Herr Hohler, waren Sie schon als Kind ein Wortakrobat?

Vielleicht. Zumindest bin ich im Skilager immer gerne an den bunten Abenden aufgetreten und habe meine selbstgeschriebenen Verse vorgetragen. Das war mir wichtig. Denn seit ich lesen konnte, wollte ich nur eins: Schreiben – und gehört werden. Als Achtjähriger habe ich darum meine erste Geschichte in ein Schulheft notiert und meinen Eltern zu Weihnachten geschenkt. Sie begann mit dem Vers «Auf seinem Pferd Herr Fadian sich sieht die schöne Landschaft an». Heute ist sie leider unauffindbar.

Ihre Eltern waren Lehrer. Haben die Ihre Lust an der Sprache und am Formulieren geweckt?

Das war Wilhelm Busch. Seine Geschichten habe ich sehr gerne gelesen. Der Verse wegen. Sie haben mich fasziniert. Meine Eltern haben mir hingegen gezeigt, was gelebte Kultur bedeutet: Meine Mutter war eine sehr gute Geigerin und hat auch öffentlich gespielt. Sie war es, die mich dazu bewegt hat, Cello zu lernen. Mein Vater hingegen war der Literat bei uns zu Hause. Er las viel und schrieb auch selbst Artikel, beispielsweise für das Schulblatt der Kantone Aargau und Solothurn sowie für die Theaterzeitung von Olten. Zudem war er selbst als Laienschauspieler aktiv. Mit ihm gemeinsam hatte ich dann auch meinen ersten Bühnenauftritt. Er war das tapfere Schneiderlein – ich sein Sohn.

Inwiefern war der frühe Kontakt mit Kultur wichtig?

Anders als in vielen Familien wurde bei uns die Beschäftigung mit den Künsten nicht als vertane Zeit wahrgenommen. Deswegen musste ich nie kämpfen, mich Texten, Melodien und Rhythmen widmen zu können. In meiner Familie gehörte Kultur einfach zum Leben dazu. Sie war selbstverständlich.

Haben Ihre Eltern auch verständnisvoll reagiert, als Sie der Kunst wegen nach nur fünf Semestern Ihr Romanistik- und Germanistik-Studium abgebrochen haben?

Zunächst sind sie natürlich erschrocken. Und ich auch. Denn eigentlich wollte ich mich nur für ein Jahr beurlauben lassen. Doch das war nur zu Universitätszwecken möglich. Weil ich aber mit meinem ersten Bühnenprogramm «Pizzicato» Erfolg hatte und damit auf Tournee gehen konnte, habe ich mich exmatrikulieren müssen. Den Doktortitel habe ich viele Jahre später aber trotzdem bekommen, 2009 von der Universität Freiburg, ehrenhalber.

«Pizzicato» war erfolgreich. Sogar im Ausland wurden Sie gefeiert. Warum sind Sie nicht bei den Bühnenprogrammen geblieben?

Monokultur ist nichts für mich. Ich war und bin wie ein Bauer, der nicht nur Mais, sondern auch Hafer und Weizen anbauen will. Ich brauche Abwechslung. Zudem kann man nur dann das eine Feld auch mal ruhigen Gewissens vorübergehend brach liegen lassen. Damit es sich erholt und neue Pflänzchen – oder in meinem Fall Ideen – keimen können.

Wie «ernten» Sie diese?

Wenn eine Idee lange genug bei mir anklopft, nehme ich mich ihrer an. Auch bei meinem neuen Roman war es so: Die Anfangsszene ist mir immer wieder in den Sinn gekommen. Irgendwann war ich neugierig, wie die Geschichte weitergeht. Deshalb habe ich sie mir selbst erzählt und sie so erfunden. Ich gebe dabei auch Ideen eine Chance, die auf den ersten Blick sinnlos wirken.

Warum?

Manchmal lohnen gerade die, sie auszukosten. Vor einiger Zeit habe ich im Radio beispielsweise das «Wettergespräch» gehört. Da war von einer Kaltfront die Rede. Aber ich habe «Kalbfront» verstanden und überlegt, was das wohl sein könnte. Das hat mir keine Ruhe gelassen. Deswegen habe ich dann eine kleine Geschichte darüber geschrieben. Solche Spinnereien machen mir Freude.

Man spürt Ihre Lust an der Arbeit. Ist die stets echt?

Eigentlich schon. Denn ich versuche, nur so viele Termine abzumachen, wie mir bekömmlich sind. Trotzdem: Wenn ich abends zu einem Auftritt unterwegs bin und die Lichter in den Wohnstuben sehe, dann kann es schon passieren, dass ich mich nach Hause wünsche. Dann sage ich mir «Denk daran, wenn du das nächste Mal zusagst». Und ich bin sicher: Irgendwann werde ich mich schon noch daran erinnern.

Obwohl Ihr Terminplan früher noch voller war, hält es Ihre Frau nun seit 45 Jahren an Ihrer Seite aus. Wie haben Sie das geschafft?

Meine Frau und unsere zwei Söhne waren mir immer wichtig. Für sie habe ich mir stets soviel Zeit als möglich genommen. Der Sonntag war für sie reserviert. Wir haben häufig Wanderungen unternommen und gejasst. Letzteres machen wir heute immer noch regelmässig. Wir lieben das. Obwohl es dabei auch mal zu Konflikten kommt. Beispielsweise, wenn einer von uns nicht richtig aufgepasst hat. Da beschimpfen wir uns so, wie wir es sonst nicht tun – weil es sonst keinen Anlass gibt.

Welches Familienmitglied bekommt Ihre Texte als erstes zu Gesicht?

Ich lese sie sehr gerne meiner Frau vor.

Sie lesen ihr vor?

Natürlich gebe ich ihr die Texte auch. Aber ich ziehe es vor, ihr vorzulesen. Denn dann höre ich ihn ja auch und kann mich dem Text so noch mal auf einer anderen Ebene nähern. Meine Frau ist eine hervorragende Kritikerin. Schliesslich weiss sie genau, was ich kann und was nicht. Deshalb verlangt sie auch nur, was ich zu leisten vermag.

Wie nahe geht Ihnen Kritik?

Bei meinem ersten Verriss dachte ich noch: «Der Verfasser hat keine Ahnung. Das ist doch gut, was ich mache.» Ich verstand die Welt nicht mehr. Heute bin ich froh um diese Erfahrung. Denn dieser «Böölimaa», der mir damals quasi die Faust in den Magen gerammt hat, hat mich mit seiner Besprechung auf die Probe gestellt. Einen solchen Verriss muss man als Künstler aushalten können, auch wenn es schmerzt. Wenn man das nicht tut, sollte man besser etwas anderes machen. Aber den richtigen Umgang mit Kritik musste auch ich erst lernen. Heute sage ich: Es gibt Besprechungen, die erreichen mich. Und es gibt solche, die erreichen mich nicht.

Heute gehen Sie damit locker um. So veröffentlichen Sie auf Ihrer Internetseite nicht die positiven Besprechungen, sondern Auszüge aus Verrissen. Warum?

Wir haben natürlich alle lieber gute Kritiken. Doch was macht man mit den schlechten? Ich habe die dann einfach mal aufgelistet. Zwar steht da eine Scheusslichkeit nach der anderen. Aber am Ende der Lektüre stellt sich die Frage, wie es der Typ, über den die da schreiben, so weit bringen konnte. So schlecht kann er gar nicht sein. Diese Erkenntnis relativiert die Bedeutung von Besprechungen. So betrachtet, sind auch die negativen positiv zu sehen.

Welche Kritiken nehmen Sie sich zu Herzen?

Es kommt darauf an, ob der Kritiker ein Interesse hat an dem, was ich schreibe. Wenn jemand von «Monumenten der Harmlosigkeit» schreibt, brauche ich gar nicht weiter zu lesen. Denn ich weiss, dass meine Texte an dieser Person vorbei gegangen sind. Ich selbst finde meine Werke nicht harmlos. Aus irgendeinem Grund halte ich sie für veröffentlichungswürdig. Aber ich kann nicht erwarten, dass mir da alle zustimmen. Eine Kritik, die ich hingegen ohne weiteres akzeptieren kann, ist, wenn jemand sagt: «Das gefällt mir nicht.»

Auch heute noch begeistern die Texte von Franz Hohler. So wurde seine Kultgeschichte «Ds Totemügerli» vor rund einem halben Jahr von den Schweizer Rappern Lo & Leduc neu interpretiert.

Franz Hohler

Franz Hohler ist ein Tausendsassa. Einst politisch engagierter AKW-Gegner, machte er sich in den letzten vier Jahrzehnten als Schriftsteller, Kabarettist und Liedermacher einen Namen. Insgesamt hat er 14 Soloprogramme, über 50 Bücher und zahlreiche Tonträger produziert. Hinzu kommen unzählige Auftritte auf TV-, Lese- und Theaterbühnen. Hohler hat seine Berufung zum Beruf gemacht. Er tut, was er liebt und was er am besten kann: Beobachten mit Scharfblick und mit Charme – und mit einer Portion Schalk darüber berichten. Bei Hohler wird selbst das Unspektakuläre zum Highlight. Nicht ohne Grund gilt er heute als einer der bedeutendsten Erzähler der Schweiz.

Für sein Werk wurde Franz Hohler mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (2002), dem Salzburger Stier für sein Lebenswerk (2008) und dem Solothurner Literaturpreis (2013). Zuletzt erhielt er neben dem Johann-Peter-Hebel-Preis vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg den Alice-Salomon-Poetik-Preis, der an Künstler verliehen wird, die durch ihre besondere Formensprache und Vielfalt zur Weiterentwicklung der literarischen, visuellen sowie musischen Künste beitragen und dabei immer interdisziplinär arbeiten.

Dieses Porträt stammt aus dem Buch «Zürcher Pioniergeist» (2014). Es porträtiert 60 Zürcherinnen und Zürcher, die mit Ideen und Initiative Neues wagten und so Innovationen schufen. Das Buch kann hier bestellt werden.
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