Die Klimakrise beschäftigt die Gerichte erst seit der Jahrtausendwende häufiger, auch wenn die ersten Klimaklagen bereits in den 1980er- und 1990er-Jahren eingereicht wurden. «In den Anfängen ging es vor allem um den Anstieg des Meeresspiegels», sagt der Rechtsanwalt Andreas Hösli, der an der Universität Zürich promoviert. «Diese Klagen wurden in den allermeisten Fällen abgewiesen.» Lange beschränkten sich solche Klagen ausserdem hauptsächlich auf die Vereinigten Staaten und schliesslich immerhin den angelsächsischen Raum – selbst dann noch, als weitere Konsequenzen der Erwärmung Gegenstand der Verhandlungen wurden. Erfolge konnten kaum verzeichnet werden.

Schadenersatz und Menschenrechte

Seit einigen Jahren hat die Zahl der Fälle deutlich zugenommen. Die Prozesse beschäftigen zunehmend auch die Gerichte kontinentaleuropäischer Länder wie Deutschland, Portugal oder der Schweiz. Und es geht nicht nur um Schadenersatzforderungen oder Umsiedlungen, sondern immer öfter auch um Menschenrechte allgemein. Zudem würden sich die Klagen heute auch gegen Private und nicht mehr nur gegen Staaten richten, sagt Hösli, der die rechtliche Verantwortung von Unternehmen im globalen Klimawandel erforscht. Neu findet dieser sogar Eingang in finanzmarktrechtliche Auseinandersetzungen: Aktionärinnen und Aktionäre werfen Unternehmen dabei zum Beispiel vor, zu wenig über Klimarisiken und deren finanzielle Folgen informiert zu haben.

Gleich mehrere Klimaklagen können derzeit bemerkenswerte Erfolge und Etappensiege verzeichnen: So wurde etwa 2019 die Klage der NGO Urgenda gegen die Niederlande gutgeheissen: Zum ersten Mal wurde damit ein Land gerichtlich verpflichtet, seine Klimaziele im Einklang mit internationalen Verpflichtungen einzuhalten. Das deutsche Bundesverfassungsgericht kam zudem im Frühjahr 2021 zum Schluss, dass Massnahmen zum Klimaschutz unzulässig in die Zukunft verlagert würden, und verpflichtete den Gesetzgeber zu Nachbesserungen am Gesetz. Und mit Royal Dutch Shell wurde, wiederum in den Niederlanden, erstmals ein Unternehmen gerichtlich aufgefordert, seine Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren. Es folgen einige der wichtigsten Klimaklagen der vergangenen Jahre.

1 — Peruanischer Bauer verklagt deutschen Energiegiganten

Wenn sich da mal nicht jemand schon die Filmrechte gesichert hat: 2015 forderte der peruanische Bauer Saúl Lliuya den börsenkotierten Konzern RWE dazu auf, finanziell zu Schutzbauten für sein Haus am Fuss der Anden beizutragen. Es sei akut von einer Gletscherflut bedroht; ohne die notwendigen Massnahmen würde es schwer beschädigt oder zerstört.

Da die Gletscher mit grosser Sicherheit als Folge der menschgemachten Erwärmung schneller abschmelzen würden und die deutsche RWE mit ihren Treibhausgasemissionen diese mitverursacht habe, solle sie nun auch anteilsmässig für damit zusammenhängende Schäden aufkommen, argumentierte Lliuya. Er verlangte einen Betrag von rund 17 000 Euro. Der Fall ist einzigartig in Europa: Zum ersten Mal wird von einer Privatperson Schadenersatz im Zusammenhang mit der Klimakrise gefordert. Das Landesgericht Essen wies die Klage im Dezember 2016 ab: Einzelne Schäden könnten nicht ihren Verursachenden individuell zugeordnet werden, dazu sei die Kausalkette zu diffus und zu komplex.

Zum ersten Mal wird von einer Privatperson Schadenersatz im Zusammenhang mit der Klimakrise gefordert.

Anders sah dies das Oberlandesgericht Hamm: Eine Haftung könne nicht allein deshalb ausgeschlossen werden, weil eine Vielzahl von Verursachenden zur Erwärmung beigetragen habe – vielmehr trügen alle eine anteilsmässige Verantwortung. Das Gericht hat nun eine Beweisaufnahme vor Ort in Peru angefordert, die sich offenbar wegen der Corona-Pandemie verzögert.

Doch auch wenn ein Urteil noch aussteht, – sehr bemerkenswert sei alleine schon die Feststellung des Gerichts, sagt Rechtsanwalt Andreas Hösli. Obwohl die gesetzlichen Grundlagen seit Jahrzehnten dieselben seien, dürfte der Fall heute eine deutlich grössere Chance auf Erfolg haben. Die geringe Schadenersatzsumme dürfe keinesfalls darüber hinwegtäuschen, welch enorme Konsequenzen ein Sieg Lliuyas für den Energiekonzern RWE und andere Unternehmen hätte, sagt Hösli.

2 — Shell muss Treibhausgasausstoss reduzieren

Einen massgeblichen Schritt weiter als der Fall RWE ist eine Klage gegen Shell: Im Mai 2021 hat das Bezirksgericht Den Haag den Energiekonzern dazu verpflichtet, seinen Kohlendioxidausstoss drastisch zu senken, sowohl bei den direkten als auch bei den indirekten Emissionen. Zum ersten Mal überhaupt wird damit eine derartige Klage gegen ein Unternehmen gutgeheissen: Royal Dutch Shell habe sich öffentlich zum Pariser Abkommen bekannt, investiere aber weiterhin massiv in die Förderung von Erdöl und Gas und lobbyiere zudem seit Jahrzehnten gegen Massnahmen zum Klimaschutz, werfen mehrere NGOs sowie über 17 000 von der niederländischen Umweltorganisation Milieudefensie vertretene Personen dem Konzern vor.

Shell müsse seinen Teil dazu beitragen, dass anerkannte Ziele wie das Pariser Klimaabkommen erreicht werden könnten und die Welt eine Chance habe auf einen besseren Klimaschutz. Aussergewöhnlich an dem Fall sei, dass es nicht um Schadenersatz gehe, sondern um die Reduktion von Treibhausgasemissionen – die wiederum eine Neuausrichtung der Konzernstrategie bedinge, sagt Rechtsforscher Andreas Hösli.

Ob die Forderung aus der Klage dereinst tatsächlich umgesetzt werde, stehe noch in den Sternen.

Unternehmen seien nicht auf dieselbe Weise wie Staaten an die Grundrechte und an das Pariser Klimaabkommen gebunden, deswegen habe sich das Gericht nicht direkt auf internationale Vorgaben berufen, sondern sei auf anderem Weg zu seinem Urteil gelangt: Es stützte sich auf eine im niederländischen Zivilgesetzbuch festgehaltene Sorgfaltspflicht – und zog erst zu deren Auslegung internationale Richtlinien bei. So konnte dem nationalen Gesetz zu mehr Durchschlagkraft verholfen werden, wie Hösli erklärt.

Ob die Forderung aus der Klage dereinst tatsächlich umgesetzt werde, stehe noch in den Sternen – nicht nur, weil das Urteil erst in erster Instanz gefällt sei. «Der grösste Teil der zu reduzierenden Emissionen fällt nicht direkt bei der Förderung von Erdöl und Erdgas an, sondern bei der Benutzung von Autos oder Flugzeugen durch die Endkunden», gibt Hösli zu bedenken. «Wer für diese indirekten Emissionen die rechtliche Verantwortung trägt, wird im weiteren Verlauf des Verfahrens wohl ein Hauptstreitpunkt sein.»

Gerichte sind bei Klimaklagen in einer schwierigen Lage und müssen gut abwägen, wie weit sie gehen können.

3 — Junge fordern von 33 europäischen Ländern mehr Einsatz für die Menschenrechte

Klimaklagen beschäftigen seit einiger Zeit auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Wo der Staat zu wenig gegen die Klimakrise tue, so der Kern dieser Beschwerden, komme er seiner Schutzpflicht gegenüber der Bevölkerung nicht nach und verletze die Grundrechte. Der erste Fall kommt von der Gruppe Climate Justice. Die jungen Mitglieder werfen Portugal und 32 weiteren Mitgliedstaaten des Europarats vor, dass die Auswirkungen der Erwärmung wie etwa Waldbrände das Recht auf Leben gemäss der Europäischen Menschenrechtskonvention bedrohten. Gefährdet sei zudem ihr Recht auf Privat- und Familienleben: Hitzewellen zwängen sie dazu, mehr Zeit drinnen zu verbringen, was sich negativ auf ihr Wohlbefinden auswirke.

«98 Prozent solcher Fälle, die nach Strassburg weitergezogen werden, werden dem Gerichtshof gar nicht erst zugestellt», sagt Helen Keller, Rechtsprofessorin an der Universität Zürich und früher Richterin am EGMR. «Dass der Fall diese Schwelle genommen hat, ist schon einmal beeindruckend.» Doch könnte die Beschwerde bereits an der zweiten Hürde scheitern: Eine Klage muss den Weg durch alle nationalen Instanzen gemacht haben, bevor der Gerichtshof in Strassburg auf die Beschwerde eintreten kann.

Waldbrände bedrohten das Recht auf Privatleben und auf Leben überhaupt.

Es müssten also erst die Urteile der Amts-, Bezirks-, Ober- und Bundesgerichte von 33 Staaten vorliegen. Und selbst dann bleibe die entscheidende Frage nach der besonderen Betroffenheit: Können die Klagenden wirklich geltend machen, dass der Klimawandel sie als Junge mehr bedroht als andere? «Da haben sich die Beschwerdeführenden wohl etwas übernommen.» Eine zweite und ähnliche Klimaklage in Strassburg kommt aus der Schweiz. Die Klimaseniorinnen hatten 2016 vor den nationalen Gerichten erfolglos eine politische Kurskorrektur gefordert. Es fehle den Beschwerdeführerinnen an der besonderen Betroffenheit, befand das Bundesgericht unter anderem. «Es macht es sich da zu leicht», kritisiert Keller. Hitzewellen bedeuteten für ältere Frauen durchaus ein erhöhtes Gesundheitsrisiko.

Die Beweisführung, dass die Schweiz zu wenig tue, dürfte trotzdem schwierig werden. Die grössten Chancen hätte der Verein wohl, wenn er auf ungenügenden Zugang zu einem Gericht plädieren und vom Bundesgericht eine Revision verlangen würde. Das hat aber wenig mit dem Inhalt der Klage zu tun, und vermutlich würden sich die Seniorinnen das anders wünschen. «Doch der Appell, sich solche Klimaklagen sorgfältiger anzusehen und nicht einfach abzuschmettern, wäre über die Schweiz hinaus ein wichtiges Signal.»

4 — Unbewilligte Tennispartie in Bankfiliale mit strafrechtlichen Konsequenzen

Die Schweizer Klimaaktivistinnen und -aktivisten wussten wahrscheinlich, dass ihre Aktion strafrechtliche Konsequenzen haben könnte: Sie hatten im November 2018 in einer Filiale der Credit Suisse, teilweise als Roger Federer verkleidet, eine Partie Tennis gespielt. Sie wollten damit auf die Investitionen der Grossbank in fossile Energien aufmerksam machen. Hat die Gruppe damit tatsächlich unrechtmässig gehandelt? Nein, befand das Bezirksgericht Lausanne und sprach sie vom Hausfriedensbruch und Widerstand gegen polizeiliche Anordnungen frei – unter Berufung auf den sogenannten rechtfertigenden Notstand: Wer eine Straftat begehe, um sich selbst oder andere vor einer unmittelbaren Gefahr zu retten, die sich nicht anders abwenden lasse, handle rechtmässig.

Sowohl das Kantonsgericht Waadt als auch das Bundesgericht kamen zu einem anderen Urteil: Unmittelbar bedeute in diesem Rahmen, dass eine Gefahr innerhalb von Minuten oder Stunden eintrete. Es sei im vorliegenden Fall nicht über die Dringlichkeit der Klimaerwärmung als solche zu befinden – sondern einzig darüber, ob diese Gefahr im Sinn des rechtfertigenden Notstandes dringlich sei.

Wer eine Straftat begehe, um sich selbst oder andere vor einer unmittelbaren Gefahr zu retten, die sich nicht anders abwenden lasse, handle rechtmässig.

Die lehrbuchgetreue Auslegung ist für Astrid Epiney, Rechtsprofessorin an der Universität Freiburg, in diesem Fall wichtig. «Sonst ist es eine Frage der Zeit, bis jemand mit demselben Argument einen Migrationsnotstand oder sonst irgendeinen Notstand geltend macht und ebenfalls Straffreiheit verlangt.» Keineswegs solle damit die Bedeutung der Klimakrise geschmälert werden, betont die Rektorin der Hochschule, die sich seit Jahrzehnten mit Umweltrecht beschäftigt. Anwalt Andreas Hösli hingegen bedauert die strafrechtlichen Prozesse gegen die Demonstrierenden: Hier werde viel Energie in eine Diskussion investiert, die von der eigentlichen Problematik ablenke.

Auch dieser Fall soll offenbar nach Strassburg weitergezogen werden, wie Helen Keller weiss. «Gehör finden dürften die Angeklagten dort aber vermutlich nur, wenn sie auf ihre Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit plädierten.» Der Gerichtshof legt bei der Einschränkung dieser Rechte einen strengen Massstab an und betont, dass auch nicht bewilligte Versammlungen grundrechtlich geschützt sind, solange sie keinen Schaden anrichten. Dazu müsste die Gruppe diese Rechte jedoch bereits vor den nationalen Gerichten geltend gemacht haben.

Können Firmen vor Gericht wegen Klimasünden zur Verantwortung gezogen werden?

5 — Kunde erzielt Vergleich mit australischem Pensionsfonds

Keine NGO war hier Klägerin, keine Klimaaktivistin wollte sich den australischen Pensionsfonds vorknöpfen – die Beschwerde kam von einem, der seit Jahren in den Fonds einbezahlte: Der damals 23-jährige Mark McVeigh warf Retail Employees Superannuation Trust (REST) 2018 vor, ihn als Begünstigten unzureichend über die Risiken der Klimakrise informiert und keine Strategien zu deren Bewältigung vorgelegt zu haben. REST habe seine Offenlegungs- und Treuepflichten verletzt, denn McVeigh habe sich kein fundiertes Urteil über die finanzielle Lage des Fonds und seine Pension bilden können.
Die beiden Parteien verständigten sich 2020 auf einen Vergleich, wodurch das Gerichtsverfahren beendet wurde. REST bekannte sich dazu, in seinen Investitionen künftig finanzielle Risiken im Zusammenhang mit der Erdewärmung zu berücksichtigen und zu kommunizieren und setzte sich die CO₂-Netto-Null-Transformation bis 2050 zum Ziel.

Zwar geht es auch hier um den Klimawandel – doch die Argumentation verfolgt einen ganz anderen Ansatz.

Spannend sei an diesem Fall, dass er nicht von aussen an den Fonds herangetragen worden sei, sondern von einem Begünstigten komme, sagt Andreas Hösli. «Zwar geht es auch hier um den Klimawandel – doch die Argumentation verfolgt einen ganz anderen Ansatz.» Eine Kausalität sei aber grundsätzlich auch in finanzmarktrechtlichen Auseinandersetzungen schwer nachzuweisen. Inwiefern ungenügende Informationen also tatsächlich für finanzielle Verluste verantwortlich gemacht werden könnten, lasse sich kaum allgemein beantworten – besonders, wenn die Institution weiterhin profitabel sei.
Spannend ist der Fall für Hösli auch, weil Australien bereits besonders stark vom Klimawandel betroffen sei, sich aber gleichzeitig mit Händen und Füssen gegen notwendige Massnahmen wehre. Der Abbau von Kohle, Eisenerz und weiteren Rohstoffen stellt immer noch einen der finanziell wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes dar.

Horizonte Magazin

Hier sind alle Beiträge aufgeführt, die wir vom Horizonte Magazin übernommen haben. Horizonte berichtet über Neuigkeiten aus der Wissenschaft und erörtert forschungspolitische Fragen von internationaler Bedeutung. Horizonte wird vom Schweizerischen Nationalfonds in Zusammenarbeit mit den Akademien der Wissenschaften Schweiz herausgegeben.
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