Es ist kühl an jenem Tag des Jahres 1952. Den Kragen seines geliebten Dufflecoats hochgeschlagen, eilt Buchhändler Daniel Keel durch Zürichs Strassen. Sein Ziel: die Literaturagentur Mohrbooks, die zwischen Künstlern und Verlagen vermittelt. Dort will der 22-Jährige, der eigentlich bei der Buchhandlung Orell Füssli angestellt ist, die Rechte an den Zeichnungen des britischen Cartoonisten Ronald Searle kaufen. Denn die leicht boshaften Karikaturen über das fiktive Mädcheninternat St. Trinian’s haben es ihm so sehr angetan, dass er sie auch mit anderen Liebhabern schwarzen Humors teilen möchte. Doch das ist schwierig; denn Searles Werk ist nirgendwo dokumentiert. Deshalb will Keel die Zeichnungen höchstpersönlich zwischen Buchdeckel bringen. Sein Vater unterstützt die Idee und sichert ihm 5000 Franken Startkapital zu. Doch die Mohrbooks-Agenten raten Daniel Keel von seinem Vorhaben ab: Dass viele Verlage den Künstler abgelehnt hätten, halten sie für kein gutes Zeichen. Der junge Buchhändler hat ein Einsehen und zieht unverrichteter Dinge von dannen.

Doch Searles Zeichnungen lassen Keel keine Ruhe. Deshalb betritt er nur 14 Tage später erneut die Räume der Literaturagentur. Dieses Mal lässt er nicht locker. Für 400 Franken übernimmt er schliesslich die Rechte. In den darauffolgenden Monaten investiert er weiteres Geld, so dass noch im selben Jahr Searles Karikaturen in dem Büchlein Weil noch das Lämpchen glüht erscheinen können. Für das Vorwort konnte Keel niemand geringeren als Friedrich Dürrenmatt gewinnen. Die Veröffentlichung ist der Anfang einer Erfolgsgeschichte: Der Band ist der erste von über 6000 Titeln, die bis heute in seinem Verlag erschienen sind, welchen Daniel Keel an diesem Tag gründet.

«Daniel Keel ist einer der wenigen Verleger, die ich kenne, der alles liest, was er veröffentlicht.»Friedrich Dürrenmatt

Dass das Kind einen Namen braucht, merkt er schnell. Doch seinen eigenen auf den Titel drucken, möchte der Zürcher nicht. Er bleibt lieber im Hintergrund und benennt seinen Verlag nach dem griechischen Philosophen Diogenes von Sinope. Denn der bekämpfte alles Konventionelle nicht nur theoretisch, sondern auch durch seinen Lebensstil, indem er nach Bedürfnislosigkeit und Natürlichkeit strebte. Mit so einem Namen liesse sich einfach alles machen, denkt sich der Jungunternehmer. Er zeichnet das erste Logo und gibt seinem Verlag damit auch äusserlich ein Gesicht.

Der Vorleser von Bernhard Schlink war der erste deutschsprachige Roman, der es auf die Bestsellerlisten der New York Times geschafft hat.Diogenes Verlag

Der Vorleser von Bernhard Schlink war der erste deutschsprachige Roman, der es auf die Bestsellerlisten der New York Times geschafft hat.

Daniel Keel startet unkonventionell ins Verlegerleben. Der Vater streckt nicht nur das Startkapital vor, sondern hilft auch beim Korrigieren. Zumindest so lange, bis der Sohn sich eine Sekretärin leisten kann. Um das Unternehmen überhaupt halten zu können, arbeitet er weiter in der Buchhandlung Orell Füssli an der Bahnhofstrasse. Seine eigene Firma hingegen residiert die ersten zehn Jahre in einem möblierten Zimmer bei der Zürcher Bildhauerin Hildi Hess zur Untermiete. Die Buchhaltung lagert in einer blauen Kleiderschachtel unter dem Bett, das im gleichen Raum wie Keels Schreibtisch steht. Erst später wird ihn sein Jugendfreund Rudolf C. Bettschart bei den betriebswirtschaftlichen Dingen unterstützen.

«Diesen Sommer kam ich auf die leichtsinnige Idee, einmal selber versuchsweise Verleger zu spielen.» Mit diesen ehrlichen Worten klopft Keel noch im Jahr der Verlagsgründung bei dem Südtiroler Zeichner Paul Flora an. Dessen Illustrationen hatte er in der Neuen Zeitung München entdeckt. Offensichtlich gefällt dem Zeichner Keels Art. Denn Flora willigt ein. Seine Werke erscheinen in einem eigenen Band und in den ersten Jahren nach der Verlagsgründung auch auf den Umschlägen anderer Bücher aus dem Diogenes Verlag. Im Jahr darauf überzeugt Daniel Keel ähnlich charmant auch Loriot, sich von ihm verlegen zu lassen. Zu ihnen und allen noch dazu kommenden Autoren unterhält Keel ein freundschaftliches Verhältnis. Auch als der Verlag in richtige Büroräume umzieht, lädt er statt zu steifen Sitzungen lieber zu gemütlichen Geschäftsessen in seinem Esszimmer bei sich zuhause.

Das Parfum in der Taschenbuchausgabe von 1994.Diogenes Verlag

Das Parfum in der Taschenbuchausgabe von 1994.

In den ersten Jahren erscheinen bei Diogenes hauptsächlich Karikaturisten, was dem Verlag den Ruf beschert, ein Humorverlag zu sein. Doch Keels Herz schlägt auch für die Literatur. Deshalb wird sie ebenfalls ins Programm aufgenommen. Den Anfang macht ein Band mit gesammelten Dichteranekdoten, den der Jungunternehmer unter dem Pseudonym Christian Strich herausgibt. Weitere Autoren folgen. Spätestens ab 1957 gilt Diogenes als ernstzunehmender Literaturverlag.

Doch noch immer ist Keels Verlag von Banken und anderen externen Geldgebern abhängig. Erst der Erfolg von Patrick Süskinds Das Parfum im Jahre 1985 sorgt für den finanziellen Befreiungsschlag. Der Roman wird zum meist verkauften Buch der Verlagsgeschichte. Über 20 Millionen Exemplare gingen bis heute weltweit über die Ladentheke. Und auch die Verkaufszahlen von Bestsellerautoren wie Patricia Highsmith, Doris Dörrie und Ian McEwan können sich sehen lassen. Ihr Erfolg subventioniert die weniger nachgefragten Bände.

«Daniel Keel ist einer der wenigen Verleger, die ich kenne, der eigentlich alles liest, was er veröffentlicht», sagte einst Friedrich Dürrenmatt über das Erfolgsgeheimnis des Diogenes Verlags. So bleibt es auch. Bis zu seinem Tod im September 2011 liest Daniel Keel jedes Manuskript und entscheidet persönlich, was verlegt wird und was nicht. Sein Credo dabei: «Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur die langweilige nicht.»

Dieses Porträt stammt aus dem Buch «Zürcher Pioniergeist» (2014). Es porträtiert 60 Zürcherinnen und Zürcher, die mit Ideen und Initiative Neues wagten und so Innovationen schufen. Das Buch kann hier bestellt werden.
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