«Vergangenen Freitag, 16. April 1943, musste ich meine Arbeit im Laboratorium unterbrechen und mich nach Hause begeben. Zu Hause legte ich mich nieder und versank in einen nicht unangenehmen, rauschartigen Zustand, der sich durch eine äusserst angeregte Phantasie kennzeichnete», berichtete Albert Hofmann seinem Chef Arthur Stoll schriftlich. Diesen Bericht verfasste der Schweizer Chemiker vor 75 Jahren, nachdem er zufällig die Droge LSD entdeckt hatte. Denn eigentlich war er im Labor der Pharmafirma Sandoz in Basel auf der Suche nach einem Mittel, um den Kreislauf zu stimulieren. Schon fünf Jahre zuvor, 1938, hatte Hofmann die Substanz erstmals hergestellt. Doch bei den Versuchstieren, beispielsweise Kaninchen, hatte diese damals bloss eine unruhige Narkose bewirkt. Deshalb hatte Sandoz die Entwicklung nicht weiterverfolgt.
Doch einer «merkwürdigen Ahnung» folgend, die Substanz könnte doch noch andere Wirkungen besitzen, stellte der Chemiker an jenem Apriltag 1943 erneut LSD her. So beschrieb er es später in seinem Buch über die LSD-Entdeckung. Den Rausch, den Hofmann seinem Chef schilderte, führte er auf unabsichtlichen Hautkontakt mit der Substanz zurück, die offenbar sehr wirkungsstark war.
Hofmanns Trip
Ganz der Wissenschaftler, wollte Hofmann der Sache auf den Grund gehen und wagte drei Tage später einen Selbstversuch. Weil er von einem mächtigen Einfluss der Substanz auf seine Psyche ausging, nahm er die kleinste Dosis ein, von der er überhaupt noch eine Wirkung erwartete: 0,25 Milligramm. Das ist mehr als das Doppelte einer heute üblichen LSD-Dosis an einer Party.
Dementsprechend heftig war Hofmanns Trip, nachdem er noch mit dem Fahrrad nach Hause gefahren war. Er berichtete von aussergewöhnlichen Sinneserfahrungen, dass er Töne gesehen hätte und alle Gegenstände um ihn herum in Bewegung gewesen seien. Anfangs wähnte er sich im Sterben, doch nach einigen Stunden verflog die Angst und Hofmann genoss das Farbenspiel, das er erlebte. Tags darauf konnte er sich noch an alle Einzelheiten erinnern – LSD schien das Gedächtnis nicht zu beeinträchtigen. «Hofmann war fasziniert, dass eine so kleine Menge eine so grosse Wirkung auf die Psyche hat», sagt Beat Bächi, der als Medizinhistoriker an der Uni Bern unter anderem Hofmanns Nachlass erforscht. Nach dem ersten Test dokumentierte Hofmann noch weitere Selbstversuche, um mehr über die Wirkung herauszufinden.
Psychotherapie mit LSD
Hofmanns Erfahrungen überzeugten Sandoz, dass LSD in der Psychotherapie nützlich sein könnte. Die Firma stellte die Substanz der Psychiatrischen Klinik Burghölzli in Zürich zur Verfügung. Dort arbeitete der Sohn von Hofmanns Chef und testete LSD an psychisch Kranken – und zwar ohne deren Wissen. Doch nicht nur Patienten erhielten die Substanz, auch Psychiater nahmen sie ein. Damit wollten sie sich besser in die Welt ihrer Patienten einfühlen, denn die Ärzte hatten in ihren ersten Versuchen festgestellt, dass ihre LSD-Erlebnisse einer Schizophrenie glichen.
So fand das Halluzinogen Eingang in die Psychotherapie: Angstzustände und Depressionen, aber auch Suchtstörungen behandelten Ärzte ab 1949 vermehrt mit der Droge. Und Wissenschaftler begannen den Wirkstoff rege zu erforschen – über 1000 Studien entstanden in den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Die damaligen Experimente lieferten starke Hinweise darauf, dass LSD antidepressiv und angstlösend wirkt, und bei Clusterkopfschmerzen – also extremen, in Attacken auftretenden Kopfschmerzen – hilft.
US-Soldaten auf LSD
Neben Medizinern interessierte sich auch der amerikanische Geheimdienst CIA für LSD. Die Agenten hofften, mit der Droge eine Substanz gefunden zu haben, die Gefangenen Geheimnisse entlocken würde. Ab 1953 startete darum ein gewaltiges Programm namens MKUltra, in dem LSD als Wahrheitsdroge und Mittel zur Gehirnwäsche untersucht wurde. In Dutzenden Instituten und Anstalten experimentierte die CIA mit wehrlosen Probanden, darunter Strafgefangene, psychisch Kranke und Prostituierte. Auch Soldaten erhielten die Droge. Zu den brutalsten Experimenten gehörten LSD-Trips in Kombination mit Elektroschocks, oder wochenlanges Verabreichen der Droge. Der LSD-Erfinder erfuhr um 1960 von den Versuchen in Armeelaboratorien. Hofmann habe stets bezweifelt, dass LSD als Wahrheitsserum taugt, sagt der Historiker Bächi: «Er hielt solche Versuche für abstrus.» Damit sollte er recht behalten: Das Programm führte letztlich zu keinen verwendbaren Resultaten.
Auch die Schweizer Armee erwog eine militärische Nutzung der Substanz. Zu Beginn der Sechzigerjahre machten sich Offiziere Gedanken über einen sogenannten «humanitären Krieg» ohne Tote, etwa indem LSD ins Trinkwasser des Gegners gemischt würde. «Auf Einladung von Offizieren der Schweizer Armee gab Hofmann mehrere Vorträge», sagt Bächi, «obwohl er selbst einem LSD-Kampfstoff skeptisch gegenüberstand.» Schlussendlich liess die Armee die Pläne dann wieder fallen.
LSD-Guru gefährlichster Mann Amerikas
Seinen heutigen Ruf als psychedelische Hippie-Droge erlangte LSD erst über 20 Jahre nach seiner Entdeckung. Eine der treibenden Kräfte war damals der Harvard-Psychologe Timothy Leary, der zunächst akademische Forschung mit halluzinogenen Substanzen wie Psilocybin-Pilzen und LSD betrieb, dann aber entlassen wurde – offiziell wegen «Nichteinhalten von Unterrichtsterminen». Doch Learys Forschung stand intern in der Kritik, da er Studenten dazu drängte, an LSD-Studien teilzunehmen. Nach seiner Entlassung entwickelte sich Leary zu einem Guru der Hippie-Bewegung und propagierte den Konsum verschiedener bewusstseinsverändernder Drogen. US-Präsident Nixon beschrieb ihn einmal als gefährlichsten Mann Amerikas.
Auch der LSD-Entdecker Hofmann selbst mochte die Hippies nicht: «Er meinte, das einfache Volk solle die Finger von LSD lassen», sagt Bächi. «Der Wirkstoff eigne sich neben der medizinischen Verwendung höchstens für die geistige Weiterentwicklung von gebildeten Personen, während sie beispielsweise Beethovens Musik hörten.»
Weltweites Verbot
In der Regierung löste die Popularität der Droge in der jugendlichen Hippie-Bewegung Angst aus, denn die Jungen waren pazifistisch und stellten die Behörden in Frage. Deshalb verboten erst die USA und später die ganze Welt die Droge. Das habe der LSD-Hersteller Sandoz kommen sehen, sich aber nicht dagegen gewehrt, sagt Bächi. Bis dahin hatte die Firma durch die Droge im Übrigen auch keinen kommerziellen Nutzen gehabt. Sie hatte das LSD sogar gratis an Forschende abgegeben – als Werbung. Den Entdecker des LSD aber habe das Verbot geärgert, sagt Bächi, denn in Hofmanns Augen hätten die Behörden nicht verstanden, was sie untersagt hätten.
Trotz des Verbots blieb der Konsum der Droge verbreitet, doch die LSD-Forschung verfiel ab den Siebzigerjahren in einen Tiefschlaf. Die Forschungsgelder versiegten und Bewilligungen für Studien mit LSD waren kaum noch zu erhalten. Heutzutage aber ist die Forschung wieder aktiv: In den letzten Jahren gab es vereinzelte Studien zur Wirksamkeit von psychedelischen Substanzen wie LSD und Psilocybin gegen psychische Leiden – vor allem in der Schweiz.