Was schwer aussprechbar ist, muss entsprechend gefährlich sein. So lautet offenbar der Schluss der Konsumentinnen und Konsumenten von Medikamenten. Denn Medikamente mit komplizierten Namen werden als riskanter eingestuft. Das ergab eine Untersuchung von Simone Dohle und Michael Siegrist an der ETH Zürich. «Die Ergebnisse von drei experimentellen Studien zeigten, dass komplexe Wirkstoffnamen als gefährlicher wahrgenommen wurden als einfache Wirkstoffnamen und die Kaufbereitschaft negativ beeinflussten. Die Ergebnisse sind von besonderer Bedeutung, da es weltweit einen Trend gibt, mehr Medikamente für die Selbstmedikation zur Verfügung zu stellen», fasst die Studie von 2013 zusammen.
Gefährliche Sympathien
Medikamente mit leicht aussprechbaren Bezeichnungen werden als eher harmlos gesehen. Das birgt aber Gefahren. Was harmlos erscheint, führt auch dazu, dass eine höhere Dosis als empfohlen eingenommen wird. Die Forscher raten deshalb, Medikamente mit starken Nebenwirkungen und entsprechenden Risiken für die Patienten mit schwer aussprechbaren Namen zu bezeichnen. Das vermittelt im Unterbewusstsein offenbar die Botschaft, dass es sich bei diesen Arzneimitteln tatsächlich um gefährliche Stoffe handelt. Heute werden die Medikamente nach ihrem Wirkstoff oder nach dem Handelsnamen bezeichnet. Das weltberühmte, 1899 patentierte Aspirin hat den Wirkstoff Acetylsalicylsäure. Diese Säure kommt auch in einem Rosengewächs vor, das Spire heisst. Daraus entstand der Markenname Aspirin.
«Komplexe Namen werden als gefährlicher wahrgenommen und beeinflussen die Kaufbereitschaft negativ»
Nur der Handelsname ist international geschützt und deshalb für die Vermarktung des Heilmittels entscheidend. Hier gilt der Grundsatz, dass der Handelsname nichts Negatives vermitteln soll. Das Medikament Voltaren von Roche, ein absoluter Bestseller, ist von seiner Herkunft geprägt. Das Schmerzmittel mit dem Wirkstoff Diclofenac wurde nach dem Basler Voltaplatz, der vor dem Pharmaunternehmen lag, und nach Rhein, Lateinisch Rhenus, benannt, was Voltaren ergab. Der Name ist wohl mit vielen der insgesamt etwa 6500 Sprachen auf der Welt kompatibel.
Die Pharmabranche ist darauf bedacht, Zungenbrecher zu vermeiden. Die Buchstaben H, J, K und W werden deshalb am Wortanfang vermieden. Das gilt übrigens auch für Unternehmensnamen. Zur Erinnerung: Als Ciba-Geigy und Sandoz 1996 fusionierten, suchten Profis während Monaten einen weltweit akzeptablen Namen, der Novartis lautete.
Veronal verdankt den Namen seiner starken Wirkung. Miterfinder Joseph von Mering nahm auf einer Zugfahrt von Berlin nach Basel den Wirkstoff Diethylbarbitursäure ein und erwachte erst wieder in Verona. Das starke Schlafmittel erhielt deshalb den Namen Veronal.
Die deutsche Ärztin Jessica Eismann-Schweimler kritisiert in ihrem Blog diese Tendenz zu Handelsnamen: «Da klingen die Wirkstoffe nicht mal ansatzweise im Namen an. Die Strategie ist klar: Der häufige Besuch eines Pharmavertreters führt über regelmässige nette Gespräche dazu, dass ich mir einzelne dieser Präparatenamen einpräge, über die Zeit den Wirkstoffnamen vergesse und nur noch das beworbene Präparat verordne. Ich halte diese Strategie für fehleranfällig.»
Jeder Buchstabe zählt
Recht hat sie. In den vergangenen Jahren kamen viele Medikamente mit den Anfangsbuchstaben X und Z auf den Markt. Denn Wörter mit X und Z kommen in der Alltagssprache weniger vor. Daraus leitete die Pharmaindustrie ab, dass Medikamente mit den Anfangsbuchstaben X oder Z stärker auffallen und so auch besser in Erinnerung bleiben. Doch die beiden Buchstaben klingen ähnlich. Wer Zantac (gegen Magenbeschwerden) mit Xanax (Beruhigungsmittel) verwechselt, kann einen Menschen in Lebensgefahr versetzen. Deshalb hat der US-amerikanische Adopted Names Council schon vor Jahren für Generika ein Moratorium auf die beiden Anfangsbuchstaben X und Z verhängt.
Um Verwechselungen vorzubeugen, dürfen die Namen von Generika nicht mehr mit X oder Z beginnen. Läuft das Patent eines Original-Arzneimittels aus, dürfen andere Anbieter das Medikament – ein Generikum – mit gleichem Wirkstoff und gleicher Dosierung auf den Markt bringen. Aber der Handelsname muss sich klar unterscheiden. Bei der Dosierung werden auch Abweichungen akzeptiert: Das Generikum darf bis zu 20 Prozent weniger und bis zu 25 Prozent stärker wirken als das Original. Das bedeutet, dass ein Generikum später oder früher, aber auch stärker oder schwächer wirken kann. Deshalb ist eine vorsichtige Umstellung vom Original auf einen neuen Namen entscheidend.