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Beim Impfen ist die Schweizer Bevölkerung verglichen mit anderen westeuropäischen Staaten sehr träge. Rund 50 Prozent der hier wohnenden Menschen sind geimpft – wobei die Quote von Kanton zu Kanton sehr unterschiedlich ist. In Zürich sind es über 54 Prozent, in Appenzell Innerrhoden bloss 40 Prozent. Das ist seltsam angesichts der klaren Evidenz, wie gut die Impfung schützt. Vor allem auch angesichts der Tatsache, dass mindestens 80 Prozent der Menschen geimpft sein sollten, um die Pandemie einzudämmen. Besonders unverständlich ist für mich, dass Leute, die gegen die Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie sind, selber nichts tun, um der Pandemie ein Ende zu setzen.
Natürlich kann man niemand zur Impfung zwingen. Jeder Mensch hat das Recht, selbst über seinen Körper zu entscheiden. Aber, wer nicht impft, setzt nicht nur seine eigene Gesundheit aufs Spiel – was wie Rauchen oder eine Risikosportart seine persönliche Sache wäre und mir eigentlich egal sein könnte, aber nicht ist. Denn Nichtgeimpfte geben dem Virus die Chance, länger zu zirkulieren und neue Varianten zu entwickeln. Und sie gefährdet auch Geimpfte, weil die Impfung gegen die neue Variante Delta weniger gut schützt. Ausserdem verursacht jede infizierte Person enormen Kollateralschaden.
Ungeimpfte verursachen Chaos
Beispiele gefällig? In einem Heim für behinderte Menschen im Kanton Zürich. Alle Bewohnenden sind geimpft. Sie gehörten sogar zu den ersten, die man geimpft hat, weil sie besonders vulnerabel sind. Eine einzige Person auf einer Wohngruppe hat die Impfung abgelehnt. Sie vertraut darauf, dass Jesus sie schütze. Doch der Glaube hat ihr nichts genützt, die Person erkrankt an Covid-19. Die Folge: Riesige Aufregung im ganzen Heim, die Angestellten in Schrecken, und für die Bewohnenden wieder ein Besuchsverbot. Das heisst, eine fahrlässige Person erkrankt, viele vernünftige leiden. Das ist Kollateralschaden.
Ähnliches passiert gegenwärtig in Schulklassen und Firmen. Viele Geimpfte haben in den letzten Wochen und Monaten akzeptiert, dass sich einzelne Personen nicht impfen lassen wollen. Haben trotz Impfung im Büro eine Maske getragen. Waren tolerant gegenüber Nichtgeimpften. Weil wir ja empathische Menschen sind und auch immer zu Verständnis und Toleranz aufgerufen werden. Dann erkrankt eine nicht geimpfte Person, und es bricht das Chaos aus – auch wenn streng genommen Geimpfte nicht in die Quarantäne müssten. Aber alle haben Angst ins Büro zu kommen, weil alle wissen, dass die Impfung gegen die Variante Delta weniger gut schützt.
Und Delta ist gefährlicher. Bei der ersten Welle im Frühling 2020 betrug die Wahrscheinlichkeit, dass eine hospitalisierte Person auf der Intensivstation landet, 19 Prozent. Dieser Wert sank in der zweiten Welle auf 13 Prozent, die Leute erkrankten also weniger stark. Aber in der dritten Welle stieg der Anteil der schwerst erkrankten auf 27 Prozent und liegt aktuell bei 23 Prozent. Tendenz steigend.
Impfdurchbrüche – dass also Geimpfte erkranken – sind zwar selten, aber es gibt sie. Die Impfung schützt zu 90 bis 95 Prozent vor einer Infektion, verhindert vor allem einen schweren Verlauf der Krankheit. Bisher wurden 9,4 Millionen Impfdosen verabreicht. Seit dem 24. Januar 2021 kam es in der Schweiz und Liechtenstein bei geimpften Personen zu 861 Infektionen, 136 Spitaleintritten und 25 Todesfällen aufgrund von Covid-19. Aber der eine positive Fall bringt nicht nur Verunsicherung und Angst ins ganze Team, er hat auch direkte wirtschaftliche Folgen. Teams können nicht mehr weiterarbeiten, Projekte geraten ins Stocken.
Geimpfte sind die Leidtragenden
Für solch einen Kollateralschaden braucht es nicht mal eine kranke Person, schon ein positiver Test kann reichen, selbst wenn er sich schliesslich als falsch positiv erweist. Bis zum klaren Testergebnis wollen viele geimpfte Kolleginnen und Kollegen nicht mehr ins Büro kommen, weil sie verunsichert sind.
Der Kollateralschaden kann sogar über mehrere Ecken gehen. Zum Beispiel: Die Tochter eines Arbeitskollegen wollte sich nicht impfen lassen, weil sich die Jugendliche durch Covid-19 nicht bedroht fühlte. Natürlich ist diese Einschätzung falsch. Bisher gab es in der Schweiz über 752 000 bestätigte Infektionen. Das waren entgegen der immer noch kursierenden Meinung nicht nur alte Menschen. Über 70 Prozent der Fälle betrafen unter 40-Jährige. Wenn diese Tochter dann erkrankt, fragten sich alle, ist es zu verantworten, dass der geimpfte Vater in die Firma geht?
Das Resultat ist in allen Beispielen dasselbe: Viele Geimpfte tragen den Schaden, den eine einzige nicht geimpfte Person verursacht.
Hier könnte man einwenden, das ist bei jedem Krankheitsfall so, und auch bei einem Sportunfall. Das stimmt zwar, ist aber ein schlechter Vergleich, weil es so einfach wäre, sich gegen Covid-19 zu schützen. Wer nicht impft, handelt fahrlässig. Vielleicht müsste man Fahrlässigkeit bestrafen, wie bei Sportunfällen. Bei Unfällen in gewissen Risikosportarten behalten sich die Versicherungen eine Kürzung der Leistung vor. Wie wäre das, wenn Ungeimpfte ihre Behandlung selbst bezahlen müssten?
Impfung ist im Sinn der Skeptiker
Aus der Pandemie gibt es nur einen Ausweg: die Impfung. Denn jede nicht geimpfte Person wird früher oder später mit dem Virus in Kontakt kommen. Wer nicht impft, gefährdet nicht nur sich selbst, sondern seine Umgebung, gibt dem Virus die Chance, ansteckendere oder gefährlichere Varianten zu bilden. Und verursacht Kollateralschaden.
Fazit: Sogar die Massnahmenkritiker sollten jetzt schleunigst zum Impfen gehen. Denn je schneller wir das Virus eliminieren, desto schneller können wir die einschränkenden Massnahmen aufheben. Impfung ist also ganz im Sinn der Skeptiker.