Das musst du wissen

  • Acht Prozent der Amerikaner glauben, dass Covid-19 durch den Mobilfunkstandard 5G ausgelöst werde.
  • Über Youtube, Chatforen und die Medien gelangten die Theorien auch in die Schweiz.
  • Aktuell sind fünf Volksinitiativen gegen 5G in Planung.
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An einem Sonntagabend, 18 Uhr 34, tippt einer der ersten User aus der Schweiz auf der Chat-Webseite 4Chan einen Kommentar ein, der die Krankheit Covid-19 mit dem Mobilfunkstandard 5G in Verbindung bringt: «5G bringt nicht nur uns mit Corona um sondern auch die süssen Vögelchen». Es ist der 8. März 2020, die «besondere Lage» ist bereits seit einer Woche ausgerufen, und spätestens jetzt mischen auch Personen in der Schweiz bei der neusten Verschwörungstheorie zu 5G mit. Damit ist die Schweiz Teil einer Maschinerie geworden, die weltweit immer wildere Verschwörungstheorien zu aktuellen Themen ausspuckt.

Die genaue Anatomie dieser Theorien muss hier nicht wiederholt werden, sie wurden unzählige Male in Fact-Checks als falsch entlarvt. Stattdessen soll es um die Brutstätten der Verschwörungstheorien gehen – am Beispiel 5G. Es geht hier um die undurchsichtigen Tiefen des Internets, um Profiteure, die sich als Experten ausgeben – und um besorgte Bürgerinnen und Bürger, die dem geschickten Marketing dieser Maschinerie auf den Leim kriechen. Dafür hat higgs in Internetforen und auf dem Messenger-Dienst Telegram recherchiert, Zeitabläufe rekonstruiert und über 400 Personen, die sich in der Schweiz öffentlich gegen 5G positionieren, datenjournalistisch charakterisiert. So begannen wir zu verstehen, wie 5G-Gegner sich informieren, auf welche Experten sie sich beziehen und wie sie mit dem globalen Verschwörungsnetzwerk verbunden sind. Unser Ziel ist nicht, Gegner an den Pranger zu stellen, sondern nachzuzeichnen, wie sich die Zweifel an einer neuen Technologie entgegen dem Konsens der Forschung so erfolgreich streuen liessen.

Wie kam es dazu, dass die 5G-Verschwörungstheoretiker im April dieses Jahres einen ihrer grössten Erfolge feiern konnten, als in Grossbritannien mindestens zwanzig 5G-Sendemasten angezündet wurden? Und dass mittlerweile acht Prozent der Amerikaner glauben, dass Covid-19 durch den Mobilfunkstandard 5G ausgelöst werde? Wie kam es, dass am 4. März ein User aus der Schweiz auf Reddit schrieb: «Wenn sie in meiner Umgebung eine 5G-Antenne aufstellen, werde ich sie sabotieren»?

Eine Verschwörungstheorie entsteht

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Gregor Dürrenberger.

Seit die Mobilfunktechnologie in den 1990er-Jahren ihren Siegeszug angetreten hat, hat sie auch ihre Gegner – genauso wie durch das ganze 20. Jahrhundert das Kabeltelefon, die Stromleitungen und der Mikrowellenherde ihre Gegner hatten. Als aber um die Jahrtausendwende in der Schweiz der Mobilfunkmarkt liberalisiert und der Mobilfunkstandard der dritten Generation (UMTS) eingeführt wurden, gewann die Gegnerschaft an Vehemenz: «Wir wurden damals mit Tomaten beworfen», erinnert sich Gregor Dürrenberger, Geschäftsleiter der Stiftung Strom und Mobilkommunikation. Danach wurde es allerdings wieder ruhiger um den Mobilfunk.

Das Revival kam mit 5G. Weltweit koordiniert wurde der Widerstand erstmals im Jahr 2015, als eine Gruppe von rund 190 Wissenschaftlern einen Appell an die Vereinten Nationen sandte: Sie verlangte, dass die Grenzwerte für Mobilfunk verschärft werden sollten. Unter den Unterzeichnenden war ein einziger Schweizer: der Biologe Daniel Favre. Er ist ehemaliger Vize-Präsident der Westschweizer Anti-5G-Vereinigung ARA (Association Romande Alerte aux ondes électromagnétiques) und hat als Molekularbiologe zu Hepatitis B und C geforscht – hat also keine Expertise im Bereich Mobilfunkwellen. Trotzdem führte er 2011 als «unabhängiger Forscher» eine ziemlich handgestrickte Feldstudie zu den Auswirkungen von Mobilfunkstrahlung auf Bienen durch. Sein Befund: Bienen reagieren auf Handystrahlung empfindlich.

Im Jahr 2016 traten dann die ersten Verschwörungstheorien zu 5G ihren Siegeszug an: Am 26. Juli 2016 lud die US-amerikanische christliche Bewegung «InPower Movement» ein Video auf Youtube hoch. Ihr Kanal zählte zum jenem Zeitpunkt etwas über 9000 Abonnenten. Das Video mit dem Titel «Die Wahrheit über 5G» stellt die Frage: «Arbeiten in den USA hinter den Kulissen geheime Kräfte, die die Wahrheit über die 5G-Implementierung zensieren?». Es ist eines der ersten Videos zum Thema 5G, das viral ging.

Bei der Schaffung neuer Verschwörungstheorien spielen immer verschiedenste Player mit: Es können Grassroot-Trolls sein, Profiteure, aber auch Organisationen mit bestimmten politischen Interessen. Oder staatliche Akteure, wie Ben Decker schreibt, Spezialist für Desinformations-Kampagnen und Autor der britischen Nichtregierungsorganisation «Global Desinformation Index». Er hat einen Bericht zu 5G und den ersten globalen Verschwörungstheorien dazu verfasst. Er sagt, die für diese Theorien verantwortlichen Akteure führten im Netz einen permanenten Informationskrieg, der stetig neue Themen integriere. Decker bezieht sich auf einen Bericht, den der pensionierte Air Force Colonel Richard Szapranski bereits 1995 geschrieben hat. Darin sagte der Autor voraus, dass die Abhängigkeit von Informationen dazu führen würde, dass Glaubens- und Wissenssysteme der Gesellschaft attackiert werden – namentlich die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit würde leiden. Wir stecken laut Decker also in einem digitalen Krieg, in dem die Akteure die Dynamiken und Algorithmen der Netzwerke ausnützen, um ihre von eigenen Ideologien geprägte Deutung der Wirklichkeit permanent in die Welt zu posaunen und Mitglieder zu rekrutieren beziehungsweise zu radikalisieren.

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Marc Tuters.

Neue Verschwörungstheorien entstehen häufig nicht in den leicht auffindbaren Teilen des Internets, sondern in dessen Tiefen – beispielsweise in anonymen Foren wie 4Chan. «Leute, die auf solchen Kanälen neue Theorien kreieren, glauben selber gar nicht unbedingt daran», sagt Marc Tuters. Er ist Assistenzprofessor an der Abteilung New Media & Digital Culture der Universität Amsterdam. «Diese Leute sehen es aber sehr gerne, wenn sich ihre Theorien weiterverbreiten. Sie erfreuen sich an gesellschaftlichem Chaos.» Tuters hat zu Foren wie 4Chan und Reddit geforscht und das Open Intelligence Lab gegründet, das ein Analysetool für diese Plattformen entwickelt hat. Das Tool hat auch higgs für diese Recherche verwendet. Wie Tuters sagt, hat sich vor allem 4Chan zu einer Brutstätte für Verschwörungstheorien entwickelt – besonders beliebt in rechten Kreisen. Hier ist zum Beispiel auch die QAnon-Bewegung entstanden, die krude Theorien verbreitet und aktuell in der Corona-Pandemie federführend ist. Von den eher obskuren Kanälen schwappen die Theorien dann auf Reddit über – und schliesslich auf Youtube.

Dort wählen dann grössere Akteure aus einem grossen Strauss an diversen Verschwörungstheorien die für sie geeignetsten aus, um damit ihren eigenen Propaganda-Krieg weiterzuführen. Die Themen mögen noch so weit auseinander liegen, sie werden zu einer neuen einheitlichen Geschichte gestrickt und über unzählige Kanäle gestreut. Das war auch bei 5G so.

Die Verschwörungstheorie wird zum Kassenschlager

Silvester, 31. Dezember 2019: Ein User aus der Schweiz schreibt auf 4Chan: «5G ist ein weiteres Instrument für die Neue Welt Ordnung.» So nennen Verschwörungstheoretiker das System, das korrupte Eliten angeblich errichten wollen. Es sind drei Jahre vergangen, seit die ersten Verschwörungstheorien zu 5G aufgetaucht sind. In der Schweiz sind zu diesem Zeitpunkt zehn Anti-5G-Webseiten und vier Facebook-Seiten mit insgesamt rund 17 000 Abonnenten oder Mitgliedern registriert. Zudem wurde ein Verein gegründet, eine Standesinitiative eingereicht, drei Moratorien in den Kantonen Genf, Waadt und Jura durchgesetzt – und fünf Volksinitiativen sind in Planung oder bereits am Unterschriften sammeln. Eine öffentliche Petition an Bundesrätin Sommaruga haben fast 40 000 Personen unterzeichnet. Rund 44 Prozent der Bevölkerung sollen in der Schweiz 5G-kritisch eingestellt sein, wie eine Umfrage des Vergleichsportals bonus.ch ergab. Was ist passiert?

Entscheidend für den weltweiten Erfolg der Verschwörungstheorien um 5G war laut Ben Decker das Jahr 2018. Und der Treiber dieser Entwicklung war auch Profitgier. So sprang der Verschwörungstheoretiker John Kuhles auf und verbreitete die Botschaft über eigene Youtube-Videos unter Zehntausenden von Followern. Er kreierte Stopp-5G-Plattformen und generierte auf diesem Weg Spenden – «Donations» wie Decker schreibt. Dann stiegen weitere Top-Shots der Szene ein, unter ihnen einer der mächtigsten Verschwörungstheoretiker der USA, der rechtsaussen politisierende Alex Jones. Auf seinem Portal Infowars publizierte er ab Mai 2018 einen stetigen Strom an kruden 5G-Verschwörungstheorien. So hiess es etwa, 5G sei dazu da, die Bevölkerung zu dezimieren. Ebenfalls im Mai 2018 nahm die Bewegung QAnon die Theorien auf, ebenso wie der russische Propagandasender RT America. Damit war das Thema auf der höchsten Ebene der digitalen Kriegsführung angekommen.

Als Nachzügler kamen dann im Februar 2019 auch noch radikal christliche Kanäle auf den Geschmack: Der religiöse Youtube-Kanal TruNews mit über 170 000 Abonnenten lud ein eigenes Video hoch, das die 5G-Verschwörungstheorie mit Antisemitismus und apokalyptischen Tönen anreicherte.

Doch wer vertritt in der Schweiz eigentlich die 5G-Gegner?

Praxisbezug und Leid

Da sind einerseits jene, welche in Vereinen gegen hohe Strahlenbelastung tätig sind, Initiativen organisieren, Anti-5G-Webseiten gegründet oder als «Organisation» einen internationalen Anti-5G-Appell unterzeichnet haben. Die Spannbreite der Gegner reicht von radikalen Verschwörungstheoretikern bis zu moderaten Kritikern, lange nicht alle sind Verschwörungstheoretiker. Nicht zu finden sind darunter allerdings Forscher, die in universitärem Kontext zu 5G forschen oder geforscht haben. Da ist zum Beispiel Rebekka Meier, Präsidentin des Vereins «Schutz vor Strahlung». Beruf: Uhrmacherin. Oder: Richard Koller, Krankenpfleger und Initiant der Volksinitiative «5G-Experiment Nein», der nach einem Streit bei der SVP Luzern die «Freiheitliche Bewegung Schweiz» gründete. Oder Guido Huwiler: Er ist laut Vereinswebseite im Vorstand des Konsumentenschutzvereins Frequencia, der die SaferPhone-Initiative für eine minimale Strahlenbelastung der Umwelt plant. Huwiler ist ausgebildeter Tiefbauzeichner, war als Baubiologe tätig und ist heute pensioniert. Seine Webseite ist noch aktiv. Huwiler berät unter anderem so genannt «strahlensensible Menschen», wie sie ihr Haus gegen Strahlung abschirmen können. «Baubiologische Arbeiten sind fast immer ein Verlustgeschäft, ich mache das aus Überzeugung», sagt Huwiler.

Was viele dieser Personen verbindet ist der Praxisbezug. Er ist der gemeinsame Nenner, der Kinderärzte, Yogalehrerinnen, Heilpraktiker und Ayurveda-Therapeutinnen mit Ingenieurinnen und Technikern aller Art zusammenbringt. Eine higgs-Datenanalyse der 129 wichtigsten Personen, die sich öffentlich gegen 5G engagieren und nicht wissenschaftlich tätig sind, zeigt: Ein Drittel von ihnen bekleidet technische Berufe wie Ingenieur, IT-Spezialist oder Architekt. Ein Viertel wiederum übt Berufe aus, die Heilung und Gesundheit versprechen, wie Heilpraktiker, Homöopathinnen oder Yoga-Lehrer.

Was viele 5G-Gegner ausserdem eint: Das Geschäft. Während Heilpraktikerinnen die körperliche Reinigung versprechen, bieten Elektroingenieure und Architekten strahlungssichere Gadgets und Anbauten aller Art an. Die Liste «Organisationen» auf einem 5G-Appell erinnert denn auch stark an eine Marketing-Börse, denn auf dieser Seite können die Kunden erreicht werden. Also Personen, welche angeben, strahlungssensibel zu sein und körperlich Schmerzen erleiden. Eine Umfrage in der Schweiz im Jahr 2004 ergab, dass rund fünf Prozent der Bevölkerung angaben, aufgrund von Strahlung an Beschwerden zu leiden oder in Vergangenheit gelitten zu haben. Experimentell wissenschaftlich nachweisbar ist eine solche Elektro- oder Strahlensensibilität nicht.

Bei der praxisorientierten Gruppe von 5G-Gegnern bestehen auch einige Überschneidungen mit Impfgegnern und Corona-Skeptikern. Bekanntestes Beispiel: Christoph Pfluger, einer der Anführer der Corona-Skeptiker in der Schweiz und Verleger der Zeitschrift «Zeitpunkt» – ein wichtiger hiesiger Treiber für Theorien, die sich gegen den wissenschaftlichen Konsens stellen.

Den praxisorientierten Gegnern scheint oft ein anthroposophisches Menschenbild gemein zu sein. Ebenfalls dabei sind religiöse Gruppierungen wie «The World Foundation of Natural Science». Und in deren Schlepptau ein buddhistischer Mönch, ein Zauberer und ein Medium.

Unzuverlässige Quellen

Viele Quellen, welche die Gegner auf ihren Webseiten und Facebook-Gruppen verlinken, sind schwach, unzuverlässig und nicht wissenschaftlich. Und erschreckend ist dabei vor allem, wie viele der Verlinkungen auf sehr radikale verschwörungstheoretische Seiten oder Youtube-Kanäle verweisen. Damit haben die Schweizer 5G-Seiten einen eskalierenden Effekt. Mögen viele Schweizer 5G-Gegner moderat sein – vielleicht sogar die Gründer der einschlägigen Webseiten selbst: Ihre Webseiten führen besorgte User auf der Suche nach Informationen in die höchst dubiosen Gewässer von Rechtsradikalen oder Sekten. Ein Beispiel: Die Anti-5G-Webseite «levaudsansantennes» will die Einführung von 5G im Kanton Waadt verhindern und konnte bereits ein Moratorium durchsetzen. Klickt man auf der Seite zu den empfohlenen Videos, stehen da Beiträge des öffentlich rechtlichen Fernsehens SRF neben jenen von RT deutsch, einem russischen Propagandasender, und neben jenen von kla.tv, dem Sender des Schweizer Sektenpredigers Ivo Sasek. Die Webseitenbetreiber haben auf eine Kontaktaufnahme von higgs nicht reagiert. Mit den dubiosen Verlinkungen sind sie aber nicht allein: Auch ARA, die Anti-5G-Vereinigung in der Romandie, verlinkt zum Beispiel in der Fussnote eines Artikels auf die Webseite des bekannten Verschwörungstheoretikers David Icke. Nicht alle Webseiten sind aber problematisch: Positiv sticht hier zum Beispiel die Webseite des «Vereins Schutz vor Strahlung» hervor, die auf solche Verlinkungen verzichtet.

Die Wissenschaftler dahinter

Weiter sind da die 5G-Gegner, die sich als Wissenschaftler positionieren. In der Regel handelt es sich hier um moderate Gegner. Zum Beispiel haben 2019 sieben Personen aus der Schweiz einen «Appell der Wissenschaftler» an die EU unterzeichnet. Niemand davon hat in einem Forschungsgebiet geforscht, das mit elektromagnetischen Wellen etwas zu tun hat. Neben dem Bienenforscher Favre sind da eine Apothekerin, ein Anästhesist, eine anthroposophische Kinderärztin, zwei Ärzte mit Fachgebiet Innere Medizin und eine Kinderpsychiaterin.

Auf einem anderen Appell, den – neben anderen Berufsgruppen – 232 Personen aus der Schweiz als «Wissenschaftler» unterzeichnet haben, wird ein Trend sichtbar: ein Drittel hat Biologie studiert.

Allerdings wird auch hier «Wissenschaftler» sehr grosszügig interpretiert. ETH-Professoren stehen ebenso auf der Liste wie eine Kaninchenzüchterin oder Studierende. Auch einige Politiker der Grünen und der SP haben unterzeichnet, am bekanntesten darunter der Grüne Michael Wüthrich, ehemaliger Präsident der Umwelt-, Verkehrs- und Energiekommission des Basler Grossen Rates. «Ich habe den Appeal unterschrieben, weil ich hoffe, dass man dadurch weltweit sensibler umgeht mit Mikrowellen – und zwar nicht nur spezifisch bezüglich 5G», sagt Wüthrich. Er ist Mit-Initiant einer Volksinitiative für niedrigere Strahlenbelastung in der Schweiz. Er ist Klimatologe und verweist auf Anfrage auf seine Forschung im Bereich der Mikrowellenausbreitung, die er im Rahmen verschiedener Klimaprojekte in den 1990er-Jahren durchführte. Seine Forschung sei zwar schon eine Weile her, räumt er ein, aber «die physikalischen Eigenschaften von Mikrowellen haben sich nicht geändert». Zuletzt forschte er laut eigenen Angaben beim European Microwave Signature Laboratory in Ispra.

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Immerhin verfügen gut 30 dieser 5G-Gegner, die als Wissenschaftler unterzeichnet haben, nicht nur über einen Hochschulabschluss, sondern tatsächlich auch über Forschungserfahrung und haben Studien publiziert. Aber Wissenschaftler, deren Forschungsgebiet auch nur annähernd etwas mit elektromagnetischen Wellen zu tun haben, sind darunter kaum zu finden. Aktuell in universitärem Kontext explizit zu Mobilfunkstrahlung und ihren Auswirkungen auf den Menschen forscht keiner der Unterzeichnenden.

Die Frage nach der Kompetenz

Doch, wer ist überhaupt «kompetent», wissenschaftliche Fakten zu diesem Thema zu bewerten? In der Antwort auf diese Frage liegt die Krux, die heute bei verschiedensten Themen dazu führt, dass Wissenschaftsleugner und Scharlatane ein leichtes Spiel haben: «Forschung ist heute interdisziplinär und international», sagt Gregor Dürrenberger von der Forschungsstiftung Strom und Mobilkommunikation. Das heisst: Es gibt keine einzelne Person, welche alle Fragen zu 5G alleine beantworten kann. Geht es darum, ob elektromagnetische Wellen Krebs verursachen, braucht es Krebsepidemiologen oder Onkologinnen. Dreht es sich um die Schmerzen, welche Leute fühlen, die sich als strahlensensibel bezeichnen, braucht es hingegen eher Placebo-Forschende, Psychologen oder Ärztinnen.

Gerade wegen dieser enormen Komplexität treffen sich Wissenschaftler aus verschiedensten Bereichen jeweils an der BioEM, der wichtigsten Fachtagung, die sich den biologischen Auswirkungen elektromagnetischer Felder widmet. Hier treffen Elektroingenieure auf Biologinnen, Toxikologen, Epidemiologinnen und viele weitere. Denn die faktische Wirklichkeit kann erst durch viele Forschende zusammen erarbeitet werden. Diese müssen einen wissenschaftlichen Konsens finden. Das heisst, je mehr Forschende zu den gleichen Resultaten kommen, desto erhärteter sind die Fakten.

Verschwörungstheorien mischen sich

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Martin Röösli.

Während die Forschung also immer komplexer wird, mischen sich in den Diskurs immer mehr Akteure ein, die einfache Antworten bereit haben. Und diese selbsternannten Fachleute treten mit immer seriöserem Anstrich auf. «Die Radikalität der Gegner hat sich in den letzten zwanzig Jahren nicht gemindert», sagt Gregor Dürrenberger von der Forschungsstiftung für Strom und Mobilkommunikation, «aber ihr Auftreten hat sich professionalisiert». Dem stimmt auch Martin Röösli zu, der als Professor am Swiss Tropical and Public Health Institute in Basel seit Jahren zu elektromagnetischen Wellen forscht. Zugenommen habe auch, dass sich sektenähnliche Gruppierungen das Thema aneigneten.

Dieses Phänomen spiegelt einen generellen Trend wider. Verschwörungstheoretische Gruppen pflegen zunehmend ein «Branding», treten also als Marke auf, die verschiedene Theorien anbietet. Das zeigt sich auch in der gegenwärtigen Corona-Pandemie: In einem Anti-5G-Telegram-Chat geht es derzeit fast ausschliesslich um Verschwörungstheorien zu Corona. Geteilt werden dort Beiträge von QAnon-Schweiz oder der rechtspopulistischen deutschen Verschwörungstheoretikerin Eva Hermann – und es wird um Spenden gebeten. Eine Userin schreibt: «Die Schweiz ist ein tiefer Sumpf…WEF, Davos, Luzern, Genf WHO Sitz etc Vatikan-Beziehung». 5G ist da nur noch ein weiteres Requisit in der Geschichte um die Neue Weltordnung – und deren Vermarktung.

 

Anmerkung: In einer früheren Version dieses Artikels stand, dass Guido Huwiler Initiant der 5G-Initiative ist. Dies wurde korrigiert: Huwiler ist im Vorstand des Konsumentenvereins Frequencia, der die SaferPhone-Initiative plant.
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