Das musst du wissen

  • Die Ergebnisse von fast jeder fünften klinischen Studie werden nicht publiziert. Ein Skandal, aber auch natürlich.
  • Denn niemand berichtet gern über negative Resultate. Diese sind der Hauptgrund für die nicht veröffentlichten Daten.
  • Die Wissenschaft muss den Mut entwickeln, Misserfolge nicht als Versagen zu werten, sondern als Lehrstücke.

Anfang dieser Woche hat SRF einen wissenschaftlichen Skandal publik gemacht: Jede fünfte klinische Studie wird nicht veröffentlicht, sondern verschwindet in den Archiven der Forscher. Unser Bericht zeigt, dass die allermeisten klinischen Studien, die publiziert werden, positive Resultate aufweisen. Nicht, weil die Wissenschaft so gut wäre, sondern weil negative Resultate schlicht nicht veröffentlicht werden.

Müssen wir uns darüber aufregen? Ja – und nein.

Nein, weil das Nicht-Reden über Misserfolge völlig normal ist. Wenn jemand versucht, das Matterhorn zu erklimmen und es nicht schafft, redet er weniger gern darüber, als wenn er es geschafft hat. Wir alle funktionieren und kommunizieren so.

Schlechtes Argument, könnte man mir entgegenhalten. Denn es geht bei klinischen Studien nicht um Freizeitabenteuer, sondern um Wissenschaft und um die Gesundheit von Menschen, womöglich gar um deren Leben. Und da ist es wichtig, dass auch negative Befunde bekannt gemacht werden: Diese Methode taugt nichts bei dieser Krankheit, jenes Medikament hilft nicht bei jenem Leiden.

Aber in dieser Hinsicht krankt das Wissenschaftssystem. Um es klar zu sagen: Die Wissenschaft funktioniert im grossen Ganzen sehr gut. Aber Forschende haben nichts davon, wenn sie Negativresultate kommunizieren.

Also ist die Motivation, auf einem offensichtlich falschen Weg weiter zu forschen und zu erklären, warum etwas nicht funktioniert, äusserst gering.

Auch geben weder Industriepartner noch Förderagenturen Geld für Studien, die ein Nullresultat erklären wollen.

Das heisst: Die Wissenschaft muss ein System schaffen, das die Forschenden verpflichtet und belohnt, auch negative Resultate seriös zu publizieren. Allerdings muss man zur Verteidigung der Forschung auch einräumen, dass es so ein System bereits gibt: In Europa müssen alle klinischen Studien in einem zentralen Register angemeldet sein. Wer also wirklich wissen will, welche Studien durchgeführt werden und wo allenfalls kein Resultat herauskommt, kann dies heute schon herausfinden. So skandalös, wie SRF tut, ist die Sache also nicht.

Doch es kann immer noch besser werden. Die Wissenschaft kann lernen aus der Geschichte von der Matterhornbesteigung. Denn manchmal erzählen wir ja auch gerne von missratenen Vorhaben. Wenn nämlich die Air Zermatt einen Bergsteiger aus der Felswand rettet, hat er viel zu erzählen, obschon er nicht auf dem Gipfel war. So wird der Nicht-Erfolg nicht als Versagen wahrgenommen, sondern als Abenteuer oder Lehrstück, wie man es eben nicht machen soll. Und alle hören zu.

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
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