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Bloss 23 Prozent der Expertenstimmen, die in Medienberichten zitiert werden, stammen von Frauen. Wobei ihr Anteil stark vom Thema abhängt. In Sport- und Wirtschaftsnachrichten sind es bloss 13 beziehungsweise 17 Prozent. Durchschnittlich war es in der Politik. Am meisten Frauen findet man bei Kulturthemen (27 Prozent) und bei Human-Interest (31 Prozent). Von Wissenschaftsberichten ist in der Studie nicht mal die Rede.
Die Reaktionen auf diesen Befund waren ziemlich eindeutig. Die Medien wählen nicht repräsentativ aus. Ganz sicher stimmt das in der Politikberichterstattung. Denn im Schweizer Nationalrat sind mittlerweile 42 Prozent der Sitze von Frauen belegt. Hier geben die Medien den Frauen also zu wenig Präsenz. So weit, so ungut.
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Aber – und da muss ich leider den allgemeinen Konsens etwas stören – wie sollen die Medien mehr Wirtschaftsführerinnen zeigen, wenn es nicht mehr gibt? Würden die Medien gleich viele Managerinnen wir Manager zu Wort kommen lassen würden sie doch die Realität verzerren. In Richtung eines gewünschten Zustands zwar, aber es wäre eine Verzerrung.
Das habe ich Lisa Schwaiger vom Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft gefragt. «Ich würde es nicht so krass formulieren», sagt die Sozialforscherin. «Es geht nicht darum, Dinge verfälscht darzustellen, sondern darum, Frauen und generell Gruppen, die unterrepräsentiert sind, die benachteiligt sind, stärker sichtbar zu machen.»
Auch in der medizinischen Fachwelt zu wenig beachtet
Zur Unterrepräsentation von Frauen wurde in der vergangenen Woche eine weitere internationale Studie veröffentlicht. Sie untersuchte, wie gut Frauen in der medizinischen Wissenschaft vertreten sind. Und hier zeigt sich eine krasse Verzerrung, die nicht durch die Medien hervorgerufen wird, sondern durch den Wissenschaftsbetrieb selbst.
Obwohl mehr Frauen als je zuvor ein Medizinstudium beginnen, werden sie seltener als Expertinnen und Führungskräfte anerkannt. Sehr viele Untersuchungen gibt es hierzu aus den USA: Frauen werden seltener mit Preisen ausgezeichnet, erhalten seltener eine ordentliche Professur, bekleiden weniger Führungspositionen oder sind weniger häufig Autorinnen in wichtigen Fachzeitschriften.
Das haben die Hochschulen erkannt und auch entsprechende Programme initiiert. Zum Beispiel die Universität Zürich mit dem Laufbahnförderprogramm «Filling the Gap».
Jedoch kommt jetzt das zweite Aber.
Man hat herausgefunden, dass Frauen – selbst wenn sie in hochrangigen medizinischen Fachzeitschriften publizieren – von der Fachwelt schlichtweg ignoriert werden. Ihre Artikel werden deutlich weniger zitiert als solche, die Männer geschrieben haben. Das zeigt eine aktuelle Studie der University of Pennsylvania.
Untersucht wurden 5554 Artikel, die zwischen 2015 und 2018 in fünf führenden akademischen medizinischen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden. Ein Drittel hatte eine weibliche Hauptautorin, ein Viertel eine weibliche Seniorautorin.
Artikel von Frauen als Hauptautorin wurden im Durchschnitt 36-mal in anderen Artikeln erwähnt. Artikel mit männlichen Hauptautoren erreichten 54 Zitate.
Mit einer Frau als die Seniorautorin waren es etwas ausgeglichener. Am deutlichsten war der Unterschied, wenn Hauptautorin und Seniorautorin weiblich waren: 33 gegen 59 Zitate im Durchschnitt.
Es ist hochrelevant, wie oft ein wissenschaftlicher Artikel von anderen Forschenden zitiert wird. Denn die Anzahl Zitate gelten als Massstab für akademische Anerkennung und Einfluss, und sie wird in beruflichen Bewertungen und Beförderungen verwendet.
Die Hauptautorin der Studie Paula Chatterjee ist Assistenzprofessorin für Innere Medizin, ein Fachgebiet, in dem es mehr Frauen gibt als zum Beispiel in der Chirurgie. Sie weist darauf hin, dass selbst hier die Ignoranz der wissenschaftlichen Gemeinschaft den Publikationen von Frauen gegenüber nicht weniger ausgeprägt ist als in Fachbereichen, die typischerweise männlich sind.
Die geringere Zahl der Zitate erklärt, gemäss der Studienautorin, warum es Frauen in der akademischen Karriere schwerer haben. Und es macht gleichzeitig das Weiterkommen noch schwieriger.
Warum Publikationen von Frauen weniger beachtet werden und wie man das ändern könnte, bleibt vorerst unklar.
Klar ist nur: Die Artikel der Frauen wurden vor der Publikation genau gleich geprüft, wie die der Männer. An der Qualität liegt es also nicht.