Die Grenzen der Nachbarländer sind zwar mittlerweile wieder offen. Dennoch werden Herr und Frau Schweizer ihre Sommerferien dieses Jahr wohl vermehrt im eigenen Land verbringen und anstatt an der spanischen Costa del Sol eher am Zürichseeufer liegen. Die hiesigen Gewässer bieten nicht weniger Erfrischung als die Ozeane und zudem muss man bestimmt keinen Quallenstich fürchten. Das zeigte uns auch der frisch pensionierte «Mr. Corona» Daniel Koch Ende Mai eindrücklich auf.

«Die Aare ist bebadbar!»

Nicht immer aber sind die hiesigen Gewässer angenehm kühl, sondern oft auch eisig kalt. Manche befürchten, dass kaltes Wasser der Gesundheit schade. Andere halten es für einen Booster fürs Immunsystem. Was ist da dran?

Erkältung durch Kälte?

Da ist zum Beispiel der Verdacht, wer in kaltem Wasser bade, der hole sich eine Erkältung. Im Wort steckt die Kälte schon drin, aber steckt sie auch hinter der Erkrankung?

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Der Zusammenhang zwischen Kälte und Erkältung interessiert die Wissenschaftler schon seit vielen Jahrzehnten. 1946 untersuchte der englische Mediziner Dr. C. H. Andrewes in einem Experiment, wie Kälte auf die Vermehrung von Erkältungsviren wirkt. Er tat das, indem er Freiwilligen einen «Gratisurlaub» im Harvard Hospital in Salisbury offerierte. Die Bedingung: Sie mussten sich in eine zehntägige Isolation begeben, allenfalls mit Erkältungsviren infizieren lassen und einige mussten an der Zugluft oder durch ein kaltes Fussbad frieren. Erkältungsviren gibt es verschiedene, wahrscheinlich handelte es sich damals um humane Rhinoviren, die – wie man heute weiss – am häufigsten verantwortlich sind für eine Erkältung. Im Jahr 1946 waren sie jedoch noch nicht wissenschaftlich beschrieben. Das Resultat des Experiments: Jene, die froren, waren nicht anfälliger für eine Erkältung als jene, deren Füsse flauschig warm blieben.

Durch Kälte allein bekommt man keine Erkältung. Voraussetzung dafür sind nämlich Viren im Körper. Die meisten Menschen sind nur vorübergehend Wirte solcher Viren. Diese gelangen meist von einer Oberfläche über die Hände an die Schleimhäute der Augen, der Nase oder des Mundes. Aber etwa jede fünfte Person trägt Rhinoviren stets in sich. Gegen sie kann sich der Körper gut wehren, wenn er seine Normaltemperatur von rund 37 Grad Celsius aufrechterhalten kann. Doch wenn die Umgebung ihn abkühlt, ziehen sich die Blutgefässe zusammen, damit er nicht zu viel Wärme verliert. So stellt er sicher, dass die lebenswichtigen Organe ausreichend mit Blut versorgt sind. Allerdings gelangen wegen der eingeschränkten Durchblutung auch weniger Abwehrzellen in die Schleimhäute. Erkältungsviren haben ein leichteres Spiel. Die Kälte ist also nicht Ursache der Erkältung, kann eine solche aber begünstigen, wenn Viren vorhanden sind.

Bakterien und Viren führen zu Entzündungen

Auch andere Erreger können sich einfacher im Körper einnisten und Infekte verursachen, wenn er unterkühlt ist, was gerade umgeben von kaltem Wasser schnell geschieht. Eine Blasenentzündung folgt häufig, wenn der Unterleib auskühlt und die Bakterien – meist handelt es sich dabei um die Darmbakterien Escherichia coli – von Abwehrzellen ungehindert den Harnleiter hinaufwandern können. Deshalb lohnt es sich, nach dem Baden bald wieder trockene Kleidung anzuziehen.

Besonders aufpassen solltest du beim Baden auf die Ohren, denn eine Ohrenentzündung kannst du dir im Wasser leichter einfangen. Einerseits tummeln sich in Gewässern viele Bakterien, Viren und Pilze, die speziell Ohren angreifen können. Andererseits schwächt Wasser das ohrspezifische Abwehrsystem. Feuchter Ohrenschmalz begünstigt Ohrenkrankheiten. Eine davon wurde sogar nach dem Baden benannt: Die Badeotitis, auch bekannt als Schwimmerohr oder in der Fachsprache als Otitis externa. Hierbei handelt es sich um eine Entzündung des äusseren Gehörgangs. Dabei treten dort ein starker Juckreiz und heftige, brennende Schmerzen auf. Nur in Ausnahmefällen entwickelt sich aber ein schwerer Verlauf. Abhilfe schaffen hier Ohrenstöpsel oder Badekappen: Sie verhindern, dass die Erreger mit dem Wasser in die Ohren gelangen.

Bei Kindern ist die Mittelohrentzündung häufig. Auch diese kann man sich beim Baden zuziehen. In diesem Fall gelangen die Keime nicht durch den Gehörgang ins Ohr, sondern durch den Nasen-Rachen-Raum. Dieser ist durch einen Gang, der sogenannten Ohrtrompete, mit dem Mittelohr verbunden. Wenn man Wasser in die Nase bekommt, können Keime über die Ohrtrompete bis ins Mittelohr aufsteigen und dort zu einer Entzündung führen.

Bakterien und Viren sind aber nicht die einzigen Gefahren im Wasser. Auch die grossen Unterschiede zwischen der Luft- und der Wassertemperatur bedeuten für den Körper einen enormen Stress. Bei einer plötzlichen Temperaturänderung verengen sich die Blutgefässe und der Blutdruck steigt. So lastet ein erhöhter Druck auf dem Herz-Kreislaufsystem, was schlimmstenfalls zu einem Herzinfarkt oder Schlaganfall führen kann. Besonders ältere Menschen oder solche mit bestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen müssen sich davor in Acht nehmen. Auch Muskelkrämpfe können aufgrund des unmittelbaren Temperaturunterschieds auftreten. Wenn man das Ufer nicht rechtzeitig erreicht, kann beides tödlich enden. Dagegen hilft: Langsam an das Wasser gewöhnen, Bauch, Arme und Brust vor dem Eintauchen benetzen.

Kaltes Wasser für ein gutes Immunsystem

Kaltes Wasser löst also körperlichen Stress aus. Doch wann spricht man eigentlich von kaltem Wasser? Es gibt keine einheitliche Definition. Einige gefährliche Stressreaktionen scheinen besonders bei Wassertemperaturen zwischen 10 und 15 Grad Celsius aufzutreten. Gilt 17-grädiges Wasser deshalb nicht mehr als kalt? Das lässt sich so nicht sagen. Denn im Wasser verliert der Körper schnell an Wärme. Wenn man sich sportlich betätigt, geschieht das zwar später als wenn man nur planscht. Sobald die Wassertemperatur 25 Grad Celsius oder weniger beträgt, kühlt aber auch dann der Körper aus.

Ob Wasser als kalt empfunden wird, bleibt letztlich subjektiv und hängt auch davon ab, wie lange man sich darin aufhält und ob man sich dabei bewegt. Trotz dem körperlichen Stress setzen sich einige Wasserratten aber immer wieder kaltem Wasser aus. Und trotz den Gefahren, die es birgt, gilt es als Binsenweisheit, dass Kaltbaden das Immunsystem stärkt. So eindeutig wie der Volksglaube ist die Forschung dazu aber nicht. Es klingt biologisch zwar plausibel: Das kalte Wasser lässt den Körper Stresshormone ausschütten und kurzfristiger Stress bereitet das Immunsystem darauf vor, mit Verletzungen und Infektionen besser fertig zu werden. Nur: So richtig messen konnte das bis anhin noch niemand. Es gibt Studien, wie beispielsweise eine aus dem Jahr 1996, welche Immunsystemmarker gemessen haben, also jene Grössen, die eine Aktivierung des Immunsystems anzeigen. Die Änderungen waren aber klein und ihre Bedeutung für das Immunsystem ungewiss.

Wie stark wir biologisch vom Sprung ins kalte Wasser profitieren, ist also unklar. Davon abhalten soll uns diese Erkenntnis aber nicht und wir können es Daniel Koch getrost nachmachen – wenn nötig mitsamt Neopren-Anzug. Und wenn sich dadurch die Stimmung aufhellt, ist damit auch unserer Gesundheit gedient. Denn kaltes Wasser hält uns zwar nicht direkt die Infektionen vom Leib, doch eine Studie belegt, dass zufriedene Menschen weniger an Erkältungen leiden.

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