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Wie würdet ihr reagieren, wenn ein Freund von euch sagt: «Ich habe zwar keine Ahnung, aber ich erkläre es dir jetzt trotzdem.» Das wäre entweder Cabaret oder der Typ ist durchgeknallt. Auf jeden Fall würdet ihr ihn nicht ernst nehmen – oder?
Interessanterweise brauchen momentan viele Leute die Formulierung in dieser oder ähnlicher Form, geben also zu, dass sie Ignoranten sind – und trotzdem hören ihnen viele Menschen zu, und glauben ihnen sogar.
Ist das nicht absurd?
Ich möchte Euch heute ein rhetorisches Muster demonstrieren, mit dem sich Leute selbst entlarven. Gezeigt hat es mir der Literaturprofessor Daniel Müller Nielaba von der Universität Zürich.
«Es wird nicht nur mir aufgefallen sein, dass Verschwörungstheoretiker gerne ihre Geschichten mit dem Satz einleiten: «Ich weiss es eigentlich auch nicht.» Und dann wissen sie aber plötzlich aus diesem Nicht-Wissen heraus. Das ist eine klassische rhetorische Operation. In der Rhetorik bei Quintilian ist das die sogenannte Paralipse. Der Redner beginnt seine Rede mit dem Satz: «Ich darf jetzt nicht davon sprechen. Es wäre für mich beschämend, zu erzählen, wie miserabel die Medienarbeit von Herrn Glogger ist. Und damit habe ich es schon gesagt.»
Wenn man dieses Muster einmal kennt, fällt es einem überall auf. Zum Beispiel beim Schweizer Youtuber Daniel Stricker, der in einem seiner Videos berichtet, dass die Zeitung «20 Minuten» Kommentare zensuriere. Nachdem er das mehrere Male wiederholt hat, sagt er:
«Es isch wahr, ich channs nöd bewiese.»
Ja, was jetzt? Wenn es wahr wäre, könnte man es doch beweisen. Oder wenn Stricker ernst genommen werden will, müsste er sich doch zumindest bemühen, es zu beweisen. So oder so gibt er zu, einfach irgendetwas zu behaupten, ohne jeden Beweis.
Dasselbe hören wir beim deutschen Youtuber Heiko Schrang.
«Ich wurde eingeladen am 1.8. 500 000 sind angemeldet, weiss ich nicht, ich gehe davon aus, ich bin jetzt kein Prophet, meine Meinung ist aber, das wird die grösste Demo in diesem Jahr Tatsache sein.»
So schnell wird aus Meinung eine Tatsache.
Auch der anonyme «Arzt» Thomas aus dem Rheinland, den Schrang als Kronzeugen in seine Sendung eingeladen hat, sagt klar und deutlich:
«Diese Befehlsgewalt von Menschen über Menschen passiert viel besser, wenn der CO₂-Gehalt im Hirn höher ist […] ob das unsere Machthaber wissen oder nicht, weiss ich nicht, aber dass sie ausgerechnet jetzt überall wieder gelockert wird […] trotzdem die Maskenpflicht verstärkt wird […] finde ich unklar.»
Also, Doktor Thomas weiss nicht, ob es die Regierung weiss, aber er zieht doch seine Schlüsse daraus.
Den Vogel abgeschossen hat aber einer der bekanntesten Redner in diesem Metier, Daniele Ganser, anlässlich eines Auftritts am 11. September in Düsseldorf.
«Eigentlich würde ich gerne nicht über Corona sprechen, sondern zwei, drei, vier, fünf Jahre warten. Das wäre das normale Verhalten und es ist wie eine Regel, die ich mir selber gesetzt habe. Und jetzt habe ich so viele Anfragen bekommen, dass ich doch bitte eine Einschätzung geben möge, dass ich jetzt diese Regel breche. Ich spreche über etwas, das wir gar noch nicht begreifen.»
Und wenige Sekunden danach:
«Das sind jetzt einfach mal vorläufige Beobachtungen, ich kann es nicht anders nennen als das. Weil irgendwann in drei, vier Jahren mache ich sicher einen Vortrag zu Corona. Der sollte dann besser sein. Der sollte richtig durchdrungen sein.»
Der Historiker Ganser gibt sogar zu, nicht viel davon zu verstehen.
«Grosse Aufregung, wir verstehen nicht viel davon»
«Ich mache es aber trotzdem, weil ich möchte ihnen einige Beobachtungen mitgeben. Ich möchte die mit ihnen teilen und zwar ohne Anspruch auf Vollständigkeit … ohne Anspruch, dass das, was ich sage, richtig ist. Ich gebe Ihnen das mit und Sie machen damit, was Sie wollen.»
Nein, natürlich will Ganser nicht, dass die Leute damit machen, was sie wollen, sondern, dass sie das denken, was er ihnen geschickt unterjubelt. Nämlich, dass die Corona-Pandemie eine Inszenierung ist. Die Punkte, die er danach während gut vierzig Minuten demontiert, sind erstens nicht von ihm und die meisten schon lange vor seinem Vortrag x-fach widerlegt.
Aber die Leute glauben ihm, obschon er zu Beginn während knapp anderthalb Minuten insgesamt siebenmal gesagt hat, dass ihm nicht zu trauen sei.
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Wäre ich ein Verschwörungstheoretiker, würde ich sagen: Ich weiss zwar nicht, ob das stimmt, aber wenn ich mich frage, warum Daniele Ganser offenbar ohne Vorwissen einen solchen Vortrag hält, fällt mir nur auf, dass er an einem Abend 200 bis 500 Gäste hat, die zwischen 20 Euro und 40 Franken bezahlen. 500 mal 40 sind 20 000 Franken Einnahmen an einem Abend. Selbst wenn man die Saalmiete abzählt, ist das ein schönes Sümmchen für ein 40-Minuten-Referat, von dem er selbst sagt, es sei nicht ausgegoren.
Aber so funktioniert die Paralipse gemäss der Literaturwissenschaft. Sie ist nicht neu. Marcus Fabius Quintilianus, auf den sich Professor Müller Nielaba bezieht, hat sie bereits im Jahre 50 nach Christus definiert. Wer sich heute ihrer Existenz bewusst ist, hat das Werkzeug, Lügner, Hochstapler, und Verschwörungstheoretiker zu entlarven.
Eine Variante der Paralipse ist «Viele wissen es nicht.» Damit will sich ein Redner wichtig machen, weil er es weiss. Aber eigentlich teilt er uns mit, dass er es bis vor kurzem selbst auch nicht gewusst hat.
Aber mit dieser Floskel kann man sogar richtig Karriere machen. Ausnahmsweise gebe ich das letzte Wort dem abgewählten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika: «Many people don’t know.»