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Die Frage meine ich ernst. Denn man soll mit Corona-Skeptikern ja reden, heisst es. Als ich allerdings vor ein paar Wochen gefragt habe, wie sich die Corona-Zweifler den Dialog vorstellen, kam nichts. Als ich mich im Film «Dialog im Krisenjahr» dem Dialog stellte, wurde ich danach geschmäht, beschimpft und bedroht. Konkrete Lösungsvorschläge kamen nicht.

Trotzdem richte ich mich noch einmal direkt an die Corona-Skeptiker. Beziehungsweise die Massnahmen-Skeptiker, wie sie sich ja neuerdings nennen.

Dass Ihr der einschränkenden Massnahmen überdrüssig seid, verstehe ich voll und ganz. Mir stinkt es auch. Dass Ihr vielleicht wütend seid, verstehe ich. Aber warum richtet sich Eure Wut gegen jene, die Euch zu schützen versuchen?

Müsstet Ihr nicht auf jene wütend sein, die zum Beispiel die staatliche Hilfe verzögern – Parlamentarierinnen und Parlamentarier zum Beispiel, die grosszügige Hilfspakete für Selbständigerwerbende ablehnen. Oder gegen Swissmedic, weil dort seit Monaten ein Gesuch von Astrazeneca hängig ist, der Impfstoff also bis heute noch nicht zugelassen ist, obschon in der EU bereits um die sieben Millionen Menschen damit geimpft worden sind.

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Oder gegen den Bundesrat (notabene nicht den aktuellen), weil er vor Jahren entschieden hat, dass die Schweiz keine eigene Impfproduktionsstätte brauche.
Gegen das Bundesamt für Gesundheit, weil das digitale Impfregister trotz Förderung mit mehreren Millionen Franken noch immer nicht richtig funktioniert, geschweige denn europatauglich ist.
Es gibt wahrlich Grund, sich aufzuregen.
Richtet sich also die Corona-skeptische Wut gegen die Falschen? Und neben der Wut: Was fordern die Protestierenden konkret?

Back to normal? Gibt es nicht.

Fakt ist: Das Virus ist da. Es steckt viele Menschen an. Weltweit sind es gemäss Zählung der Johns Hopkins University bisher 135 Millionen (hier hiess es ursprünglich 380. Für den Verschreiber entschuldigen wir uns in aller Form). In der Schweiz 570 000. Wer die Existenz des Virus abstreitet, muss sich gefallen lassen, als Corona-Leugner bezeichnet zu werden.

Fakt ist: Das Virus tötet Menschen. Weltweit sind es 2,9 Millionen. In der Schweiz 9400. Im Durchschnitt sterben weltweit etwa drei von hundert Infizierten, in der Schweiz sind es 1,6 pro hundert Infizierte. Wer das abstreitet, muss sich gefallen lassen, als Corona-Leugner bezeichnet zu werden.

Fakt ist: Das Virus breitet sich aktuell wieder aus. In den meisten Kantonen liegt die Reproduktionszahl momentan über eins. Die dritte Welle rollt an. Wer das abstreitet, muss sich gefallen lassen, als Corona-Leugner bezeichnet zu werden.

Was sind dann die Vorschläge? Lockdown-Stopp sofort.

Okay, spielen wir das mal durch und setzen die Massnahmen sofort aus. Wer übernimmt die Verantwortung, wenn die dritte Welle voll zuschlägt? Wenn Corona nun nicht mehr die über Achtzigährigen tötet – die sind jetzt ja durch die Impfung geschützt – sondern die Sechzig- bis Achtzigjährigen. Natürlich werden es prozentual weniger sein als bisher. Aber weil sich das Virus nun ungehindert ausbreitet, gibt es mehr Infizierte und im Endeffekt doch mehr Tote. Weil eben ein ansteckenderes Virus viel gefährlicher ist als ein tödlicheres.

Wer diese epidemiologischen Zusammenhänge abstreitet, muss sich gefallen lassen, als Corona-Leugner bezeichnet zu werden.

Aber das wollen die Massnahmenskeptiker nicht. Darum also nochmals die Frage: Wie sieht Eure Lösung aus? Und vor allem: Wer übernimmt die Verantwortung, wenn es dann entgegen Euren Erwartungen doch schief geht?

Für die Frage der Verantwortung möchte ich Euch gerne den Verantwortungs-Knopf in die Hand geben.

Ein grosser roter Knopf, wie der Buzzer in der Casting-Show, oder der Atomknopf des amerikanischen Präsidenten. Diesen Knopf drückt Ihr, wenn Ihr die Verantwortung übernehmt. Aber Achtung: Jede Entscheidung, hat auch ein paar Opfer zur Folge.

Wenn Ihr die Massnahmen jetzt wieder aussetzt, werden wieder mehr Leute sterben. Gegenwärtig sind es täglich weniger als zehn. Daraus können schnell wieder gegen hundert werden, wie beim Höhepunkt der zweiten Welle. Hundert Tote pro Tag. Wer trägt dafür die Verantwortung?

Ach, die wären ja eh gestorben, höre ich es jetzt schon wieder. Die sind alt, haben Vorerkrankungen.

Abgesehen davon, dass das nicht stimmt, ist es trotzdem eine Entscheidung. Und eine Verantwortung.
Um diese bildhaft zu machen, setzen wir diese hundert Leute in ein Flugzeug. Und Ihr als Massnahmen-Skeptiker habt den roten Buzzer in der Hand. Wenn Ihr ihn drückt, stürzt das Flugzeug ab. Wie gesagt: es sitzen nur hundert Alte und Kranke drin. Wer drückt jetzt den Knopf?

Und noch eine Frage an die Leute, die am Protest in Liestal mitmarschierten: Wer trägt die Verantwortung, wenn Ihr Euch an der Demo angesteckt habt? Klar machen wir das, werdet Ihr sagen.
Auch eine Frau schrieb mir letzte Woche, ihr hochbetagter Vater hätte ausdrücklich eine Feier im weiteren Familienkreis mit mehr als fünf Personen gewünscht. Er gehe das Risiko ein denn «der Tod gehört zum Leben», wie die Frau mir schrieb.

Tja, wenn das so ist, werden die, die sich an der Demo oder einer illegalen Party angesteckt haben, dann wohl keine medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. Oder, wenn es Euch dann so richtig dreckig geht – mit Atemnot und so, wie bei Marco Rima – ändert Ihr dann doch noch die Meinung bezüglich «der Tod gehört zum Leben»?

Für diesen Fall wünsche ich Euch medizinische Fachleute am Krankenbett, die Covid-19 nicht für eine Lüge halten.

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
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