die kollektive Bezeichnung als «vier Hungersnöte» aber führte zu einem plötzlichen und umfangreichen Medienecho – und ergo nach Aussage der Befragten dazu, dass staatliche Hilfsgelder flossen.

Von den Medien nicht beeinflusst sahen sich die Verantwortlichen bei den jährlich eingeplanten – und notabene viel höheren – Budgets für humanitäre Hilfe. Erwähnenswert ist hierbei: Einen Einfluss der Medien auf staatliche Spendengelder erachteten die Entscheidungsträger als unerwünscht. Entgegen dieser Selbsteinschätzung fanden die Forschenden heraus: Die Medien spielen beim Jahresbudget trotzdem eine Rolle – der Einfluss geht aber in die andere Richtung. So scheint ein Mangel an Medienecho auf eine Krise für diese jährlichen Ausgaben eine Rolle zu spielen: Denn die Entscheidungsträger erhöhten ihre Spenden bei jenen Krisen, die sie als vernachlässigt oder vergessen einstuften. Jemand der Befragten erklärte dies wie folgt: «Wenn die Medien nicht darüber berichten, bedeutet das im Allgemeinen, dass andere Geber diese Krise höchstwahrscheinlich nicht finanzieren werden.» Um dies auszugleichen, erhöhten sie die eigenen Spenden.

Für die Praxis bedeutet das: «Wenn man die Geldgeber über die Nachrichtenmedien beeinflussen will, sollte man sich an nationale Medien wenden – und nicht an internationale oder lokale», rät Mel Bunce, Politikwissenschaftlerin an der Universität London und Mitautorin der Studie, in einer Mitteilung. Internationale Medien seien in diesem Kontext möglicherweise viel weniger einflussreich als bisher angenommen. Und, als weiterer Tipp: Man solle sich auf Länder konzentrieren, die mehr Mittel für Nothilfe als für reguläre Hilfe bereitstellen. Ob das aufgeht? Den Menschen in Not rund um den Globus wäre es zu wünschen.

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