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Jan Vontobel: Wie können elektronischen Massnahmen und Methoden helfen, um den Lockdown zu lockern? Man redet viel darüber, wie man die Massnahmen nach Ostern lockern kann. Die SVP hat ein Strategiepapier veröffentlicht, in welchem sie fordert, die Risikogruppen zu isolieren, das Leben sonst aber rauffahren sollte. Wie realistisch schätzt du das ein, Beat Glogger?
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Beat Glogger: Es hängt davon ab, wie man die Umgebungsbedingungen definiert. Prinzipiell finde ich auch, dass ein Lockdown nicht länger dauern sollte, als es epidemiologisch nötig ist – aber es muss auch wirtschaftlich und sozial verträglich sein. Wenn man mehr Schaden anrichtet als Leben rettet, macht es keinen Sinn. Man muss es sehr intelligent machen. Jetzt einfach fordern, dass ab dem 19. April alles wieder fertig sein soll, ist zu simpel. Es muss differenziert angegangen werden.
Weiter darf man nicht vergessen, die Menschen zu testen. Stichwort Dunkelziffer. Man muss mehr testen. Nur so erlangt man Erkenntnisse zur Epidemie und darüber, wie man die Kurve brechen kann. Und das andere ist: Welche Hilfsmittel können wir dazu zur Hilfe nehmen? Tatsächlich gibt es elektronische Hilfe. Wenn man diese intelligent einsetzt, dann ist es möglich.
Jan Vontobel: Das heisst, unser Handy, welches wir immer auf uns tragen, kann man dafür benutzen, um herauszufinden, ob die Regeln eingehalten werden und ob man Kontakt hatte mit jemandem, der infiziert ist?
Beat Glogger: Genau. Werden die Regeln eingehalten? Und: wer hatte mit wem Kontakt? Da geht es dann wirklich um Personen. Da haben beispielsweise China und Israel sehr strikte Regeln mit Standortdaten in Echtzeit. Ich glaube jedoch nicht, dass so eine permanente Real-Time-Überwachung jedes einzelnen Individuums in einer westlichen Demokratie akzeptiert würde von der Gesellschaft.
Jan Vontobel: Datenschutztechnisch wäre es sehr heikel, auf Individuen runtergebrochen sagen zu können, wo wer zu welcher Zeit war. Aber genau das wäre ja nötig, um die Ausbreitung zu verhindern.
Beat Glogger: Ja, das wäre nötig. Aber man kann das auch anonymisiert machen: Da ist Person A unterwegs, die mit soundso vielen Personen zu nahe zusammenkommt. Oder das Modell, welches in Singapur vorgeschlagen wurde: Infizierte Personen werden identifiziert und dann schaut man aufgrund deren Daten, mit welchen Menschen sie Kontakt hatten. Wenn man dann sieht, dass sich zwei Handys nähern, muss man nicht wissen, ob es Herr X oder Frau Y ist. Aber man muss beispielsweise dem Handy Nr. 365 oder dem Handy Nr. 728 eine Information geben können – unter Gewährleistung der Anonymität des Handy-Besitzers. So könnten wir Menschen auseinanderhalten.
Jan Vontobel: Das funktioniert jedoch nur, wenn ein grosser Teil der Bevölkerung so eine App installiert hat. Und vor allem auch, wenn die Bevölkerung darauf vertraut, dass die Daten wirklich anonym weitergegeben werden. Es gibt natürlich Ansätze wie confidental computing, wo auch eine Schweizer Firma in der App-Entwicklung ist. Auch Ubique, die die SBB macht, ist da dran. Aber wenn die Leute dem nicht vertrauen, werden sie so eine App kaum freiwillig installieren.
Beat Glogger: Darum ist es wichtig, dass diejenigen, die das propagieren, völlig transparent kommunizieren. Wir haben von der Swisscom gehört, dass sie gemeinsam mit dem Bundesamt für Gesundheit einen Pilotgang machen, bei welchem sie aufgrund der Handydaten sehen, ob sich die Menschen an die Regeln halten – also ob sie zu Hause bleiben oder lange Distanzen zurücklegen. Und dort muss man sagen: Wie lange machen sie das? Was passiert mit den Daten? Wo werden die Daten gespeichert? Was für Daten sind es? Da ist nur mit absolut maximaler Transparenz das Vertrauen der Bevölkerung gewonnen.
Jan Vontobel: Genau das wird nicht gemacht bei dieser Swisscom-Lösung. Man hat die Verordnung nicht veröffentlicht. Wir haben auch versucht, die Swisscom für ein Interview in dieser Sendung zu motivieren. Doch man hat uns gesagt, dass man nicht detailliert in so einer Sendung Auskunft geben würde, an so einem Gespräch möchte man nicht teilnehmen. Das heisst, wir haben hier ein gewisses Problem.
Beat Glogger: Ich finde auch, es dürfte deutlicher und transparenter gehen. Wenn ich von Daniel Koch höre, dass ein einziger Mensch im Bundesamt für Gesundheit auf diese Daten Zugriff hat, weiss ich nicht, ob das mein Vertrauen fördert. Hier wäre die radikale Transparenz die bessere Strategie, wenn ich das als Kommunikator einwerfen darf.
Jan Vontobel: Bei dieser Lösung des Bundes mit der Swisscom sei es ja offenbar so, dass die Daten 24 Stunden zeitversetzt übermittelt werden. Dass auch das ganze anonymisiert wird, wie sie sagen – nachprüfen kann man das nicht. Aber so sähe man, wie gross der Bewegungsradius der Menschen ist und wie viele Leute in einer Handyzelle eingeloggt sind. Wir haben noch einen weiteren Gast in der Leitung: Beat Fischer von der Intervista AG.
Herr Fischer, sie haben schon vor längerer Zeit ein Projekt gestartet, bei welchem man die Bewegungsradien der Menschen überwachen und auswerten kann. Wie haben sie es mit dem Datenschutz gemacht?
Beat Fischer: Wir haben ein Panel von Menschen aufgebaut, die wir immer wieder informiert haben, wie wir sie aufzeichnen und wo sie sich in ihrem Alltag bewegen. Und dass wir diese Daten zu Forschungszwecken nutzen. Also zum Beispiel, um herauszufinden, wie sich das Mobilitätsverhalten der Menschen verändert. Dieses Panel umfasst 3000 Menschen, die bereit sind, ihre Daten zu teilen und incentiviert werden.
Jan Vontobel: Incentiviert heisst, sie werden dafür bezahlt.
Beat Fischer: Genau, sie bekommen als kleines Dankeschön eine Prämie, die sie dann für einen Gutschein einlösen können.
Jan Vontobel: Dieses Projekt wurde schon früher gestartet, hat man also nicht für die Corona-Krise gemacht. Gegen Ende 2018.
Beat Fischer: Ganz genau. Der Hintergrund war, die Mobilität in der Schweiz zu erforschen. Aber beispielsweise auch für Plakat-Forschung: Welche Menschen kommen an Plakaten vorbei? Um welche Uhrzeiten? Nun können wir es aber natürlich auch nutzen, um zu sehen, wie sich das Verhalten der Menschen durch die Epidemie verändert hat. Zum Beispiel, wie sich die zurückgelegten Tagesdistanzen verändern.
Jan Vontobel: Beat Glogger, sind solche Informationen wichtig?
Beat Glogger: Ich finde die Informationen wichtig, hätte aber noch eine Frage an Beat Fischer. Es sind jetzt 3000 Menschen. Ich wage zu bezweifeln, dass dies eine repräsentative Auswahl ist. Es sind 3000 Menschen, die Handys haben, technologieaffin sind, Vertrauen in diese Technologie haben und vielleicht auch mehr Vertrauen in behördliche Massnahmen haben. Das dürfte das Panel einigermassen verzerren.
Beat Fischer: Wir haben das Panel mit Personen im Alter von 15 bis 79 rekrutiert. Wir haben also keine Personen, die älter als 80 und jünger als 15 sind. Das ist repräsentativ für die Grundgesamtheit. Durch die Datenteilbereitschaft ist es sicher möglich, dass es eine kleine Verzerrung gibt. Man muss aber sehen, dass wir in diesem Zusammenhang nicht spezifisch rekrutiert haben. Wir haben den generellen Zweck, Mobilitätsverhalten zu erforschen. Von daher gehen wir davon aus, dass das Vertrauen in behördliche Massnahmen keinen Einfluss hat. Auch wenn wir das nicht ausschliessen können, das ist so.
Jan Vontobel: Und wie kann man nun die Massnahmen des Bundes bewerten? Merkt man da deutliche Änderungen im Bewegungsprofil der Menschen?
Beat Fischer: Ja, man sieht sehr grosse Unterschiede. Die durchschnittliche Tagesdistanz, die jemand zurücklegt, war im Februar bei 40 Kilometern. Nach den Massnahmen am 16. März ist das stark zurückgegangen, wir sind heute bei rund 17 Kilometern pro Tag, die ein durchschnittlicher Schweizer pro Tag zurücklegt.
Jan Vontobel: Und man sieht auch deutlich, wie gut das Wetter ist. An einem sonnigen Samstag, als man wusste, dass es am Sonntag wieder schlechter wird, haben sich die Leute mehr bewegt.
Beat Fischer: Genau, Wetter hat einen starken Einfluss. Aber auch die Werktage. Es gibt ja immer noch Personen, die pendeln und physisch bei der Arbeit sein müssen. Da sieht man bei den Erwerbstätigen klar, dass sie von Montag bis Freitag mehr unterwegs sind. Was auch tendenziell mehr Männer sind. Zwischen 30 und 65.
Beat Glogger: Auffallend ist auch der Sonntag, 22. März, an dem jede Generation nicht mehr unterwegs war. War das ein Wetter-Effekt oder ein erster Schock der harten Massnahmen? Denn seither steigen die Tagesdistanzen wieder kontinuierlich.
Beat Fischer: An Sonntagen sind die meisten Lebensmittelgeschäfte zu, an diesem Wochentag hat man generell wenig Mobilität, die damit zusammenhängt, Artikel des täglichen Lebens zu beschaffen. Und man hat auch keine Pendler, die an ihre Arbeitsstätte gehen.
Jan Vontobel: Man sieht also nicht, dass sich die Menschen je länger desto weniger an die Massnahmen halten?
Beat Fischer: Das würde ich daraus nicht lesen. Wir haben in dieser Woche einen leicht steigenden Trend, der mit dem schönen Wetter zusammenhängen kann. Weil dann vielleicht auch wieder einmal ein längerer Spaziergang drin liegt, der nicht unbedingt mit anderen Menschen stattfinden muss und negativ zu bewerten ist.
Jan Vontobel: Hatten Sie nun auch mit dem Bundesamt für Gesundheit Kontakt? Werden die Daten auch dort ausgewertet oder verlässt sich das BAG einzig auf die Swisscom?
Beat Fischer: Wir hatten bis jetzt keinen direkten Kontakt mit dem BAG. Unsere Daten sind öffentlich verfügbar. Wir machen das im Auftrag des Statistischen Amtes des Kantons Zürich und der ETH Zürich. Ob das BAG auch auf diese Daten zugreift, wissen wir nicht.
Jan Vontobel: Gibt es mit dieser Lösung auch die Möglichkeit, mehr Daten herauszulesen? Dass man auch wirklich sieht, mit welchen Menschen man Kontakt hatte, ob zwei Menschen näheren Kontakt hatten? Dass man die App einfach auf eine breitere Basis stellen könnte statt nur auf die 3000 Menschen?
Beat Fischer: Grundsätzlich könnten mehr Leute die App herunterladen. Unser Ansatz basiert aber auf einer Stichprobe, bei der wir sehr sauber über die ganze Schweiz erfassen möchten, wie sich die Menschen bewegen. Wir möchten nicht sehr viele Leute, die zum Beispiel ihr Verhalten anpassen und auch belegen wollen, dass sie ihr Verhalten anpassen. Unser App erfasst keine Kontakte. Contact Tracing wie in Singapur machen wir nicht. Für das ist auch die Stichprobe der 3000 Menschen zu klein. Von daher ist es nicht unsere App, die das Contact Tracing abdecken kann.
Beat Glogger: Wie sehen Sie die Landesteile, Herr Fischer? Man weiss von der Westschweiz, die fordert, dass sich die Deutschschweiz disziplinierter an die Empfehlungen hält, zu Hause zu bleiben. Halten sich die Westschweizer tatsächlich besser daran?
Beat Fischer: Diesen Aspekt haben wir nicht direkt in unseren Daten. Wir haben aber gesehen, dass West- und Deutschschweizer auf einem ähnlichen Niveau der zurückgelegten Distanzen sind.
Jan Vontobel: Wir haben gehört, was in der Schweiz momentan gemacht wird. Es sind gewisse Apps in der Pipeline. Aber man geht viel weniger weit als beispielsweise in Asien. Ist es dann überhaupt sinnvoll, für die Bekämpfung der Corona-Krise solche Ansätze zu verfolgen?
Beat Glogger: Ich finde es absolut sinnvoll, wenn es vor allem darum geht, zu überprüfen, wie die Massnahmen des Bundesrates umgesetzt werden. Also dass man möglichst zu Hause bleibt, möglichst wenige Menschen trifft und möglichst keine unnötigen Wege auf sich nimmt. Das kann – sofern die 3000 Menschen repräsentativ sind – ein taugliches Mittel sein. Aber wenn es darum geht, die Spuren der Epidemie zu verfolgen und Gefährdungsherde zu isolieren, ist es noch nicht das, was wir brauchen.
Das App in Singapur, welches übrigens open source angeboten werden soll, damit andere Entwickler es übernehmen können, geht da weiter. Es sieht eine Art roten Knopf vor: Jeder, der positiv getestet wurde, müsste diesen roten Knopf drücken. Dadurch erfährt das Handy Nr. XY-365, dass es einem positiv Getesteten gehört. Dann wird es ein interessanter Kontakt. Dies setzt jedoch noch mehr Bereitschaft der Menschen voraus. Nämlich, dass sie nach einem positiven Test den Knopf dann auch wirklich drücken. Epidemiologisch ist das absolut sinnvoll. Aber ich weiss nicht, ob das funktioniert, wenn man die Psychologie eines Mitteleuropäers anschaut. Es wird sich zeigen.
Jan Vontobel: Das ist natürlich wieder ein trade off, den man machen muss. Wie viel ist man bereit, von sich persönlich bekannt zu geben? Wie hoch ist der wirtschaftliche Schaden, wenn man diese Dinge nicht bekanntgibt und die Lockdown-Massnahmen länger in Kraft bleiben müssen? Wie gross ist der gesundheitliche Schaden, wenn man die Massnahmen lockert, ohne solche Apps? Im Endeffekt muss das auch die Politik entscheiden.
Beat Glogger: Die Politik muss entscheiden, jedoch nicht basierend auf politischen Argumenten. Es wird immer wieder die berühmte Coiffeuse genannt, die wegen des Lockdowns ihren Salon schliessen musste. Die hat natürlich ein Interesse daran, ihren Salon wieder zu öffnen. Aber sie hat kein Interesse daran, dass infizierte Menschen zu ihr kommen. Wenn man beidseitig – also für Kunde und Coiffeuse – ein Vertrauen schaffen kann, dann ist so etwas umsetzbar. Aber das hat dann mit Parteipolitik überhaupt nichts zu tun. Sondern damit, dass die Leute die Massnahmen akzeptieren, weil sie ihnen eben nutzen.
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