Das musst du wissen

  • Auf Youtube finden sich etwa halb so viele unwissenschaftliche Videos wie wissenschaftliche, wenn es ums Klima geht.
  • Dies hat eine neue Studie ergeben, die 200 Videos und verschiedene Suchbegriffe untersucht hat.
  • Besonders präsent ist in den Videos die sogenannte Chemtrails-Verschwörungstheorie.

Sucht jemand auf YouTube nach Begriffen zum Thema Klima, repräsentiert mehr als die Hälfte (53,5%) der gefundenen Videos eine nicht wissenschaftliche Sicht. Dies zeigt eine neue Studie, die 200 Videos und 10 englische Suchbegriffe untersucht hat.

Der Autor der Studie, Joachim Allgaier vom Lehrstuhl für Technik und Gesellschaft an der RWTH Universität in Aachen, stellt in einer Medienmitteilung fest: «Es ist alarmierend, dass die Mehrheit der Videos Verschwörungstheorien über Klimawissenschaften und -technologien verbreitet.» Alarmierend ist dies, weil fast zwei Milliarden Benutzer YouTube mindestens einmal im Monat besuchen und gemäss Untersuchungen den Videokanal als eine Lernplattform für Wissenschaft, Gesundheit und Technologie sehen.

Verschwörungstheoretiker

Allgaier beschäftigt sich schwerpunktmässig mit Wissenschaftskommunikation. Um die YouTube-Suchergebnisse für wissenschaftliche Informationen über den Klimawandel zu prüfen, hat er ein Anonymisierungstool namens TOR verwendet. Dies, damit nicht eine Personalisierung des Suchalgorithmus die Ergebnisse verfälscht, beziehungsweise um das zu sehen, was ein durchschnittlicher User sieht. Denn wie er sagt: «Bisher hat sich die Forschung auf die am häufigsten gesehenen Videos konzentriert und deren wissenschaftliche Genauigkeit überprüft. Das sagt aber nicht, was ein durchschnittlicher Internetnutzer finden wird, da die Ergebnisse von früheren Such- und Beobachtungsgeschichten beeinflusst werden.»

Die untersuchten Videos

Die untersuchten Begriffe waren: Climate, Chemtrail, Climate Change, Climate Engineering, Climate Hacking, Climate Manipulation, Climate Modification, Climate Science, Geoengineering und Global Warming.

Das älteste Video der Stichprobe wurde im 2008 hochgeladen. Das aktuellste in der Stichprobe enthaltene Video wurde im Oktober 2018 hochgeladen. Die Länge der Videos lag zwischen 37 Sekunden zwei Stunden und vier Minuten. Neunzig der 200 Videos waren über zehn Minuten lang. Knapp 50 der Videos hatten über 100 000 Views, sieben sogar über eine Million. Wobei sich die drei meistgesehenen den Chemtrails widmeten und gleich viele von positionellen TV-Stationen stammten. Das meistgesehene war mit 4,9 Millionen Views «Last Week Tonight» mit John Oliver auf dem Sender HBO. Die Pseudodokumentation «What in the World are they spraying?» hatte 1,6 Millionen Zuschauer.

frontiers

Bei der Auswertung der Videos stellte Allgaier fest, dass die Mehrheit dieser Videos nicht dem weltweiten wissenschaftlichen Konsens, wie er vom Weltklimarat IPCC dargestellt wird, entspricht. Es werden Falschaussagen zur Rolle des Kohlendioxids in der Atmosphäre verbreitet.

Sogar der Gehalt des CO₂ wird falsch beziffert, weil viele Videos schon recht alt sind und der aktuellen Entwicklung hinterherhinken. Auch wissenschaftlich völlig unbestrittene Sachverhalte wie der Treibhauseffekt werden als «Theorie» und als unbewiesen verunglimpft.

Fast die Hälfte (45,5%) der gefundenen Videos propagierten die so genannte «Chemtrails»-Verschwörungstheorie, also den Glauben, dass die Kondensstreifen von Flugzeugen gezielt mit Schadstoffen angereichert sind, um das Wetter zu verändern, menschliche Populationen zu kontrollieren oder für biologische oder chemische Kriegsführung. Jedoch gibt es für ein so gross angelegtes geheimes atmosphärisches Sprühprogramm keinerlei Beweise.

Die Videos, welche sich auf wissenschaftlicher Grundlage mit der Klima-Thematik befassen, waren in der Stichprobe weniger häufig (44,5%) zu finden als Chemtrails-Videos.

An Beachtung erreichten die Chemtrails-Videos praktisch gleich viel wie die wissenschaftlich fundierten Videos: 16 939 655 Views für Fake News gegenüber deren 17 356 345 bei der Wissenschaft.

Allerdings ist unter den untersuchten Begriffen auch das Suchwort «Chemtrails», welches zwangsläufig zu vielen Videos von Verschwörungstheoretikern führen muss.

Die Wahl der Begriffe sowie die gleich verteilte Anzahl untersuchter Videos unabhängig vom Suchgegenstand, relativiert die Ergebnisse leicht.

Geo-Engineering als Begriff gekapert

Alarmierend ist gemäss Allgaier auch, dass die Verschwörungstheoretiker einige relativ neue wissenschaftliche Begriffe «entführt» haben, indem sie sie dazu verwendeten, ihre Weltanschauung einer globalen Verschwörung zu beschreiben. Tatsächlich raten «Chemtrailer» ihren Anhängern ausdrücklich, wissenschaftliche Begriffe in ihren Inhalten zu verwenden, so dass sie nicht sofort als Verschwörungstheoretiker identifiziert werden.

Ein solcher Begriff ist «Geo-Engineering». Er beschreibt innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft Technologien, die das Potenzial haben, mit den schwerwiegenden Folgen des Klimawandels umzugehen. Zum Beispiel die Beseitigung von Treibhausgasen aus der Atmosphäre, das Management der Sonneneinstrahlung oder die massive Aufforstung zur Aufnahme von Kohlendioxid.

Wer jedoch auf YouTube nach «Geo-Engineering» sucht, wird keine Informationen zu diesen Themen finden, wie sie von Wissenschaftlern und Ingenieuren diskutiert werden. Stattdessen führt die Suche nach diesen Begriffen zu Videos, die den Nutzer völlig unwissenschaftlichen Inhalten aussetzen.

Allgaier hinterfragt auch YouTube-Suchalgorithmen: Lenkt das Geschäftsmodell des Videokanals den Traffic auf Videos mit zweifelhaften wissenschaftlichen Inhalten? Er fand einige Verschwörungsvideos, die monetarisiert werden, indem Werbung geschaltet oder Waren mit verschwörungstheoretischen Motiven verkauft werden.

«Die Funktionsweise der YouTube-Suchalgorithmen ist nicht sehr transparent. Wir sollten uns bewusst sein, dass diese mächtige künstliche Intelligenz bereits Entscheidungen für uns trifft, zum Beispiel, wenn Sie sich für die Verwendung von «Auto-Play» entscheiden. Ich denke, YouTube sollte die Verantwortung dafür übernehmen, dass seine Nutzer qualitativ hochwertige Informationen finden, wenn sie nach wissenschaftlichen und biomedizinischen Begriffen suchen, anstatt zweifelhaften Verschwörungsvideos ausgesetzt zu sein», argumentiert Allgaier.

Wissenschaftler und YouTuber sollen sich zusammenschliessen

Um den nicht-wissenschaftlichen Inhalten auf YouTube entgegenzuwirken, schlägt Allgaier, der kürzlich auf der Weltkonferenz der Wissenschaftsjournalisten über seine Arbeit sprach, vor, dass Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren YouTube als Plattform für den Austausch wissenschaftlicher Informationen ernst nehmen sollten.

«YouTube hat eine enorme Reichweite als Informationskanal, und einige der populärwissenschaftlichen YouTuber leisten hervorragende Arbeit bei der Kommunikation komplexer Themen und erreichen neue Zielgruppen. Wissenschaftler könnten Allianzen mit Wissenschaftskommunikatoren, Politikern und Vertretern der Populärkultur bilden, um ein möglichst breites Publikum zu erreichen. Sie sollten öffentlich über ihre Forschung sprechen und transparent sein, um vertrauensvolle Beziehungen zu Bürgern und Gesellschaft aufrechtzuerhalten.»

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