Das musst du wissen

  • Dass gezielte Werbung in sozialen Medien wirklich Wahlen und Abstimmungen beeinflussen kann, ist übertrieben.
  • Denn um wirklich Wahlen zu gewinnen, muss man einen sehr grossen Teil der Bevölkerung erreichen.
  • Allerdings dominieren die sozialen Medien immer mehr die öffentliche Debatte – teils geschieht dies durch Bots.

Fabrizio Gilardi


Fabrizio Gilardi ist Professor für Policy-Analyse am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich. Er beschäftigt sich unter anderem mit digitaler Demokratie.

Herr Gilardi, man hört immer wieder, dass man die politischen Ansichten von Menschen durch gezielte Werbung in sozialen Medien beeinflussen kann. Stimmt das?

Ja, das wurde erst letzte Woche wieder mit Bezug auf das Brexit-Votum behauptet. Aber ich glaube, die Aussage, dass gezielte Werbung wirklich Wahlen und Abstimmungen beeinflussen kann, ist übertrieben. Allerdings wäre eine solche Beeinflussung auch nur sehr schwer zu rekonstruieren, denn es gibt kaum zuverlässige Daten. Und wenn, dann hält Facebook die unter Verschluss.

Durch Werbung können aber Indikatoren wie Kommentare, Likes, Erwähnungen und Reichweite, also das sogenannte Engagement, auf Facebook gesteigert werden.

Ja, aber Engagement heisst noch nichts. Das sagt nichts darüber aus, inwieweit die Menschen eine Idee wirklich verinnerlichen und wie sie dann am Ende tatsächlich wählen.

Oft hört man aber auch, Echokammern oder Filterblasen seien meinungsbildend. In ihnen verstärken sich extreme Positionen, weil nur ein enger Teil der Meinungsvielfalt durch den Filter dringt.

Auch der Einfluss solcher Echokammern wird überschätzt – es gibt sie hauptsächlich für Akademiker und Journalisten. Ich bezweifle nicht, dass soziale Medien eine Rolle spielen. Aber um wirklich Wahlen zu gewinnen, muss man einen sehr grossen Teil der Bevölkerung erreichen. Doch im US-Wahlkampf wurden 90 Prozent der Fake News, die Trump vermeintlich geholfen haben sollen, von extremen Rechten gepostet und auch nur von ihnen gelesen. Sie haben also nicht die breite Masse erreicht.

Wenn nicht über Werbung oder Filterblasen, wie können soziale Medien sonst auf unsere politische Meinung Einfluss nehmen?

Es geht darum, den öffentlichen Diskurs mit Hilfe der sozialen Medien zu bestimmen. Und das versuchen Bots. Das sind automatische Computerprogramme, die im Netz aktiv sind und die versuchen, die Richtung der Debatte zu lenken. Wie in den USA, wo die Republikaner im Moment alles mitmachen, was Trump sagt und tut – nur um den Demokraten zu schaden. Eine solche Dynamik kann man verstärken, indem man Debatten polarisiert.

Wie ist denn die Situation in der Schweiz?

Auch hierzulande geht es nicht so sehr darum, das Ergebnis von Wahlen und Abstimmungen gezielt zu beeinflussen. Sondern die sozialen Medien kontrollieren mehr und mehr die öffentliche Debatte. Dagegen verlieren die traditionellen Gatekeeper wie Medien und Parteien immer mehr die Macht, den Diskurs zu bestimmen.

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