Das musst du wissen
- In drei von vier Plastikverpackungen kommen Stoffe vor, die nicht deklariert sind, die aber schädlich sein könnten.
- Sie entstehen ungewollt bei der Kunststoffherstellung oder sind als Verunreinigungen schon im Rohmaterial enthalten.
- Ob diese Stoffe von den Verpackungen aber zum Beispiel in die Lebensmittel wandern, ist unklar.
In Plastikverpackungen kommen über 1000 möglicherweise schädliche Chemikalien vor, von denen man bis her nichts wusste. Zu diesem Ergebnis kommt eine im Fachblatt Environmental Science & Technology erschienene Studie, die 34 verschiedene Kunststoffprodukte untersuchte, darunter Joghurtbecher, Gefrierbeutel, Trink- und Shampooflaschen. In einzelnen Produkten waren mehr als hundert unterschiedliche Chemikalien enthalten. Drei von vier Produkten enthielten Substanzen, die in Labortests schädliche Auswirkungen hatten. Das heisst, sie waren zum Beispiel giftig für Mikroorganismen oder griffen in den Hormonhaushalt von Hefezellen ein. Allerdings können diese Standard-Labortests an Mikroorganismen noch nicht beantworten, ob die Substanzen auch giftig für Menschen sind.
Insgesamt extrahierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter der Leitung des Instituts für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt 1411 Stoffe. Sie konnten aber nur 20 Prozent der Stoffe identifizieren – der Rest ist unbekannt. Dass solche unentdeckten Stoffe aber generell in Kunststoffen enthalten sind, ist bekannt: Bei der Herstellung reagieren die Rohmaterialien miteinander, so dass sich ein stabiler Kunststoff bildet. Bei dieser Reaktion entstehen auch Neben- und Abbauprodukte, deren Zusammensetzung und Wirkung oft nicht klar ist. Ausserdem enthält schon das Ausgangsmaterial unbekannte Verunreinigungen, denn die Reinheit ist eine Frage des Preises.
«Die Forscher haben für alle Produkte eine gemeinsame Methode zur Entfernung von Chemikalien aus der Verpackung gewählt, die in einigen Fällen den Übergang in Lebensmittel überschätzt», sagt Ökotoxikologe Alan Bergmann vom Schweizerischen Oekotoxzentrum, der nicht an der Studie beteiligt war. Die Methode sei zwar legitim, um die untersuchten Kunststoffe zu vergleichen. Aber die Studie berücksichtigt nicht, wie die Substanzen bei normalem Gebrauch in verpackte Lebensmittel übertragen werden. Denn dies hängt von vielen Faktoren ab: Wenn sie über lange Zeit gelagert oder erhitzt werden – beispielsweise beim Abfüllen oder beim Aufwärmen in der Mikrowelle – ist die Gefahr zum Beispiel grösser. Sehr fetthaltige Lebensmittel wiederum erleichtern den Übergang fettlöslicher Chemikalien. Säurehaltige Limonade lösen Stoffe mit anderen speziellen Eigenschaften.
«Unsere Ergebnisse lassen keine direkten Rückschlüsse auf ein mögliches Gesundheitsrisiko zu, da wir die Effekte in Zelltests untersucht und gesehen haben», sagt Studienautorin Lisa Zimmermann. «Aber sie zeigen auf, dass Plastikverpackungen Stoffe enthalten, die wir nicht kennen und von unbekannten Substanzen lassen sich möglichen Auswirkungen auf Organismen nicht bestimmen.»
Die Ergebnisse verdeutlichen ein Dilemma: Gesetzgeber fordern von Verpackungsherstellern, dass ihre Produkte die Gesundheit nicht gefährden dürfen. Nur: Die Hersteller wissen nicht von allen Stoffen, die in ihren Produkten enthalten sind. In der EU zum Beispiel müssten Hersteller zwar eine Risikobewertung für die unbekannten Stoffe durchführen – wie genau das geschehen solle, sei nicht vorgeschrieben, sagt Jane Muncke, Ökotoxikologin und Geschäftsführerin der Stiftung Food Packaging Forum. «Meiner Erfahrung nach machen das einige wenige Hersteller sehr gründlich, andere nicht». Ausserdem würden die Konzentrationen nur abgeschätzt und dabei könnten die Hersteller grob daneben liegen. Auch würde das Risiko nur für einzelne Stoffe bewertet und nicht für Kombinationen: «In vielen Verpackungen kommen aber sehr viele verschiedene Stoffe vor. Welche Wirkung diese Cocktails haben, wird nicht untersucht.»
Die grosse Anzahl unbekannter Substanzen in Kunststoffen, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen, sei tatsächlich ein Problem, sagt Gregor McCombie vom Kantonalen Labor Zürich. Es gebe an die 100 000 relevante unbekannte Substanzen, die in Lebensmitteln wandern könnten – von denen jedoch nur 10 Prozent auf Inhaltslisten auftauchten und nur ein Bruchteil sei durch die EU reguliert und kontrolliert. «Die Industrie müsste sich mehr Mühe geben, um diese unbekannten Stoffe in ihren Produkten zu finden und zu identifizieren», sagt er. Nur dann könne man abschätzen, ob diese Stoffe tatsächlich bestimmte Grenzwerte überschreiten und ob sie ein Gesundheitsproblem darstellten.