Das musst du wissen
- Auf Facebook ist die Anzahl Impfgegner kleiner als jene der Impfbefürworter.
- Die Impfgegner sind enger vernetzt mit neutralen Facebook-Seiten – und haben so mehr Zugang zu unentschlossenen Leuten.
- Die Facebook-Seiten von Impfgegnern wachsen denn auch schneller.
Es ist so eine Sache mit den Bubbles, in denen wir es uns als User von sozialen Netzwerken bequem machen: In der Bubble haben alle die gleiche Meinung. Woher also soll man wissen, wie viele andere Blasen es gibt, die ganz anders denken? Genau das haben sich amerikanische Forschende auch gefragt. Und zwar im Bezug auf die Impf-Thematik. Sie fanden dabei heraus: Die Grösse der Bubbles ist nicht alleine ausschlaggebend für die Machtfülle im Netz. Und: In zehn Jahren könnte der Wind komplett gedreht haben.
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Die Politik- und Datenwissenschaftler untersuchten über 1300 Facebook-Fanseiten, die sie «Cluster» nennen. Also nicht individuelle Accounts, sondern Themenseiten, auf denen sich Gleichgesinnte zusammenschliessen. Bei den Impfgegnern sind das Seiten, auf denen zum Beispiel einem Coronavirus statt Stacheln ganz viele Bill-Gates-Köpfe verpasst werden. Es sind Seiten, welche Impfungen verteufeln. Seiten mit Zehntausenden von Followern. Auf der anderen Klippe dieses Grabens stehen die Impfbefürworter: Facebook-Pages wie jene der Gates Foundation mit 1,5 Millionen Abonnenten. Und dazwischen stecken die Neutralen. Jene, welche sich mit dem Impfen auseinandersetzen, aber noch keine Partei ergriffen haben.
Die Anzahl der Impfbefürworter ist grösser. Aber die Netzwerke der Impfgegner sind sehr robust. Weder erneute Masernausbrüche letztes Jahr noch die gegenwärtige Coronapandemie scheinen den Netzwerken etwas anzuhaben. Die Forschenden haben nun sieben Faktoren erarbeitet, welche zu dieser Widerstandsfähigkeit führen. Dies haben sie im Fachmagazin Nature veröffentlicht.
Science-Check ✓
Studie: The online competition between pro- and anti-vaccination viewsKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Autoren haben Facebook-Themenseiten angeschaut, keine individuellen Accounts. «Vernetzt» heisst hier, dass die Seiten selber, nicht die einzelnen Fans, auf andere Seiten verweisen. Die Vernetzung könnte allerdings auch nach ganz anderen Kriterien gemessen werden – allerdings bräuchte es dann vertrauliche Daten. Auch die Präsenz oder Wirkung von Bots, Trollen oder anderweitige externe Einflüsse wurde nicht betrachtet. Die dezentrale Aufteilung der Cluster spreche aber gegen eine dominante «Top-Down-Präsenz», also gegen eine zentrale Steuerung, so die Forschenden. Auch ist nicht geklärt, wie sich die Cluster auf die tatsächliche Haltung der Fans auswirken. Ausserdem stützen sich die Berechnungen auf Annäherungen. Die Studie kann deshalb nur Hinweise geben. Bewiesen sind ihre Resultate noch nicht. Dazu braucht es weitere Forschung.Mehr Infos zu dieser Studie...Unsichtbare Nachbar-Bubbles
Zunächst sind die Facebook-Seiten von Impfgegnern viel stärker vernetzt mit neutralen Seiten. Das heisst: Sie werden von neutralen Seiten verlinkt und verlinken diese auch selber. Impfgegner mischen sich sozusagen unters Volk, wohingegen Impfbefürworter sich stärker in den eigenen Netzwerken bewegen. Impfbefürworter stecken also häufig in einer Blase fest und wissen gar nicht, dass ein paar Blasen weiter ein ideologischer Kampf ums Impfen tobt.
Die neutralen Themen-Seiten spielen dabei eine zentrale Rolle, denn oft nehmen sie den aktiven Part ein und verweisen auf Fanpages von Impfgegnern. Die Impfgegner erleichtern dies, indem sie zwar kleinere, aber dafür mehr Cluster, also Fan-Pages, kreieren als Impfbefürworter. Zudem erzählen die Impfgegner viele verschiedene Geschichten, sie benutzen also verschiedenste Narrative, um die neutral Eingestellten zu überzeugen. Themen wie Sicherheit der Impfungen, Verschwörungstheorien und alternative Medizin werden gemischt. Impfbefürworter argumentieren hier viel monothematischer, wie die Analysen zeigen. Dadurch sprechen sie viel weniger Leute individuell an.
Cluster von Impfgegnern wachsen
Es fällt auf, dass die Impfgegner zum Beispiel während des Masernausbruchs 2019 viel mehr Zulauf verzeichneten als Impfbefürworter. Dies führen die Autoren auf eben diese Fähigkeit zurück, unentschlossene oder vielleicht sogar verunsicherte Leute besser aufzufangen. Mittelgrosse Cluster wuchsen dabei am meisten, während die grössten Fan-Seiten sich einen Kampf mit den Impfbefürwortern lieferten.
Die Erkenntnisse der Forschenden stehen im Kontrast zu klassischen Modellen der sozialen Dynamik von Massen, wonach die Minderheit, hier die Impfgegner, immer relativ zur Mehrheit, hier der Befürworter, wachsen oder schrumpfen würde. Die Wissenschaftler simulieren in ihrer Studie die weiteren Entwicklungen und warnen, dass die Impfgegner auf Facebook in zehn Jahren in der Mehrzahl sein werden. Und sie betonen: Dieses mathematische Clustermodell gilt theoretisch nicht nur für Facebook, sondern für jegliches Online-Setting. Es zeigt sich: Ein Kampf im Netz kann nur gewonnen werden, wenn man die eigene Bubble sprengt.